Fotos: Thorsten Lesemann, Manfred Brinkmann
Von 2004 bis 2010 habe ich als Grund- und Hauptschullehrer an der Deutschen Schule Mexiko-Stadt Süd (Xochimilco), Alexander von Humboldt, gearbeitet. Insgesamt existieren drei deutsche Schulen bzw. Schulstandorte in Mexiko-Stadt. Das Bildungsangebot reicht vom Kindergarten bis Abitur und umfasste bis zu meiner Rückkehr 2010 auch das ISMAC (Berufsschule).
Standortkennzeichen Mexiko
Die Fläche Mexikos ist fünfmal so groß wie Deutschland, bei ca. 114 Millionen Einwohnern. Allein zwanzig Millionen Einwohner leben im Großraum Mexiko-Stadt und in den urbanen Satellitenstädten, die nahtlos in den angrenzenden Bundesstaat Estado de Mexico übergehen. Die mexikanische Hauptstadt liegt 2.200 m über dem Meeresspiegel.
Die Grundschule (Primaria) an der Deutschen Schule Mexiko begann mit dem Kindergarten (Maternal 1) und endete mit Klasse sieben. Sie war mehrzügig. Mein Einsatz fand als Fach- und Klassenlehrer von der Subprimaria bis zur vierten Klasse (Primaria baja) statt. Dies bedeutete Unterricht in den Fächern Deutsch und Mathematik, insbesondere Anfangsunterricht Deutsch (Lese- und Schreiblehrgang) sowie außerdem Fachunterricht Deutsch in der Klasse 5 – 7 (Primaria alta). Zu Beginn meiner Tätigkeit begann die Grundschule mit einer (vorgeschalteten) Subprimaria, aufsteigend bis Klasse 7 (Sexto), später fand dann die Umstellung auf Klasse 1 – 7 statt.
Besonderes Augenmerk
Vor Übersiedelung und Aufnahme meiner Tätigkeit erhielt ich vom damaligen Generalschulleiter die Anforderung „mit auf den Weg“, mit meinen mexikanischen KollegInnen „auf Augenhöhe“ zusammenzuarbeiten, was, da die übergroße Mehrheit meiner mexikanischen KollegInnen in der Grundschule m. E. auf demselben (modernen) Stand der Didaktik und Methodik arbeitete, rückblickend betrachtet - neben der Offenheit und dem Interesse für andere Kulturen und dem Verständnis sowie Gespür für kulturelle Gleichwürdigkeit - aus meiner heutigen Sicht eine der wichtigsten Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche schulische Arbeit im Ausland darstellt.
Wohn- und Verkehrssituation
Verbreitet ist das Leben hinter Mauern in gesicherten Wohnanlagen, die Rolle der „Eltern als Chauffeur“ aus Sicherheitsgründen, die motorisierte Gesellschaft in all ihren Facetten: einzuplanender Zeitverlust in den täglichen Verkehrsstaus der Hauptstadt, Führerscheinkauf im Supermarkt, Abgasbelästigung in den tiefer gelegenen Gebieten der Hauptstadt trotz halbjährlicher Abgasuntersuchungen (Fahrzeuge ab einem Alter von 8 Jahren unterliegen einem eintägigen Fahrverbot pro Woche).
Es existieren große bzw. deutlich sichtbarere soziale Disparitäten als in Deutschland. In- wie Ausländer leben mit Kriminalitäts- und Erdbebengefahr. Gleichzeitig gibt es vielfältige, wahrnehmbare Indigene Kulturen, die meist zu den Wohlstandsverlierern zählen. Damit einher geht ein abundantes Kulturangebot.
Für mich ist Mexiko-Stadt eine der Weltkulturhauptstädte, gekennzeichnet durch eine stolze, reichhaltige und wahrnehmbare prähispanische Kulturgeschichte (Mayas, Azteken, Olmeken, Tolteken, Zapoteken über das gesamte mexikanische Territorium verteilt) - ein Erbe, das wieder entdeckt und gepflegt wird. Lohnenswert in unmittelbarer Nähe ist u. a. die Pyramidenstadt Teotihuacan im Norden der Stadt in Tagesreichweite.
Faszinierende Natur im Umland
Dazu kommt eine reichhaltige Gegenwartskultur mit unzähligen Museen, (Kunst)Ausstellungen, Konzerten, Theatern, Tanz- und Ballettpräsentationen (Bellas Artes, Präsidentenpalast, Museo Dolores Olmedo, Frida Kahlo Museum in Coyocan, Museo Nacional de Antropologia, Kathedrale auf den Ruinen der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan, Wallfahrtskirche Basilika de Guadelupe, Torre Latinoamericana u. v. a. m.)
Vom Torre Latinamericano hat man beispielsweise einen im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Blick aus dem in der Mitte des Valle de Mexico liegenden Zentrums von Mexiko-Stadt auf die in 60 km Luftlinie entfernt liegenden Vulkane Iztaccihuatl und Popocatepetl. Lohnenswerte Tagesausflüge bieten sich an mit Wandermöglichkeiten auf den Ajusco und den Paso de Cortes auf 3800 m Höhe. Von hier oben hat man bei klarer Sicht einen faszinierenden Blick auf vier der „Mexican Big 5“ Vulkane)
Großer Nationalstolz
All dies führt zusammen mit einer – sagen wir – von Kindesbeinen anerzogenen Haltung, Resultat einer mindestens nationalbewusst zu nennenden Erziehung (jeden Montag findet in allen Schulen des Landes eine Zeremonie mit Fahnenappell, Spielen und Singen der Nationalhymne statt, selbst bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit kommen zuerst mexikanische Flagge und Hymne: „siempre Mexico primero“) zu einem (National)Stolz der Menschen, den man respektieren lernen muss und der einen wichtigen, nicht zu unterschätzenden Faktor im Umgang mit den Menschen im Allgemeinen und den KollegInnen, MitarbeiterInnen und Eltern der Schule im Besonderen darstellt.
Soziale Situation eines deutschen Ehepaares im Auslandschuldienst
Ob der jahrelangen Erfahrung der mexikanischen KollegInnen mit der großen Fluktuation an der Deutschen Schule muss man in Mexiko „dicke Bretter“ bohren, um sich aus der sozialen Einsamkeit oder der „Käseglocke“ der deutschen (Lehrer)Gemeinschaft heraus zu begeben. Empfehlenswert ist der Aufbau von schulunabhängigen Kontakten von Anfang an: Wir haben uns ein eigenes, bis heute währendes soziales Netzwerk aufgebaut, indem wir einem deutsch-mexikanischen Chor beigetreten sind, was zu vielen intensiven, sozialen Kontakten (und überaus interessanten Auftritten und Auftrittsorten) führte.
Genauso wichtig für einen auf einen längeren, erfolgreichen Verbleib im Gastland abzielenden Aufenthalt war (und ist) der Weitblick des Generalschulleiters, für (m)eine in Deutschland (nicht im Lehrberuf) berufstätige Ehefrau die Möglichkeit für eine (nicht lehrende) Tätigkeit an der Deutschen Schule zu schaffen; dies gilt – wie in unserem Fall – verstärkt für kinderlose Paare.
Mexikanische Eigenheiten und soziokulturelle Differenzen
Mexikaner unterscheiden sich in ihrem kollektivem Bewusstsein und Verhalten in zwei Punkten in sehr wesentlicher Weise von deutschen (anerzogenen) Werte-Vorstellungen. In Mexiko ist Höflichkeit wichtiger als Wahrheit: Können beispielsweise Termine nicht eingehalten werden, wird nicht etwa abgesagt, sondern man kommt nicht und lässt bis zum Wiedersehen einfach „Gras über die Sache“ wachsen; ein Anruf, eine Absage käme einem Eingeständnis, etwas nicht realisieren zu können, und damit einem Gesichtsverlust gleich.
Auffällig in den sechs Jahren in Mexiko war und blieb auch die große Hilfsbereitschaft Ausländern gegenüber. So haben wir uns persönlich nie bedroht, sondern (fälschlicherweise oder gefährlicherweise?) unter Beachtung allgemeingültiger (Sicherheits)Regeln immer sicher und „aufgehoben“ gefühlt! Soziale Kontakte und Freundschaften spielen bei der erfolgreichen täglichen Lebensbewältigung durchaus eine große Rolle.
Ein anekdotenhaftes Beispiel: Fragt man einen Mexikaner nach dem Weg (, den dieser offensichtlich nicht sicher kennt,) so bekommt man immer eine Antwort, die auch schon einmal ins Leere führen kann: eine Nichtantwort gälte als unhöflich …
Beide Beispiele sind durchaus typisch zu nennende, (kummervolle) Erfahrungen, die man als Deutscher durchleben und durchaus vielleicht auch durchleiden muss, bis man den (mexikanischen) Kern, der m. E. darin steckt, erkennt.
Arbeit an der Schule
Zu Beginn meiner Tätigkeit waren an der Primaria (Grundschule) vier ADLK im Einsatz (1 Schulleiter, 1 Koordinator sowie 2 als Fach- und Klassenlehrkräfte eingesetzte KollegInnen). Dies war der Tatsache geschuldet, dass die Primaria über 7 Jahrgänge verteilt sechszügig war. Setzt man einen Schlüssel von durchschnittlich 20 SchülerInnen an, so kam man alleine in der Primaria (ohne Vorklasse und Kindergarten) auf rund 840 Kinder, die - mit Ausnahme der Muttersprachenklassen – lediglich in den Fächern Deutsch und Mathematik auf Deutsch unterrichtet wurden.
Gekennzeichnet war die Arbeit insbesondere durch Erteilung von fünf Zeugnissen (plus ein sich daraus ergebendes sechstes Gesamtzeugnis). Dies führt(e) zu einer für deutsche Verhältnisse ungewohnten, sehr engmaschigen Testung schriftlicher wie mündlicher Leistungen beginnend ab der 1. Klasse (bzw. anfangs ab der Subprimaria).
Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es eine Muttersprachenklasse, eine so genannte Bilingue-Klasse, in die besonders sprachtalentierte Kinder sowie Kinder mit deutschsprachigen Familienmitgliedern in der Eltern oder Großelterngeneration gingen, sowie 4 reine DAF-Klassen. All diese Kinder wurden in der Subprimaria zuerst auf Deutsch alphabetisiert und sukzessive in ihrer Muttersprache.
Dieses System wurde im weiteren Verlauf meiner Tätigkeit umgestellt auf eine Muttersprachenklasse sowie 5 DAF-Klassen, so dass besonders sprachstarke Kinder sozusagen als „Zugmaschinen“ gleichmäßig auf alle Klassen verteilt und auf Spanisch und Deutsch alphabetisiert wurden.