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Kommentar

Mehr politische Bildung

Wir brauchen kein wehrhaftes Demokratiegesetz, sondern ein Regelwerk, das Demokratie fördert. Demokratiebildung und politische Bildung meint nicht nur Wissen, sondern auch die Herausbildung einer kritischen mentalen Grundhaltung.

(Foto: Pixabay/Alexas_Fotos)

Eine Hausaufgabe, die die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode nicht erledigt hat, ist die Verabschiedung eines Gesetzes zur Demokratieförderung und politischen Bildung. Es wurde zwar über – so die beiden alternativen Arbeitstitel – ein „Demokratieförderungsgesetz“ oder ein „wehrhaftes Demokratiegesetz“ diskutiert, aber eine Verabschiedung letztlich von den Unionsparteien blockiert.

Bisher werden außerschulische politische Bildung und Demokratieförderung des Bundes vor allem über den Kinder- und Jugendplan (KJP) sowie das große Programm „Demokratie leben“ ermöglicht. Beides sind Projektförderungen, die zeitlich befristet sind und immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Das erlaubt den Trägern und Beschäftigten mit Blick auf längerfristige Planungen, das Erreichen weiterer Zielgruppen sowie die notwendigen Kontinuitäten ihrer Angebote und Formate kaum Sicherheit und Gewissheit.

Demokratie mit Leben füllen

Es ist in der Politik und Gesellschaft weitgehend Konsens, dass die schulische und außerschulische politische Bildung vor dem Hintergrund tiefgreifender gesellschaftlicher Entwicklungen und Umbrüche eine große Bedeutung hat und die Demokratieentwicklung wesentlich beeinflusst. Nur politisch aufgeklärte, informierte und engagierte Bürgerinnen und Bürger tragen und füllen eine offene, liberale und menschenrechtsbasierte Demokratie mit Leben und gehören zu den Trägern politischer Willensbildungsprozesse in einer demokratischen Öffentlichkeit.

Vor allem die Demokratie gefährdenden Entwicklungen – der rechte Populismus und Extremismus, die Daten zum Antisemitismus, Rassismus und insgesamt zu menschenfeindlichen Orientierungen bis hin zum Wahlverhalten – haben in der Geschichte der Bundesrepublik die Bedeutung der politischen Bildung erneut und nachdrücklich deutlich gemacht. Aktuell begründet die Corona-Pandemie – verstanden als Krisenerfahrung und „Stresstest für die Demokratie“ – mit Blick auf die Grundrechte und deren Einschränkungen die Bedeutung der politischen Bildung.

Grundausstattung und Grunderfahrung der jungen Generation 

Auch der 16. Kinder- und Jugendbericht (KJB) hat aktuell mit dem Titel „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“ differenziert begründet, warum Demokratiebildung und politische Bildung zur Grundausstattung und Grunderfahrung der jungen Generation gehören. Sie müssen in der Schule in allen Stufen und als Schulkultur einen Stellenwert haben, der dem anderer Fächer entspricht und nicht mehr aufgrund fehlender Lehrerinnen und Lehrer wiederholt von ausbildungsfremdem Bildungspersonal angeboten werden muss.

Im außerschulischen Bereich begründet der KJB die Bedeutung und den Ausbau der politischen Bildung von der Kita über die Jugendarbeit bis zur beruflichen Bildung und Arbeitswelt. Dabei meinen Demokratiebildung und politische Bildung nicht nur Wissen, sondern immer auch die Herausbildung einer kritischen mentalen Grundhaltung und politische Selbstpositionierung, wirkliche Partizipation und die Erfahrung von Demokratie oder demokratischer Praktiken im Austausch mit anderen.

Parteiisch und kontrovers

Ein weiteres Merkmal: Politische Bildung ist nie neutral, sondern im Rahmen der demokratischen Verfassungsgrundlagen immer kritisch und emanzipatorisch, menschenrechtsbasiert und parteiisch, kontrovers und diskursiv. Dies zu betonen ist wichtig, weil von rechtspopulistischer Seite in vielen parlamentarischen Anfragen mit der angeblich gebotenen „Neutralität“ argumentiert und hier der für die schulische politische Bildung bedeutsame „Beutelsbacher Konsens“ – der die drei Prinzipien „Überwältigungsverbot“, „Kontroversitätsgebot“ und „Schülerorientierung“ formuliert hat – instrumentalisiert wird.

Wir brauchen kein „wehrhaftes Demokratiegesetz“, das mehr defensiv ausgerichtet ist und sich aus den Logiken der Gefahrenabwehr und Deradikalisierung, des Sicherheits-/Präventivdenkens begründet, sondern ein Demokratieförderungsgesetz, das politische Bildung absichert und als Daueraufgabe einer demokratischen Gesellschaft versteht, das offensiv und inklusiv, einladend und partizipativ ist.

Neue Zielgruppen erreichen

Vor allem würde eine gesetzliche Grundlage den Trägern und Beschäftigten ermöglichen, noch kreativer und innovativer, mit neuen und gerade auch niedrigschwelligen Zugängen und Formaten auch solche Zielgruppen zu erreichen, die in prekären Verhältnissen arbeiten und leben, die als bildungs- und politikfern, demokratiedistanziert und wahlabstinent bezeichnet werden.

Dies gesetzlich zu regeln und ein „Recht auf politische Bildung“ zu fixieren, gehört zu den dringlich gebotenen Hausaufgaben, die in der nächsten Legislaturperiode anstehen.