Berufsbildende Schulen
Mehr Zeit, mehr Wissen, besseres Prestige
Während der Bundestag Ende vergangener Woche Änderungen am Berufsbildungsgesetz beschloss, schärften gleichzeitig rund 100 Teilnehmende auf einer GEW-Tagung in Bonn den Sinn für die Potenziale der „Berufsbildende Schulen mit Zukunft“.
Die Tagung der GEW, die deren Vorsitzende Maike Finnern mit den wertschätzenden Worten „Ihr leistet trotz herausfordernder Bedingungen sehr gute Arbeit“, eröffnete, machte deutlich: Bei vielen Lehrkräften an den Berufsbildenden Schulen sitzt der Verdruss über die Umstände ihres täglichen Wirkens tief. Dennoch stand der Tenor im Vordergrund: Es bringt nichts, nur über die Zustände zu jammern, es müssen Lösungen entwickelt werden – im Interesse der Lernenden, aber auch mit Blick auf die Gesundheit der Beschäftigten. Und es muss mehr dafür getan werden, den Wert der Berufsbildenden Schulen und die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen gesellschaftlich sichtbarer zu machen.
„Die Länder doktern an Maßnahmen herum, aber es gibt keine klare Strategie.“ (Herbert Hannebaum)
Diese Haltung prägte die sieben Foren. So auch in jener Gruppe, die sich mit dem Lehrkräfte- und Personalbedarf beschäftigte. Schnell herrschte Einigkeit darüber, dass es angesichts ständig steigender Aufgaben an Zeit für die eigentliche Aufgabe („Wir wollen unterrichten“) mangelt. Das geht selbstredend einher mit fehlendem Personal. Moderator Herbert Hannebaum (GEW Berlin) fasste die vorherrschende Meinung zusammen: „Die Länder doktern an Maßnahmen herum, aber es gibt keine klare Strategie.“
Eine länderübergreifende Zusammenarbeit, vor allem aber eine bedarfsorientierte Planung und Suche nach Personal lauteten zwei Forderungen, auch wenn Michael Futterer (GEW Baden-Württemberg) fürchtet: „Im Zweifelsfall halten sich Länder einfach nicht an Absprachen.“ Sehr differenziert beschäftigten sich die Teilnehmenden mit der Frage des Quereinstiegs. Den Ein-Fach-Master sahen viele als Chance, berufserfahrene Menschen anderer Professionen für die Arbeit an den Schulen zu gewinnen. Allerdings herrschte auch Einigkeit, dass dies nicht die Tür für die Abschaffung des grundständigen Lehramtsstudiums für Berufsbildende Schulen öffnen dürfe.
Digitalisierung und ihre Folgen
Keine Zweifel herrschten im Forum „Digitalisierung/Transformation“ über den Wert des zunehmenden Einsatzes neuer Medien. Doch auch hier fiel immer wieder das Stichwort „Zeit“. Birgita Dusse, Referentin „Bildung in der digitalen Welt“ beim GEW-Hauptvorstand, hob hervor, dass diese erforderlich sei für Fortbildungen, aber auch für die Beschäftigung mit dem „was Digitalisierung mit uns als Menschen macht.“ Das Bewusstsein etwa für die damit verbundene Beschleunigung, Entgrenzung und den verantwortungsvollen Umgang mit Daten müsse bei Lehrkräften, aber auch bei den Lernenden geschärft werden.
Die Arbeitsgruppe verdeutlichte den Rollenwechsel der Lehrkräfte, verlangte aber unter anderem, dass Digitalisierung nicht zu unbezahlter Mehrarbeit führen dürfe. Darum stelle sich die Frage, wer die Ausstattung auf dem nun erreichten Level halte, meinte etwa Conny Rubach (GEW Berlin). Die Gruppe verlangte auch die Bereitschaft, Prozesse zu evaluieren und gegebenenfalls anzupassen.
Es geht darum, bei der Digitalisierung das richtige Maß zu finden.“ (Conny Rubach)
Dass insgesamt noch viele Dinge zu klären sein, machte Björn Rützenhoff (GEW Nordrhein-Westfalen) deutlich. In seinem Bundesland sollten laut Ausbildungsordnung alle an Berufskollegs Lernenden die Möglichkeit haben, 20 bis 40 Prozent ihrer Ausbildung online wahrzunehmen. „Für uns bedeutet das, dass wir alle Fächer, abgesehen beispielsweise von Sport, synchron sowohl digital als auch analog aufbereiten müssen“, meinte er. Außerdem sei neben vielem anderen zu regeln, wie Lehrkräfte die Lernenden im Online-Unterricht betreuen und wie es um die Chancengerechtigkeit stehe („welche Ausstattung und Unterstützung finden Schülerinnen und Schüler daheim“). Conny Rubach bilanzierte: „Es geht darum, bei der Digitalisierung das richtige Maß zu finden.“
Weiterer Lehrkräftemangel absehbar
Intensiv diskutierte das Plenum über Gelingensbedingungen und Herausforderungen für die Berufsbildenden Schulen. Dabei bezeichnete Monika Hackel, Abteilungsleiterin Struktur und Ordnung der Berufsbildung beim Bundesinstitut für Berufsbildung, die Schulen als „exzellente Lernorte, die den Kontakt zu Betrieben noch intensivieren und zusätzliche Lernortkooperationen eingehen könnten.“ Die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Elke Hannack, forderte eine bessere Ausstattung der Berufsbildenden Schulen („Sonst fallen sie zurück“), erteilte einer Zentralisierung von Standorten eine Absage und wünschte sich ein stärkeres Einbringen der Betriebe bei Lernortkooperationen. Sie warnte: „Das Durchschnittsalter in den Kollegien ist 50 Jahre. Da ist weiterer Lehrkräftemangel absehbar.“
Cornelia Baden (KMK) appellierte an die Innovationsfähigkeit der Berufsbildenden Schulen und wünschte sich, dass diese in dieser Hinsicht eine „stärkere proaktive Rolle einnehmen.“ Barbara Dorn (BDA) erinnerte an das große internationale Ansehen der dualen Ausbildung in Deutschland, plädierte für mehr Autonomie der Schulen und einen Ein-Fach-Master für quereinsteigende Lehrkräfte.
Mehr Forschung erforderlich
Ralf Becker (GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung) erinnerte daran, dass „wir Zeit für pädagogische Beziehungen benötigen“. Er forderte, dass Fördergelder stärker nach sozialen Kriterien verteilt werden und brachte kein Verständnis dafür auf, dass in manchen Bundesländern Berufsbildende Schulen nicht vom Startchancenprogramm der Bundesregierung profitierten. Darauf versprach Johanna Börsch-Supan (Abteilungsleiterin Allgemeine und berufliche Bildung BMBF) solche Anregungen als „wertvoll“ mitzunehmen und mitzudenken. Sie sei überzeugt, dass der „Pakt für berufliche Schulen deren Sichtbarkeit und Gleichwertigkeit gegenüber der akademischen Ausbildung deutlich macht.“ Zugleich stimmte sie Prof. Birgit Ziegler (TU Darmstadt) zu, dass es einer systematischeren und stärkerer Forschung über sinnvolle Rahmenbedingungen und die Wirkung der Berufsbildenden Schulen bedürfe.
Ziegler hatte nicht nur den Einführungsvortrag gehalten, sondern wies in der Diskussionsrunde daraufhin, dass „wir mehr Wissen benötigen, um die Schulentwicklung voranzutreiben.“ Zugleich forderte sie: „Es muss mehr geschehen, um die Bedeutung dieser Schulform in Gesellschaft und Politik zu verdeutlichen. Insbesondere die Entscheidungsträger in der Politik wissen zu wenig darüber.“ Der Applaus des Plenums war ihr gewiss.