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Kita des Jahres

Moderne, gute Pädagogik

Das „Familienzentrum Olgakrippe“ in Heilbronn gibt den Kindern größtmögliche Eigenverantwortung. Ein Besuch in der frischgekürten „Kita des Jahres“.

„Obst und Gemüse sind bei den Kindern beliebt“, erzählt Hauswirtschaftsleiterin Hannah Weißhardt (re.). Heute gibt es frisches Apfelmus. (Foto: Anne Ackermann/ZEIT ONLINE)

In ein paar Sekunden wird sich die Tür zur „Kita des Jahres“ öffnen. Doch zuvor fällt der Blick auf eine quadratische, ins Trottoir eingelassene Bronzetafel, auf der ein chinesischer Sinnspruch steht: „Angst klopfte an, Vertrauen öffnete. Keiner war draußen.“ Es ist, das wird sich in den kommenden Stunden zeigen, ein maßgeschneidertes Motto für die „Olgakrippe“. Denn die Einrichtung in Heilbronn (Baden-Württemberg) wurde auch deshalb ausgezeichnet, weil sie über 120 Kindern zutraut, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.

Monika Karacic leitet die kommunale Einrichtung, die bevorzugt Kinder von Berufstätigen, Alleinerziehenden und aus Familien mit dem sogenannten §8a-Schein (Kindeswohlgefährdung) aufnimmt. Die lebhafte, fröhliche Frau kann sich derzeit kaum noch retten vor Anfragen. Auch von anderen Kitas, die wissen wollen, wie eine Einrichtung genau arbeitet, die das Bundesfamilienministerium und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) zur „Kita des Jahres“ gewählt haben. Die Jury würdigte vor allem die „besondere -Lern- und Veränderungsbereitschaft des Teams“ und „die außergewöhnlich große Beteiligung der Kinder“.

Eigenverantwortung der Kinder

Tatsächlich, erläutert Karacic, dürften die Kinder jede Menge selbst entscheiden. Zweimal im Jahr bestimmen sie bei den „Kindertagen“ das Tagesprogramm und nehmen selbst die Telefonate entgegen. Sie dürften also „Chef sein“, wie die Kinder sagen. Auch im Alltag haben die Kinder ein Höchstmaß an Eigenverantwortung. „Dass hier hellblau gestrichen wurde, verdanken wir den Kindern“, sagt Karacic und deutet auf eine Wand in einem der oberen Gruppenräume. „Die fanden weiß langweilig. Und da haben Sie ja eigentlich auch recht.“

Zudem gibt es einen „Kinderbeirat“, der jede Woche tagt und in geheimer Abstimmung gewählt wird. „Der entscheidet ganz schön viel“, berichtet Karacic. „Wie wir Feste feiern, was an Spielsachen angeschafft werden muss.“ Auch die Auswahl der Speisen werde von den Kindern mitbestimmt.

Hauswirtschaftsleiterin Hannah Weißhardt schaltet sich ein, sie hat geahnt, welche Frage kommen wird. „Viele glauben, dass die Kinder nur Eis und Pommes wollen“, sagt sie und zeigt auf den mit Fotos versehenen Speiseplan. „Aber heute haben sie sich zum Beispiel Tomatensuppe mit Croûtons gewünscht.“ Überhaupt sei sie „immer wieder erstaunt, wie beliebt auch Obst und Gemüse sind.“ Für sie ein Beweis von vielen, dass sie richtig liegen mit ihrer Bereitschaft, den Kindern etwas zuzutrauen.

„Das ist moderne, gute Pädagogik. Kinder haben von selbst den Drang, Verantwortung zu übernehmen. Es wäre fahrlässig, das nicht zu nutzen“ (Ola Bielesza)

So sieht es auch Ola Bielesza vom Expertenteam der Internationalen Akademie Berlin, die als Fachpartnerin der DKJS für die Kategorie „Kita des Jahres“ verantwortlich ist. Sie hat die „Olgakrippe“ auf Herz und Nieren überprüft und dabei verstärkt auf die Interaktionen zwischen den Fachkräften und den Kindern geachtet. „Wir haben sofort gemerkt, das ist ein hochmotiviertes Team, ständig im Prozess der Weiterentwicklung. Das ist moderne, gute Pädagogik. Kinder haben von selbst den Drang, Verantwortung zu übernehmen. Es wäre fahrlässig, das nicht zu nutzen“, sagt Bielesza, der auch der Ansatz gefällt, das Kita-Umfeld mitzunehmen.

Anlaufstelle im Stadtviertel

Tatsächlich versteht sich das „Familienzentrum Olgakrippe“ auch als Anlaufstelle für die Menschen im Stadtviertel. Angeboten werden – meist in einem separaten, durch den großen Spielplatz abgetrennten Gebäudetrakt – eine Nähwerkstatt, Yogakurse oder Seminare zu Erziehungsthemen. Am „Kulturzaun“, der die Einrichtung zur Straße abgrenzt, hängen in orangenen Umschlägen Kochrezepte, die die Passanten mitnehmen können.

Es mag die Kombination aus all diesen Aktivitäten sein, die eine „Kita des Jahres“ ausmacht. Oder es ist der Geist, der in der Einrichtung herrscht und der mit dem angstfreien Grundvertrauen zu tun hat, das im chinesischen Sinnspruch erwähnt wird. Vielleicht ist aber auch ein Satz aussagekräftiger, den Karacic nebenher beim Gang über den Flur sagt. In Berlin, bei der Preisverleihung, seien sie oft für ihre „vielen Projekte“ gelobt worden. Das Team aus Heilbronn habe bis dato gar nicht gemerkt, dass sie „Projekte“ durchführen. „Eigentlich machen wir nur unsere Arbeit.“ 

„Eigentlich machen wir nur unsere Arbeit.“ (Monica Karacic, Leiterin „Familienzentrum Olgakrippe“ / Foto: Olgakrippe)