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Kommentar

Nachlegen!

Zehn Jahre nach Start des Templiner Manifests haben wir die Lufthoheit im wissenschaftspolitischen Diskurs erreicht und Bund, Ländern und Wissenschaftseinrichtungen erste Maßnahmen abgetrotzt. Jetzt dürfen wir uns nicht zurücklehnen.

GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller (Foto: Kay Herschelmann)

Der Trend scheint ungebrochen. 80 Prozent des gesamten wissenschaftlichen Personals an Hochschulen und sogar knapp 90 Prozent der wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten werden mit einem Zeitvertrag abgespeist. 100.000 Lehrbeauftragte werden semesterweise zu Dumpinglöhnen geheuert und gefeuert – ohne Sozialversicherung und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Zur Professur führt ein langer und steiniger Karriereweg – und selbst die Erstberufung auf den Lehrstuhl ist immer öfter erst mal auf Zeit.

Unter den prekären Bedingungen leiden nicht nur die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch die Studierenden. Sie wissen nicht, ob ihre Dozentin oder ihr Dozent in den Semesterferien noch da ist, um eine Prüfung abzunehmen. Das Befristungsunwesen untergräbt die Kontinuität und damit Qualität von Lehre und Studium. Darauf macht die GEW seit Jahren in ihrer Kampagne für den Traumjob Wissenschaft aufmerksam – und stößt damit längst nicht mehr auf taube Ohren. Bund, Länder und mehr und mehr Wissenschaftseinrichtungen leugnen die Probleme nicht länger, sondern haben erste Maßnahmen ergriffen, um Beschäftigung in der Wissenschaft zu stabilisieren und Karrierewege verlässlich auszugestalten.

Mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) 2016 versuchten Bundestag und Bundesrat die Voraussetzungen für die Befristung von Arbeitsverträgen enger zu fassen und die Vertragslaufzeiten zu verlängern. Das Tenure-Track-Programm von Bund und Ländern setzt Anreize für berechenbare Karrierewege auf dem Weg zur Professur und verpflichtet die geförderten Universitäten, Personalentwicklungskonzepte vorzulegen. Über 100 Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben sich in Kodizes für Gute Arbeit auf Mindeststandards für Beschäftigungsbedingungen verpflichtet. Zuletzt haben sich Bund und Länder darauf verständigt, die Mittel des „Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken“ auch für die Schaffung von Dauerstellen in der Lehre einzusetzen.

Und doch bleiben viele Maßnahmen halbherzig. Bei der WissZeitVG-Novelle hat der Gesetzgeber mit unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet, die findigen Arbeitgebern Schlupfwinkel zur Fortsetzung ihrer Befristungspraxis eröffnen. Kodizes für Gute Arbeit sind nicht selten blumige Selbstverpflichtungen, deren Vorgaben nur dann einklagbar sind, wenn sie als Dienstvereinbarung mit den Personalräten abgeschlossen wurden. Bei der Umsetzung des Zukunftsvertrags sind wir auf den guten Willen der Länder angewiesen – der Bund kann und will die zweckentsprechende Verwendung der Gelder nicht erzwingen. Dauerstellen für Daueraufgaben – das Credo der GEW haben sich aber längst nicht alle zu eigen gemacht.

In ihrer „Bayreuther Erklärung“ aus dem Herbst 2019 haben die Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten klargemacht, dass sie sich nicht weniger, sondern sogar noch mehr Befristung wünschen. Die gesamte Wissenschaft sei nichts weiter als ein Qualifizierungssystem, so die Uni-Verwaltungs- und Personalchefs, was Zeitverträge auch für promovierte und habilitierte Forschende und Lehrende rechtfertige.

Der Weg zum „Traumjob Wissenschaft“ ist also alles andere als ein Selbstläufer. Gute Argumente haben wir zwar viele, aber sie werden nicht reichen. Darüber hinaus bedarf es der Entschlossenheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für ihre Interessen einzutreten, sich gewerkschaftlich zu organisieren und im Zweifel im Arbeitskampf durchzusetzen. Zehn Jahre nach Start des Templiner Manifests haben wir die Lufthoheit im wissenschaftspolitischen Diskurs erreicht und Bund, Ländern und Wissenschaftseinrichtungen erste Maßnahmen abgetrotzt. Jetzt dürfen wir uns nicht zurücklehnen, sondern müssen nachlegen und den Druck auf die politisch Verantwortlichen erhöhen.