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Diskriminierungskritische Bildungsarbeit

Multikulturalität und Vorurteile

Alle akademischen Institutionen in der Welt stehen vor der Herausforderung der Multikulturalität. In Israel haben sich die Hochschulen zum Ziel gesetzt, die Vielfalt zu fördern und zu nutzen.

Wer anders ist oder nur als anders wahrgenommen wird, ist schnell ausgegrenzt. Auch Hochschulen sind keine diskriminierungsfreien Zonen. (Foto: GEW/Shutterstock)

In Israel haben die Einwanderungswellen aus verschiedenen Ländern im Laufe der Jahre ethnische, religiöse und sprachliche Vielfalt geschaffen. Dadurch entstand eine dynamische und vielfältige Gesellschaft, in der alle zwar in einem gleichen geografischen Raum, aber oft in Parallelwelten leben. Die Vielfalt spiegelt sich leider nicht in allen Einfluss- und Handlungssphären der Gesellschaft wider. Seit einigen Jahren haben sich die israelischen Hochschulen zum Ziel gesetzt, Vielfalt und Multikulturalität zu fördern und Hochschulbildung allen Teilen der Gesellschaft zugänglich zu machen. Es werden Instrumente entwickelt, um die benachteiligten Gruppen in den Hochschulen zu unterstützen.

Eine Studie der Hebräischen Universität (Oktober 2016) hat gezeigt, dass Studentinnen und Studenten aus Minderheitengruppen zu einem eher passiven akademischen Verhalten neigen und fürchten oder es unterlassen, sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen und mit Lehrkräften und Kommilitonen zu interagieren.

Tehila Kalagy von der Ben-Gurion-Universität in Be‘er Sheva, Expertin für kulturell angepasste Politik, stellt die rhetorische Frage: „Was wissen wir über Minderheitengruppen jenseits der folkloristischen Merkmale wie Religion und kulinarischen Vorlieben? Nachdem wir unser Verständnis über Klischees hinaus erweitert haben, können wir Anpassungen vornehmen, denn es gibt zwar kulturabhängige Dinge, aber es gibt auch viele gleiche menschliche Züge in jeder Kultur wie Neugier, Lernfreude und Fleiß.“

Fehlinterpretationen vermeiden

Sara Abu-Kaf, Leiterin der Abteilung Konfliktmanagement an der Universität Be‘er Sheva, möchte Lehrende und administratives Personal im Umgang mit multikulturellen Begegnungen weiterbilden. Wenn Menschen keine geeigneten Werkzeuge in Konfliktsituationen haben, handeln sie nach ihnen vertrauten Mustern und bleiben „in ihrer Kiste eingeschlossen“, so ihre Überzeugung. Den anderen zu kennen, kann zu seinem Verständnis beitragen. Ein Student, der sich nicht in einem Kurs beteiligt, wird in der Regel als apathisch und gleichgültig abgestempelt. Aber in einigen Kulturen sind Introvertiertheit und Zurückhaltung ein Wert, so dass diese Studierenden erwarten, dass man sich mit einer Frage an sie wendet und sie selbst keine Fragen an eine Dozentin oder einen Dozenten zu richten wagen.

Das gilt auch für den Augenkontakt. Oft wird es als Unsicherheit interpretiert oder sogar vermutet, dass jemand etwas zu verbergen hat, wenn die Person dem Gegenüber nicht direkt in die Augen schaut. Jedoch zeugt dies in einigen Gesellschaften von Demut und Respekt gegenüber dem Vortragenden. Das Verständnis für die soziale Praxis jeder auf dem Campus vertretenen Gruppe wird dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden und die multikulturelle Kompetenz des administrativen und akademischen Personals zu bereichern.

„Ich kann erkennen, dass ich mich aus Angst und Unwissenheit feindselig gegenüber dem Anderen verhalte. Deshalb muss ich mir überlegen, was ich mit diesen Vorurteilen anfange.“ (Liat Fridgoot Netzer)

Auch Liat Fridgoot Netzer, die an der Bar Ilan Universität für Vielfalt zuständig ist, geht auf bestehende Stereotype und Vorurteile ein. Sie hält es für wichtig, sich ihrer Existenz offen bewusst zu sein, um mit ihnen umgehen zu können. „Ich kann erkennen, dass ich mich aus Angst und Unwissenheit feindselig gegenüber dem Anderen verhalte. Deshalb muss ich mir überlegen, was ich mit diesen Vorurteilen anfange.“

Laut Raghda Alnabilsy vom Ruppin College dient ihre arabische Identität als starkes Vorbild. Es trägt dazu bei, Stereotype und Vorurteile gegenüber dem arabischen Teil der israelischen Gesellschaft zu hinterfragen und ermöglicht es arabischen Studierenden, an ihren Erfolg im akademischen Bereich zu glauben. Jüdische Studentinnen und Studenten andererseits lernen bei der Begegnung mit einem arabischen Dozenten, verinnerlichte Muster neu zu überdenken. Raghda Alnabilsy ist sich bewusst, dass die jüdischen Studierenden Araber meist aus dem Militärdienst kennen oder aus Medienberichten über gewalttätige Vorfälle. Wenn sie einen Seminarraum oder einen Hörsaal betrete, reagierten diese Studierenden meist erst einmal irritiert. Die Studentinnen und Studenten brauchten Zeit, um sich von den Vorurteilen, die viele über arabische Frauen haben, zu lösen.

Elitäres Denken überwinden

Aus allen vorgestellten Beiträgen der israelischen Dozentinnen ergeben sich zwei Hauptschlussfolgerungen:

Erstens sollte jede Hochschule, basierend auf ihrem Profil und einer Bedarfsanalyse für ihre Studierenden, Kurse über Lernstrategien, „study skills“, anbieten, um ihnen bei der akademischen Sozialisierung zu helfen. Ebenso müssen Studierende angeleitet werden, ihre Stereotype und Vorurteile zu erkennen und zu überwinden. Das vermeidet emotionalen Stress und ermöglicht Studierenden aus unterschiedlichen kulturellen Gruppen, ihre Potenziale voll auszuschöpfen.

Zweitens sollte das akademische, administrative und technische Personal darin geschult werden, in einem multikulturellen Umfeld zu arbeiten, Konflikte zu bewältigen und mit Extremen umzugehen. Führende akademische Institutionen haben bereits Leitfäden zu diesem Thema veröffentlicht, so dass eine Fakultät, die sich auf dieses Thema spezialisieren möchte, nicht bei null anfangen muss.

Während die Hochschulbildung früher elitär organisiert war, öffnen sich die akademischen Institute heute weltweit für ein vielfältiges Publikum und stehen vor der Herausforderung der Multikulturalität.