Es ist ein hochtönendes Klagelied der politischen Eliten: das Lamento über die grassierende Politikverdrossenheit der Jugend, die sich längst zu einer Akzeptanz-Krise der politischen Institutionen ausgeweitet hat. Dass davon auch die Medien umfasst sind, erschließt sich schon am dramatisch gestiegenen Durchschnittsalter der Fernsehgemeinde von ARD und ZDF. Das jüngere Publikum wendet sich ab, interessiert sich kaum noch für politische Informationen, schaut immer weniger Tagesschau, Heute Journal oder Monitor. An den verglühenden Lagerfeuern der Gesellschaft wärmt sich gerade noch die Generation 60+.
Es steckt eine ganze Menge Nostalgie in diesem Lied: die Sehnsucht nach Verbindlichkeit gemeinsamer politischer Rituale und die Angst vor dem zerbröselnden Konsens einer Gesellschaft, die sich so gemütlich eingerichtet hatte in einer längst vergangenen Nachkriegsepoche. Dabei ist Wehmut ein schlechter Ratgeber in einer sich dramatisch verändernden Gegenwart, die politisch wie medial längst von neuen Protagonisten mitbestimmt wird: Seien es Google oder Facebook – oder die leibhaftigen Wiedergänger eines deutschen Nationalismus alter Schule. Vor allem die Parolenschwinger von Rechtsaußen sind es, die auf die Stimmen einer politisch so heimat- wie orientierungslosen Generation lauern – Totengräber der Demokratie im Gewand einer demokratischen Opposition, die unter Mitbestimmung und Freiheitsrechten immer nur ihre eigenen Rechte verstehen, und deren digitale Legionen bis in die letzten Winkel der sozialen Medien vordringen.
Politische Bildung steht hier vor einer Herkulesaufgabe, und ich fürchte, dass ein bisschen mehr Demokratiekunde kaum genügen wird für neue Begeisterungsstürme in Sachen Demokratie. Denn hinter der diagnostizierten Verdrossenheit steckt ein manifestes Glaubwürdigkeitsproblem – und das trifft uns Journalisten besonders. Wenn offensichtliche Propaganda in den sozialen Medien ernster genommen wird als mühselig recherchierte Fakten, haben aber nicht nur die Medien ein Problem. Der politisch desinformierte Citoyen ist leicht erlegbares Freiwild für die Feinde der Demokratie.
Wir müssen die großen Fragen der Demokratie wieder so ins Zentrum rücken, dass auch von den Jüngeren verstanden wird, dass es hier um ihre elementaren Zukunftsfragen geht.
Schon deshalb sollte Medienkompetenz mehr als ein Schulfach sein. Klar müssen Jugendliche mit den Gesetzen der Propaganda vertraut gemacht werden und mit modernen Manipulationsmethoden im Netz. Aber wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen formuliert: „Man kann auf eine Kommunikationsrevolution nicht mit ein paar Medienkompetenzseminaren reagieren.“ Daher braucht es eine gesellschaftliche Gesamtanstrengung, um überhaupt wieder gemeinsame Foren zu finden, ein Verständnis für gemeinsame Werte, eine gemeinsame Sprache. Die Schulen sind hier gefordert und die Politik sowieso, die begreifen muss, dass Digitalisierung mehr ist als der Ausbau von Glasfaserkabeln.
Für uns Journalisten heißt das: Back to basics! Wir müssen die großen Fragen der Demokratie wieder so ins Zentrum rücken, dass auch von den Jüngeren verstanden wird, dass es hier um ihre elementaren Zukunftsfragen geht. Dafür müssen wir runter vom Katheder und rein in den Dialog – raus in Schulen und Universitäten und tief rein in die Echokammern der sozialen Netzwerke. Vor allem aber müssen wir die publizistische Ethik und die Spielregeln unserer Arbeit transparent machen. Mit anderen Worten: Wir dürfen nicht nur die Welt, sondern müssen auch uns selbst erklären. Nur so schaffen wir Glaubwürdigkeit, die für Journalisten wie Demokraten so existenziell ist.
Politische Bildung ist eben kein Selbstzweck, kein Nischenprogramm für Öffentlich-Rechtliche, kein „Nice-to-have“ im Stundenplan. Sie ist für die Demokratie eine Überlebensfrage. Wenn Politiker, Lehrer und Journalisten das begreifen, wäre schon eine Menge erreicht.