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Lehrkräfteausbildung

Mehr Praxis, weniger Prüfungen

Rund 1.000 Abiturientinnen und Abiturienten beginnen in Mecklenburg-Vorpommern jährlich ein Lehramtsstudium. Nur gut die Hälfte schließt es auch erfolgreich ab. Das Land will das mit einer Ausbildungsreform ändern.

Als Dinah Hamm vor sechs Jahren ihr Lehramtsstudium an der Universität Greifswald begann, war der Studienalltag kein Zuckerschlecken. Prüfung reihte sich an Prüfung, Hausarbeiten drängten sich in den Semesterferien so sehr, dass sie schon während der Vorlesungszeit damit anfangen musste – neben Lehrbetrieb und Prüfungsphase. Berufsbezug? Wenig. Die Fachdidaktik an der Hochschule war finanziell schlecht ausgestattet. Die Frage, wie Uni-Wissen in der Schule umgesetzt wird, wurde nur selten thematisiert. Praxiserfahrung? Lange Fehlanzeige. Erst im vierten Semester saß Hamm zum ersten Mal im Unterricht an einer Regionalschule.

Bis 2030 fehlen nach GEW-Berechnungen in Mecklenburg-Vorpommern 8.700 Lehrkräfte. Vier von fünf Lehrkräften gehen bis dahin in den Ruhestand, gleichzeitig steigen die Geburtenrate und die Teilzeitquote der jungen Lehrkräfte. Um die frei werdenden Stellen zu besetzen, braucht Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) dringend Nachwuchs von den Hochschulen. Knapp 1.000 Abiturientinnen und Abiturienten beginnen jedes Jahr an den Universitäten in Rostock und Greifswald ein Lehramtsstudium. Doch nach einer 2018 veröffentlichten Studie des Rostocker Schulpädagogen Falk Radisch brechen – je nach Schulform – zwischen 30 und 85 Prozent ihr Studium ab. Fazit: Im Schnitt kommt nur gut die Hälfte der Studienanfänger ans Ziel. Eine alarmierende Bilanz. „Damit war unstrittig, dass sich in der Lehramtsausbildung etwas ändern muss“, sagt Kathrin Mahlau, Professorin für Sonderpädagogik an der Universität Greifswald, zuständig für Lehrerbildung an der Hochschule.

Drei-Säulen-Reform

1,1 Millionen Euro für zusätzliche Stellen in der Lehrerausbildung will das Land jetzt zur Verfügung stellen, mit bis zu 200.000 Euro für Fahrtkosten möchte es Studierende unterstützen, die ihre Praktika außerhalb der großen Uni-Städte machen. Zudem analysierte im Auftrag des Bildungsministeriums Anfang 2019 eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Rektoren, Studierenden, Schulleitungen, Prorektoren und Experten für Lehrerbildung, woran es hakt, und entwickelte ein Maßnahmenpaket für eine Studienreform. Auch Studentin Hamm war als Fachschaftsvertreterin dabei. „Der Diskussionsprozess war überfällig“, sagt sie.

Die kürzlich eingeleitete Reform besteht aus drei Säulen: eine bessere Eignungsprüfung und individuellere Betreuung der Studienanfänger, mehr Bezug zum Schulalltag in der universitären Ausbildung und eine Reduzierung der Prüfungslast. Seit dem Semesterstart sammeln die Universitäten Erfahrungen mit der Umsetzung. In einem Online-Eignungstest können Studierende vor Studienbeginn ihre Kompetenzen mit den Berufsanforderungen abgleichen, in einer Studieneingangswoche werden sie von Tutorinnen und Tutoren in Kleingruppen auf den Studienstart vorbereitet. Was kommt auf uns zu? Was heißt es, Lehrkraft zu sein? „Pflicht sind diese Angebote allerdings noch nicht“, sagt Carolin Retzlaff-Fürst, Direktorin des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung in Rostock. „Denn dafür müssen wir andere Pflichtmodule im Studium streichen.“

Ebenfalls auf Freiwilligkeit setzen die Hochschulen, um den Berufsweltbezug im Studium zu stärken. Vor Semesterbeginn wurden mit den Institutsleitungen der Fachwissenschaften Gespräche geführt: Wie können die Dozentinnen und Dozenten mehr Schulrelevanz in ihre Lehrveranstaltungen bringen, egal ob Biologie, Mathe oder Deutsch? Wo können sie mit Fachdidaktikern zusammenarbeiten? Wo können sie die Fachwissenschaft mehr mit der Schulpraxis verknüpfen, zum Beispiel in schulpraktischen Übungen. 50 Mentorinnen und Mentoren im Jahr wollen die Hochschulen bis 2023 zudem ausbilden, um die Studierenden an Praxistagen in der Schule zu begleiten, so Retzlaff-Fürst.

„Wir brauchen endlich ein Konzept für die Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes, in der auch Prüfungs- und Studieninhalte neu definiert werden.“ (Maik Walm)

Nicht kurzfristig umzusetzen ist die Reduzierung der vielen Prüfungen im Lehramtsstudium: Sechs bis neun Prüfungen im Semester sind es derzeit. „Dafür müssten sich die Zuschnitte der Leistungsmodule im Studium ändern“, so Expertin Mahlau aus Greifswald. Um wenigstens Belastungen zu reduzieren, erarbeiten die Universitäten derzeit Empfehlungen für Fächerkombinationen, die sich ohne Überschneidungen bei Prüfungsterminen studieren lassen. Mahlau: „Wie viel all diese Maßnahmen bringen, überprüfen wir in jährlichen Evaluationen.“

Der GEW geht das zu langsam und nicht weit genug. „Wir brauchen endlich ein Konzept für die Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes, in der auch Prüfungs- und Studieninhalte neu definiert werden“, sagt der GEW-Landesvorsitzende Maik Walm. Schon 2014 haben Bildungsexperten für das Zukunftsforum Lehrerbildung der GEW Vorschläge für die Reform der Lehrkräftebildung entwickelt. Die Forderungen: mehr Schulbezug in der fachwissenschaftlichen Ausbildung, mehr fachdidaktische Pflichtanteile, dafür weniger fachwissenschaftliche Module. Walm: „Über den genauen Umfang müssten wir gemeinsam diskutieren.“ Zudem brauche es mehr inklusionspädagogische Inhalte im Studium. „Die Universitäten müssen jetzt ernsthaft zeigen, dass das Lehramtsstudium nicht länger das fünfte Rad am Wagen bleibt.“