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Nachhaltiges Lernen

Menschen zu Akteuren des Wandels machen

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat kürzlich „Empfehlungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Arbeitswelt“ vorgelegt. Im E&W-Interview erläutert der ehemalige DGB- und heutige RNE-Vorsitzende Reiner Hoffmann diese.

„Klima- und Artenschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Die damit verbundenen Kosten müssen fair geteilt werden. Gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen müssen sich nachhaltige Lebensweisen auch leisten können.“ (Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE))
  • E&W: Mehr als technische Aspekte wird am Ende der soziale Faktor entscheiden, ob eine nachhaltige Zukunft gelingt. Gab es einen Grund, die Empfehlungen just zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen?

Reiner Hoffmann: Das Thema war in der Tat unterbelichtet. Als der Rat sich im März 2023 neu konstituierte, hat er sich zum Ziel gesetzt, verstärkt die soziale und die wirtschaftliche Dimension der sozialökologischen Transformation in den Blick zu nehmen.

  • E&W: Der Rat spricht in seiner Stellungnahme von der „inklusiven Gesellschaft“. Was meint er damit?

Hoffmann: Unser Verständnis von Nachhaltigkeit fußt heute auf drei Säulen: der ökologischen, völlig klar, aber eben auch der sozialen und ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit. Wir sind uns im Klaren, da gibt es auch massive Zielkonflikte. Klima- und Artenschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Die damit verbundenen Kosten müssen fair geteilt werden. Gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen müssen sich nachhaltige Lebensweisen auch leisten können.

  • E&W: Wie ist es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bestellt?

Hoffmann: Wir erleben eine deutliche Polarisierung in unserer Gesellschaft. Das ist in der Debatte um das Gebäudeenergiegesetz deutlich geworden. Bis dahin war Klimaschutz für viele ein abstraktes Thema. Erfreulich ist, dass er gleichwohl von 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger als wichtig anerkannt wird. Am deutlichsten ist das Thema bislang in den Betrieben angekommen. Dort haben die Gewerkschaften das Thema Nachhaltigkeit häufig schon früh proaktiv angepackt. Dabei hat Weiterbildung eine hohe Priorität, wenn es darum geht, die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft zu gestalten.

  • E&W: Viele Menschen fühlen sich von diesen Veränderungen bedroht, sorgen sich um ihre berufliche Zukunft, haben Angst vor sozialem Abstieg.

Hoffmann: Unser Anspruch ist es, Nachhaltigkeit zum Gewinnerthema zu machen. Wir müssen diese Bedenken ernst nehmen und ihnen eine positive Vision entgegensetzen, damit das Thema nicht von rechten Gruppen wie der AfD übernommen wird. Wir müssen Lust auf Veränderung machen, zeigen, dass Nachhaltigkeit nicht nur Verzicht bedeutet, sondern die Lebensqualität verbessert. Für den Rat ist die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts zentral. Die Politik vermittelt den Eindruck: Wir machen das schon für euch. Dabei setzt sie vor allem auf technische Innovationen. Besser wäre es, soziale Innovationen stärker in den Blick zu nehmen und die Menschen zu Akteuren des Wandels zu machen.

  • E&W: Was muss getan werden, um die Chancen der sozialökologischen Transformation zu erhöhen?

Hoffmann: Für die Transformation sind enorme Investitionen notwendig, private, aber eben auch öffentliche. Da gibt es zwei Stellschrauben: Wir müssen die Einnahmeseite des Staates verbessern – da müssen wir auch über höhere Steuern sprechen –, und wir müssen über die Schuldenbremse reden. Wir sind uns im Rat einig, dass wir eine Reform brauchen, um die nötigen Investitionen zu stemmen. Die Transformation wird zudem nur gelingen, wenn sie auch gerecht ist. Deshalb benötigen wir bei der CO2-Bepreisung, die in den kommenden Jahren deutlich nach oben gehen wird, eine echte Entlastung der unteren und mittleren Einkommen über ein sozial und regional gestaffeltes Klimageld. Nur so werden wir die notwendige Akzeptanz erreichen.

  • E&W: Welche Vorschläge hat der Rat mit Blick auf die Arbeitswelt?

Hoffmann: Wir müssen frühzeitig antizipieren, wo sich neue Beschäftigungsfelder erschließen lassen und die Menschen in diese Richtung qualifizieren. Steht ein Wechsel an, möglicherweise nicht im gleichen Betrieb, nicht in der gleichen Branche, dann sind zwei Stellschrauben ganz wichtig: dass wir frühzeitig Weiterbildungsangebote machen und die neuen Jobs in Unternehmen mit Tarifverträgen angeboten werden. Das geht nur mit einer deutlich höheren Tarifbindung. Alles andere verunsichert die Menschen. Sie gehen dann den Weg nicht mit. Die Möglichkeit zur Partizipation in den neuen Beschäftigungsfeldern muss unterstützt werden durch Personal- und Betriebsräte. Ohne die wird es nicht gehen.

  • E&W: Wie sieht es aktuell aus?

Hoffmann: Ein Jobwechsel mit Einkommensverlust ist kein Gewinnerthema. Ganz anders sieht es aus, wenn Beschäftigte aus guten Jobs auf Stellen wechseln, die auch gut bezahlt werden und zudem noch ökologisch nachhaltig sind. Das steigert auch die Identifikation mit ihrer Arbeit. Das erleben wir gerade bei jungen Menschen. Sie haben oft eine große intrinsische Motivation, gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten zu machen, sie brauchen aber auch Sicherheit und keine befristeten, prekären Beschäftigungsverhältnisse.

  • E&W: Welche Schlussfolgerungen zieht der Rat daraus?

Hoffmann: Gute Bildung, Qualifikation und Zukunftsoptimismus hängen eng zusammen. Die Grundlage dafür wird in der Schule gelegt. Wir haben zu viele Defizite und orientieren uns häufig auf funktionale Bildung wie Deutsch, Mathe und so weiter. Bildung darf aber nicht nur Beschäftigungsfähigkeit zum Gegenstand haben, sondern muss eine breite Allgemeinbildung vermitteln. Das ist auch ein Beitrag zur Stabilisierung unserer Demokratie. Teilhabe geht nur mit einer umfassenden Bildung. Und die darf gerne auch Spaß machen. Das gelingt mit anständigen Unterrichtsbedingungen und ausreichend und gut ausgebildeten, motivierten Lehrkräften.

  • E&W: Alle Studien zeigen, dass das deutsche Schulsystem dringend der Modernisierung bedarf.

Hoffmann: Deshalb fordern wir einen ressortübergreifenden Bildungsgipfel unter Einbeziehung der Bundesländer. Wichtig ist, dass wir nicht einzelne Sektoren anschauen, sondern die Bildungskette in ihrer Gesamtheit zu verbindlichen Absprachen kommt. Fast drei Millionen Menschen im Alter von 25 bis 34 Jahren haben keinen berufsqualifizierenden Abschluss. Jedes Jahr kommen 50.000 Jugendliche auf den Arbeitsmarkt, die noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss besitzen. Eine enorme Vergeudung von Ressourcen. Ganz abgesehen von den sozialen Konsequenzen.