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Mehr Geld und mehr Personal nötig

Der Jugendhilfe fehlt es an Geld und geeignetem Personal. Die Folgen der Corona-Krise und die Reform des Sozialgesetzbuches (SGB) VIII verschärfe die Situation, warnen Experten. Sie fordern ein Gegensteuern.

Die Corona-Pandemie hat bei vielen Kindern und Jugendlichen zu psychischen Belastungen geführt. Gefordert sind nun die Jugendämter und die Jugendhilfe. Doch beide Bereiche sind chronisch unterfinanziert. (Foto: Christoph Boeckheler)

Robert Frank beschäftigt die Corona-Krise: „Wir sind so ausgestattet, dass wir als Non-Profit-Organisation in der Regel unsere Angebote refinanzieren können. Das ist uns aber während der Corona-Zeit sehr schwergefallen, weil wir zusätzliche Ausgaben hatten“, sagt der Leiter des Fachbereichs Jugendhilfe beim Frankfurter Jugendberatung und Jugendhilfe e. V. Pro Quartal seien etwa 130 Euro Mehrkosten pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter angefallen, unter anderem für Atemschutzmasken und Corona-Tests. „Diese Zusatzkosten werden nicht einfach so vom Ministerium gedeckt“, sagt Frank. Anders als ein Unternehmen kann ein Verein nur beschränkt Rücklagen bilden. Als relativ großer Träger könne man die zusätzlichen Ausgaben noch verkraften, so der Fachbereichsleiter. „Ganz kleine Träger kommen da aber ganz schnell an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten.“

Unterfinanzierte Jugendhilfe

Die Corona-Krise verschärft eine Situation, die Björn Köhler schon länger beobachtet: „Die Jugendhilfe ist meines Erachtens generell unterfinanziert“. Köhler ist Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der GEW und hier Experte für Jugendhilfe und Sozialarbeit. Das Defizit zu beziffern, sei jedoch schwierig. „In der Regel sind die Kommunen zuständig für die Jugendhilfe. Dadurch sind auch die Systeme zur -Finanzierung sehr unterschiedlich“, sagt Köhler.

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die öffentlichen Gelder für Jugendhilfe seit Jahren steigen. Laut dem Statistischen Bundesamt haben sich die Ausgaben für Leistungen und Aufgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe zwischen 2009 und 2019 auf 54,9 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Allerdings: 2019 flossen gut zwei Drittel des Betrags in die Kindertagesbetreuung. Mit dem, was übrigblieb, mussten die restlichen, überwiegend gemeinnützigen, zivilgesellschaftlichen Träger ihre Angebote finanzieren. Sie machten 2016 einen Anteil von 78 Prozent aus.

Zusätzliche Ausgaben durch Reform des SGB VIII

Durch die Pandemie dürfte sich die finanzielle Situation in vielen Einrichtungen weiter verschärfen. Die staatlichen Rettungspakete reißen tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte, gleichzeitig brechen Steuereinnahmen weg, weil viele Unternehmen nichts mehr verdienen. Um an Geld zu kommen, wäre es nicht das erste Mal, dass bei der Kinder- und Jugendhilfe Einsparpotenziale vermutet werden, heißt es beim Deutschen Jugendinstitut (DJI). Problematisch wäre das auch deshalb, weil aktuell noch unklar ist, welche psychischen und sozialen Spätfolgen die Pandemie für Kinder und Jugendliche hat. In einer Umfrage des DJI im vergangenen Jahr bezeichneten Jugendämter als eines ihrer größten Probleme, die Bedarfe zu erkennen. Gut möglich, dass mit zeitlicher Verzögerung zusätzliche, notwendige Unterstützungsleistungen auf die Kinder- und Jugendhilfe zukommen. Beim DJI warnt man deshalb davor, „dass eine Sparpolitik in diesen Bereichen gewaltige gesellschaftliche Risiken birgt“.

Für zusätzliche Ausgaben dürfte die Reform des SGB VIII, in dem die Leistungen und Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe auf Bundesebene geregelt sind, sorgen. Die Novelle sieht zahlreiche zusätzliche Angebote vor. Doch Wissenschaftlerinnen, Sozialpädagogen und die GEW kritisieren, dass das neue Gesetz keine qualitativen und quantitativen Vorgaben mache. Ihre Befürchtung: Der Kostendruck in der Kinder- und Jugendhilfe werde durch das neue Gesetz dramatisch zunehmen.

„Sowohl in der Jugendhilfe als auch auf den Jugendämtern und bei den Allgemeinen Sozialdiensten mangelt es an gut ausgebildeten Fachkräften.“ (Björn Köhler)

Es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an geeignetem Personal. „Sowohl in der Jugendhilfe als auch auf den Jugendämtern und bei den Allgemeinen Sozialdiensten mangelt es an gut ausgebildeten Fachkräften“, sagt Köhler. „Wir haben viele Jugendämter, die darüber klagen, dass sie sehr hohe Fallzahlen zu betreuen haben, gerade was den Kinderschutz angeht.“ Hinzu kämen dort viele Personalwechsel. Das GEW-Vorstandsmitglied sieht die Überlastung der Fachkräfte als eines der drängendsten Probleme und fordert eine personelle Verstärkung quer über alle Bereiche.

Auch Franks Einrichtung hat mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Besonders Schicht- und Wochenendarbeit schreckten ab, sagt er. „Aber wir finden immer wieder Menschen, die sehr gerne bei uns anfangen.“ Das erfordere jedoch eine intensive Personalakquise und ein entsprechendes Bewerbungsmanagement. Vor allem kleinere Einrichtungen hätten hierfür häufig nicht die Ressourcen.

Mehr Personal ist jedoch keine Lösung, wenn es ausbildungsbedingt am pädagogischen Methoden-Repertoire mangelt. Auch Franks Einrichtung muss immer mal wieder Maßnahmen beenden, wenn sich die Jugendlichen nicht wie gewünscht auf die Hilfen einlassen „und wir als Pädagogen nach langem und intensivem Bemühen an unsere Grenzen geraten“, sagt er. Sein Verein schule zwar regelmäßig nach, Frank wünscht sich aber auch, dass die Ausbildungsstätten noch mehr pädagogische Methoden vermitteln, auf die Jugendhelferinnen und -helfer zurückgreifen können. Das vergangene Jahr hat außerdem gezeigt, wie wichtig digitale Fähigkeiten und Infrastrukturen im sozialen Bereich sind, um Betreuungsleistungen auch in Ausnahmesituationen aufrechtzuerhalten.

Oft kein Tariflohn

Mit zunehmender Kompetenz steigt in der Regel auch der Verdienst. Doch die Bezahlung ist ein wunder Punkt im sozialen Bereich. Jugendämter, die Teil der Kommunen sind, entlohnen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Anders bei den freien Trägern, die die Leistungen erbringen. „Dort wird häufig deutlich unter Tarif bezahlt“, sagt Köhler. Ihm zufolge sollten die Jugendämter mehr darauf achten, dass von ihnen beauftragte Träger „nicht nur aufs Geld schauen, sondern auch geeignete Leistungen durch erfahrene Fachkräfte erbringen, die auch nach Tarif bezahlt werden“.

Das DJI fordert eine „flächendeckende Anerkennung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe“, auch über die Corona-Krise hinaus, inklusive „entsprechender Unterstützungsleistungen für die Mitarbeitenden“. Und Frank? Der bekommt einen Haustarif, der sich am Tariflohn orientiert. Er sagt aber auch, dass man im sozialen Bereich allgemein trägerübergreifend ruhig noch eine Schippe drauflegen könnte.