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GEW in Bildung unterwegs

Mathe und Psychologie im Selbststudium

Die bundesweite „GEW in Bildung unterwegs“-Tour hat die Vorsitzende Marlis Tepe jüngst an die Martin-Luther-Universität in Halle in Sachsen-Anhalt geführt. Topthema waren die Probleme des Lehramtsstudiums in Zeiten des Lehrkräftemangels.

Der neue Steintor-Campus der Martin-Luther-Universität in Halle vermittelt den Eindruck einer heilen Studienwelt: Auf dem Gelände des früheren Landwirtschaftlichen Instituts, das einst Ställe und Versuchsfelder prägten, stehen moderne Gebäude neben sanierten Klinkerbauten, Bäume und Bänke säumen die langen Sichtachsen. Aus dem Ensemble heraus ragt die 18 Meter hohe, kubische Bibliothek in Natursteintönen. Der „Bücher-Würfel“ ist jeden Tag bis 24 Uhr geöffnet – und das scheint auch dringend nötig. Lehramts-Studierende eines Grundschulseminars berichteten der GEW-Vorsitzenden Marlis Tepe auf deren Tour durch die Bundesländer von schwierigen Studienbedingungen.

Im Seminarraum für Lehrerbildung sitzen 29 junge Leute dicht zusammen und erzählen von ihren Studienerfahrungen: Weil es nicht genug Angebote gebe, sei es ihnen kaum möglich, sich eine passende Stundentafel zusammenzustellen und das Studium in der Regelstudienzeit zu absolvieren. „Wir stehen uns mit unseren Stundentafeln selbst im Weg“, sagt eine Studentin. Auch ein Seminar in den Abendstunden zwischen 18 und 20 Uhr sei überfüllt, erzählt eine Kommilitonin: „Es gab 34 Plätze, aber 85 weitere Kommilitonen wollten teilnehmen.“ Eine junge Frau beklagt, sie müsse sich in diesem Semester Psychologie im Selbststudium aneignen, weil sie keinen Seminarplatz erhalten habe. Nun tausche sie sich mit einer Freundin aus, die sich Mathe selbst beibringen müsse. „Ich habe eine 70-Stunden-Woche, es macht einfach keinen Spaß.“ Tepe betont: „Es ist nicht gut, wenn das Studium keinen Spaß macht.“ Damit sänken die Motivation und die Lernbereitschaft.

„Wir haben an der Universität einen unmittelbaren Investitionsstau von mehr als 100 Millionen Euro für die Sanierung des Bestandes und für neue Gebäude.“ (Christian Tietje)

In Sachsen-Anhalt fehlen für die reguläre Unterrichtsversorgung nach GEW-Berechnungen akut etwa 1.000 Lehrkräfte. Mehr als jede zehnte Unterrichtsstunde könne dieses Schuljahr nicht regulär erteilt werden, befürchtet die Landesvorsitzende Eva Gerth. „Die Ressourcen der Schulen sind oft bis zum letzten Tropfen ausgequetscht, Ausfall wird zum neuen Hauptfach.“ Sachsen-Anhalt steuert mittlerweile gegen und erhöhte in Halle, wo der größte Teil des Lehramtsnachwuchses ausgebildet wird, die Zahl der Erstsemesterplätze von etwa 550 auf mehr als 800. Doch die Lehrkapazitäten wuchsen nicht im selben Maß mit. Für den Ausbau der Lehramtsausbildung seien der Universität zwar 68 Stellen bis zum Jahr 2027 zugebilligt worden, berichtet Universitätsrektor Christian Tietje  – diese seien jedoch immer nur befristet. „Eine große Herausforderung.“ Hinzu komme das bauliche Problem: „Wir haben an der Universität einen unmittelbaren Investitionsstau von mehr als 100 Millionen Euro für die Sanierung des Bestandes und für neue Gebäude.“

Das Grundschulseminar mit Marlis Tepe leitet an diesem Freitagmittag der Sprach- und Literaturwissenschaftler Nico Elste, Lehrkraft am Germanistischen Institut und Hochschulexperte im GEW-Landesvorstand. Nach jahrelanger Hängepartie wurde sein Vertrag mit der Universität erst in diesem Frühjahr entfristet – ein Glücksfall für ihn. Der Universitätsalltag leide unter zu wenig Personal und fehlenden Räumen, sagt Else. Aus Geldmangel seien beim neuen Campus jeweils die obere Etage des Seminargebäudes und der Bibliothek nicht ausgebaut worden.

„Wenn im Wissenschaftsbereich weniger als jede zehnte Stelle unbefristet vergeben wird, ist das eine massive Fehlentwicklung, die die hochwertige und verlässliche Ausbildung der Studierenden gefährdet.“ (Marlis Tepe)

Tepe fordert von der Politik vor allem mehr dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse: „Wenn im Wissenschaftsbereich weniger als jede zehnte Stelle unbefristet vergeben wird, ist das eine massive Fehlentwicklung, die die hochwertige und verlässliche Ausbildung der Studierenden gefährdet.“ Sie könne sich daher sogar vorstellen, Beamte aus dem Schulbereich befristet an Universitäten einzusetzen, um etwas gegen Qualifizierungsmangel zu tun. Die Ausbildung von mehr Lehrkräften müsse als zentrale Daueraufgabe weiter ausgebaut werden, damit  Unterrichtsausfall nicht zum Dauerzustand werde. „Wenn engagierte junge Menschen ihre Ausbildung zu einem der schönsten Berufe starten, ist die Politik gut beraten, diesen Schatz zu hegen und zu pflegen“, sagt die GEW-Vorsitzende. „Dafür brauchen wir deutliche Signale zu einem quantitativen und qualitativen Ausbau.“