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Politische Bildung

Mehr Demokratie wagen!

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) empfiehlt, Politik und Geschichte in der Schule zu stärken. Die GEW begrüßt die Empfehlungen, fordert aber darüber hinaus mehr demokratische Schulkultur.

Am Bahnhofsvorplatz im oberfränkischen Selb, keine 10 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, erinnert eine Tafel an den tschechischen Schriftsteller, Bürgerrechtler und ehemaligen Präsidenten der Republik Tschechien, Václav Havel. Nie war die Aussage auf der Tafel so aktuell wie heute. (Foto: privat)

Sieben Thesen, 76 Seiten: Die SWK hat jüngst eine Stellungnahme vorgelegt, die es in sich hat. Ihr Titel: Demokratiebildung als Auftrag der Schule. Darin mahnen die 16 Bildungsforschenden des unabhängigen Beratungsgremiums, Schulen sollten wieder mehr Demokratie wagen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch die Realität sieht mitunter anders aus. In keinem Bundesland sei Politikunterricht in der Sekundarstufe durchgehend vorgesehen, so die Studie. „Eine Lücke besteht insbesondere in den Klassenstufen 5 und 6.“ Auch bei den Anteilen politischer Bildung in den Stundentafeln gebe es erhebliche Unterschiede zwischen Ländern und Schulformen. Hinzu komme, teils bedingt durch fachfremden Unterricht, dass häufig nicht das notwendige Wissen sowie die nötigen Handlungs- und Urteilskompetenzen vermittelt würden.

Angesichts dieser Befunde gibt die Kommission sieben Empfehlungen an die Schulpolitik der Länder. Gefordert werden eine gemeinsame Definition der Kompetenzziele für die Demokratiebildung, ein durchgängiges Unterrichtsangebot in den Fächern Politik und Geschichte sowie ein Curriculum von der Grundschule bis zum Ende der Sekundarstufe I, das am Leitbild geschichtsbewusster, mündiger Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet ist. Wichtig sei auch politische Medienbildung, da Fehlinformationen und extremistische Inhalte vor allem über Plattformen wie TikTok und Co. verbreitet werden.

Lehrkräftebildung ausbauen

Demokratiebildung müsse als übergreifendes Unterrichtsprinzip in allen Schulfächern verankert und demokratische Schulkultur durch Partizipation gestärkt werden, heißt es in dem Appell. Auch die Lehrkräftebildung müsse ausgebaut werden, um hochwertigen Geschichts- und Politikunterricht, Demokratiebildung und eine demokratische Schulkultur abzusichern. Dafür, so die Empfehlung der Kommission, müssten die nötigen strukturellen und materiellen Voraussetzungen geschaffen werden.

„In Zeiten globaler Krisen und innergesellschaftlicher Konflikte, in denen sich Gesinnungsgemeinschaften in sozialen Netzwerken gegeneinander abschotten und die selektive Rezeption von Fake-Informationen soziale Polarisierung anheizen“, sei Schule besonders gefordert, schreiben die Autorinnen und Autoren. „Das gilt insbesondere dann, wenn demokratiefeindliche, rechtsextremistische, rassistische, antisemitische oder andere menschenfeindliche Einstellungen unverschleiert artikuliert werden.„“

Politische Bildung ist Kernbereich von Schule

Lehrkräfte und Schulleitungen fühlten sich oft überfordert. Daher müssten Unterstützungsangebote externer Partner bereitstehen. Neben Informationen und Fortbildungen zu gesellschaftlichen Kontroversen seien außerschulische Beratungsstellen, die auf Radikalisierungsprozesse spezialisiert sind, hilfreich. Christine Streichert-Clivot (SPD), zurzeit KMK-Präsidentin, kündigte an, die KMK werde die Empfehlungen prüfen und in ihre Arbeit einfließen lassen. „Schulen sollen Lernorte sein, an denen Demokratie vorgelebt, erlebt und eingeübt wird“, betont die saarländische Bildungsministerin.

Für Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, gehen die Empfehlungen in die richtige Richtung – aber nicht weit genug. „Wir kritisieren schon lange, dass es kein durchgängiges Politikangebot gibt“, sagt Bensinger-Stolze. Bei der Einführung neuer Fächer und Inhalte, etwa im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) oder der ökonomischen Bildung, sei der Politikunterricht immer wieder gekürzt worden. „Politische Bildung ist jedoch ein Kernbereich der Schule“, betont Bensinger-Stolze. Sie müsse in allen Jahrgangsstufen und auch in der Sekundarstufe II und den Berufsschulen durchgängig angeboten werden. 

„Wir brauchen eine tatsächliche Mitbestimmung und Teilhabe der Schülerinnen und Schüler an Schulkultur und Unterrichtsgestaltung, damit Selbstwirksamkeit und Demokratie im Alltag erlebbar werden.“ (Anja Bensinger-Stolze)

Außerdem müssten demokratische Schulkultur und Mitbestimmung stärker in den Fokus rücken als von den Bildungsforschenden empfohlen: „Wir brauchen eine tatsächliche Mitbestimmung und Teilhabe der Schülerinnen und Schüler an Schulkultur und Unterrichtsgestaltung, damit Selbstwirksamkeit und Demokratie im Alltag erlebbar werden.“ Auch der Umgang mit sozialen Medien müsse besser vermittelt werden. Dabei sei auch der Austausch mit außerschulischen Fachleuten sowie Zeitzeugen elementar – und müsse verlässlich finanziert werden. „Wir sind gespannt, was die KMK aus den Empfehlungen macht“, sagt Bensinger-Stolze. „Sie sollte nicht versäumen, den Rat der Professions- und Fachverbände einzuholen.“