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fair childhood - Bildung statt Kinderarbeit

Mehr Kinderarbeit auf den Kakaofeldern

90 Tafeln Schokolade werden in Deutschland im Schnitt jährlich pro Kopf gegessen – und in vielen steckt Kinderarbeit. Das wird sich erst ändern, wenn die Erzeugerfamilien von der Ernte auch leben können.

Von einer herkömmlichen Tafel Schokolade für 89 Cent kommen nur fünf bis sieben Cent bei den Kakaobäuerinnen und -bauern an. (Foto: pixabay/liesel24)

Marie-Jeanne Kombo kennt die Erschöpfung und den Schmerz. Als Kind hat sie Kakaoschoten aufgelesen und die schweren Säcke zu Sammelstellen getragen. Sie hat stundenlang die Bohnen aus der harten Schale gepult und zum Trocknen auf Gestelle gehievt. Oder ihre Brüder verarztet, wenn diese sich wieder an der scharfen Klinge der Machete verletzt hatten, mit der sie die Felder säuberten, oder wieder Ausschläge und Kopfschmerzen durch die giftigen Pestizide bekamen.

Doch Kombo hatte Glück. Sie konnte die Schule besuchen, wurde Lehrerin. Heute ist sie Generalsekretärin von SYNADEEPCI, einem Mitglied der Bildungsinternationale (BI). Für die nationale Gewerkschaft UGTCI der Elfenbeinküste koordiniert sie außerdem den Kampf gegen Kinderarbeit auf Kakaoplantagen. Und der ist wichtiger denn je.

Denn Kinderarbeit hat in Westafrika – von dort kommen zwei Drittel des weltweit verarbeiteten Kakaos – weiter zugenommen. Das belegte vor kurzem eine Studie der Universität Chicago. Demnach werden in den beiden Hauptanbauländern Ghana und der Elfenbeinküste noch immer 1,6 Millionen Kinder ausgebeutet, etliche davon wie Sklaven – 14 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Fast jede zweite Farm sei davon betroffen, so die Studie.

„Kinder müssen noch immer auf Kakaoplantagen arbeiten, weil die Familien zu arm sind – deswegen müssen alle zum Einkommen der Familie beitragen.“ (Marie-Jeanne Kombo)

„Armut ist eine der Hauptursachen für Kinderarbeit“, sagt Andrea Fütterer vom Forum Fairer Handel. Generalsekretärin Kombo bestätigt das: „Kinder müssen noch immer auf Kakaoplantagen arbeiten, weil die Familien zu arm sind – deswegen müssen alle zum Einkommen der Familie beitragen.“ Manche Unternehmen rechtfertigen Kinderarbeit auch mit dem Mangel an Arbeitskräften; die wenigsten Kakaobauern können sich bezahlte Erntehelfer leisten. An Wanderarbeitern fehlt es seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie ohnehin. Und weil viele Schulen wegen der Pandemie schlossen, wurden noch mehr Kinder und Teenager auf die Kakaofelder geschickt. Viele von ihnen seien für die Schulen für immer verloren, befürchten Gewerkschaftsvertreter.

Eltern sensibilisieren

Wo Schulen geschlossen sind und Pädagogen abgezogen wurden, haben Lehrerinnen und Lehrer jedoch kaum mehr Zugang zu den Schülerinnen und Schülern – und zu deren Eltern. Zwar ermutige die Mehrheit der Eltern ihre Kinder, zur Schule zu gehen. „Doch zu einigen dringen wir mit unserer Botschaft, dass eine qualitativ hochwertige Ausbildung wichtig ist, nicht durch“, sagt Kombo. „Es gibt Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder zwingen, die Schule wegen der Arbeit abzubrechen.“

Umso wichtiger sei es, dass Lehrkräfte die Eltern, aber auch Plantagenbesitzer oder Dorfälteste für die Auswirkungen von Kinderarbeit sensibilisieren. „In vielen Kakao anbauenden Regionen fällt es den Leuten schwer, ihre alten schlechten Gewohnheiten aufzugeben“, sagt Kombo. „Viele kennen das Thema Kinderrechte gar nicht.“

SYNADEEPCI schult Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen, Schüler und ganze Dorfgemeinden dazu. Die Organisation erklärt ihnen die nationalen, regionalen und internationalen Gesetze zu Kinderarbeit, die Auswirkungen von Menschenhandel und der schlimmsten Formen von Kinderarbeit – und wie man die Mädchen und Jungen davor schützt. Die Lehrergewerkschaft hilft auch vor Ort, lokale „Wachsamkeitskomitees“ zu bilden. In diesen sitzen Gemeindevertreter ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer – „um sicherzustellen, dass niemand Kinder auf den Kakaofeldern beschäftigt“.

Allerdings werde Kinderarbeit in Westafrika erst dann ausgemerzt, wenn die Kakaobauern von ihrer Ernte leben können, sagt Evelyn Bahn vom Netzwerk Inkota. Doch die meisten der drei Millionen Erzeuger in den beiden Ländern ernten gerade mal 400 Kilogramm pro Hektar Land; einen bis drei Hektar besitzen sie, selten mehr. Viele von ihnen müssen mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen.

„Kinderarbeit wird erst aufhören, wenn die großen Schokoladenfirmen den Kakao zu einem guten Preis kaufen.“

Ihr Einkommen hängt direkt vom stark schwankenden Weltmarktpreis des Rohstoffs ab. Der lag Anfang Februar für konventionell erzeugte Bohnen bei gerade mal 2.380 US-Dollar pro Tonne. Das ist zwar mehr als um die Jahrtausendwende, als der Kakaopreis mit 707 US-Dollar pro Tonne sein historisches Tief erreichte. Es ist aber auch weniger als die 3.000 US-Dollar, die Kakaobauern noch Mitte 2015 erhielten. Selbst der Mindestpreis von 2.700 US-Dollar für die Tonne bio-faire Kakaobohnen, den die Bauern etwa über Zertifizierungen wie Fairtrade bekommen, reicht nicht wirklich für ein existenzsicherndes Leben. Dazu müsste der Preis auf mindestens 3.000 US-Dollar steigen, sagt Friedel Hütz-Adams vom Bonner Südwind-Institut.

Doch kaum ein Kakao-Verarbeiter oder Schoko-Multi scheint gewillt, den Erzeugerinnen und Erzeugern mehr für die Bohnen zu bezahlen. Dabei wird das Geld mit Kakao in den Industrieländern gemacht. Von einer herkömmlichen Tafel Schokolade für 89 Cent kommen nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen (NGO) nur fünf bis sieben Cent bei den Kakaobäuerinnen und -bauern an. Das, sagt Hütz-Adams, „ist das eigentliche Problem“. Silvie Lang von der Schweizer NGO Public Eye kritisiert, dass „weder Zertifizierer noch Firmen die Frage nach existenzsichernden Einkommen wirksam angehen“. Das sei „angesichts der seit 20 Jahren bekannten gravierenden Probleme wie Kinderarbeit nicht nachvollziehbar“.

„Kinderarbeit wird erst aufhören, wenn die großen Schokoladenfirmen den Kakao zu einem guten Preis kaufen“, sagt Gewerkschaftschefin Kombo von der Elfenbeinküste. „Erst dann können die Erzeugerinnen und Erzeuger ein menschenwürdiges Leben führen und ihren Kindern eine angemessene Bildung ermöglichen.“ Wichtig hierfür sei, dass sich die Kakaobauern auch gewerkschaftlich organisieren: „Damit sie ihr Recht auf einen höheren Preis für jedes Kilogramm Kakao einfordern können.“