Zum Inhalt springen

Nass, aber nicht ins Wasser gefallen

Das Wetter meint es nicht gut mit dem Weltsozialforum in Tunis. Doch trotz andauernden Regens und kühler Temperaturen wurde in zahlreichen Veranstaltungen auf dem Al Manar Campus mit Engagement und Sachkenntnis diskutiert, wie eine andere Welt möglich werden kann.

Fotos: Gunter Quaißer, Manfred Brinkmann

Der dritte Tag des Weltsozialforums begann mit dem dritten Workshop der GEW. Deborah James vom „Our world is not for sale“-Netzwerk, Jean Murdock von der kanadischen Gewerkschaft FNEEQ-CSN, Henrique Borges von der portugiesischen Lehrergewerkschaft FENPROF und Gunter Quaißer für die GEW beantworteten Fragen des Moderators Richard Langlois von unserer Dachorganisation, der Bildungsinternationale. In dem mit rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr gut besuchten Workshop unter dem Titel „No to privatization in education by TTIP, TISA, CETA, etc “ ging es um die Auswirkungen der geplanten Freihandelsabkommen auf den Bildungsbereich.

Den Versprechen der Politiker wird nicht geglaubt

Alle Beteiligten waren sich einig, dass die geplanten Freihandelsabkommen abzulehnen sind. Sollten sie realisiert werden, bedeutete dies eine Gefahr für die Demokratie und nützt allenfalls den transnationalen Konzernen. Dem Versprechen der Politikerinnen und Politiker, dass öffentliche Bildung gar nicht von den Verträgen betroffen sein würde, wurde wenig Glauben geschenkt. Denn private Bildung sei Bestandteil der Verträge und es sei absolut unklar, wie öffentliche und private Bildung überhaupt getrennt werden könnten. Ein Beispiel dafür ist ein (öffentlich) finanzierter Kindergarten, in dem auch (private) Elternbeiträge erhoben werden.

Es wurden aber auch unterschiedliche Schwerpunkte in der Betrachtung von TTIP und Co. deutlich. Deborah James betonte die Unumkehrbarkeit der Verträge und der damit verbundenen Liberalisierung: einmal privatisierte Bereiche können nicht mehr re-kommunalisiert werden (wie dies derzeit z.B. bei manchen kommunalen Abfallunternehmen passiert). Henrique Borges setzte die Gefahren von TTIP in den Kontext der derzeit in Portugal angewandten Austeritätspolitik – beide seien ein Angriff auf die Verfassung des Landes. Jean Murdock berichtete von den negativen Auswirkungen für die Beschäftigten der seit Jahren in Nordamerika umgesetzten Freihandelszone (NAFTA).

Zweifelhafte Prognosen zu wirtschaftlichem Wachstum

Gunter Quaißer schilderte die in Deutschland sowohl bei Gewerkschaften als auch in der Zivilgesellschaft verbreitete Ablehnung von TTIP. Denn selbst in einem so vom Außenhandel abhängigen Land wie Deutschland seien die Vorteile des geplanten Vertrags sehr begrenzt: Aktuelle ökonomische Studien der EU-Kommision und von anderen Forschungsinstituten prognostizieren für die Umsetzung von TTIP nur ein Plus von 0,5 Prozent Wirtschaftswachstum und einen Beschäftigungszuwachs von gerade mal 125.000 Jobs. Dies aber nicht jährlich, sondern über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren.

Die anschließende Publikumsdiskussion weitete dann noch mal den Blickwinkel mit Redebeiträgen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Indien, Algerien, Belgien, Burkina Faso, der Schweiz, Norwegen, Spanien, Frankreich, Kanada usw. Nicht zu vergessen: ohne unsere Übersetzer Valentin Villwock und Johannes von Simons wäre die Veranstaltung gar nicht möglich gewesen!

Begegnungen in der Mittagspause

Nachdem am Vortag noch nach Sonnencreme gekramt worden war, wurden spätestens am Mittag die Schirme und Regenjacken hervorgeholt. Das Leben zwischen den Workshops, das sich ansonsten auf dem großen Freigelände abspielt, wurde durch den anhaltenden Regen arg beeinträchtigt. Dennoch fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des WSF genügend Möglichkeiten, sich in tropfenden Zelten, dampfenden Cafeterien und auf den rutschigen Fluren der Universität El Manar auszutauschen.
Vom einfachen „You Germany? – Good!“ bis zu spannenden Diskussionen mit brasilianischen Medienexperten, norwegischen „EU-No!“Streiterinnen und ungarischen Attac-Mitgliedern über die Durchführung des WSF (sehr gut organisiert), die Arbeitsmöglichkeiten von südamerikanischen NGOs (waren schon besser) bis zu den Gewerkschaftsstrukturen in Skandinavien (teilweise sehr kleinteilig bei hohem Organisationsgrad) ist in einer Mittagspause alles drin. Gleichzeitig musste das rund 90 Seiten umfassende Programm analysiert werden, um den (subjektiv) interessantesten Workshop des Nachmittags zu finden.

Treffpunkt der weltweiten Zivilgesellschaft

Kolleginnen und Kollegen berichteten dann am Abend von Veranstaltungen mit langweiligen „Fensterreden“, von einer beeindruckenden und berührenden Präsentation zum Thema „Frauen als Opfer staatlicher Repression in Nordafrika und dem Nahen Osten“ (inklusive Filmvorführung und Diskussion mit den anwesenden Protagonistinnen des Films), von faszinierenden Diskussionen mit NGO-Vertreterinnen und Vertretern der Ost- und Westukraine (die hier in Tunis zum ersten Mal seit einem Jahr überhaupt miteinander reden konnten) usw. Das Weltsozialforum ist schlichtweg der Ort, an dem die weltweite Zivilgesellschaft aufeinander trifft, sich austauscht, vernetzt und nach Möglichkeiten sucht, ihr Motto zu verwirklichen: „Eine andere Welt ist möglich“.

Noch ein Nachtrag: den wohl schönsten Redebeitrag des Tages formulierte der von der GEW nach Tunis eingeladene Noël Rouamba von unserer Partnergewerkschaft F-SYNTER aus Ouagadougou zum Abschluss des morgendlichen TTIP-Workshops: „Ich bin sehr beeindruckt. Bislang habe ich immer gedacht, die Entwicklungsländer hätten große Probleme. Aber ihr Gewerkschaften in Europa und Amerika habt auch große Probleme – die ihr bekämpfen müsst!“