Ukraine-Krieg
„Man muss im Gespräch bleiben“
Welche Lösungen sehen Friedensforscherinnen und -forscher für den Krieg in der Ukraine und die pädagogische Bearbeitung des Themas in Kita und Schule? Fragen an Prof. Alexander Spencer von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
- E&W: Herr Professor Spencer, Sie leiten an der Uni Magdeburg den internationalen Masterstudiengang „Peace and Conflict Studies“. Die Gefahr, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine eskaliert, ist groß. Sie beraten als Friedensforscher auch die Politik. Welchen Rat würden Sie der Bundesregierung in der aktuellen Situation geben?
Prof. Alexander Spencer: Das ist nicht einfach zu beantworten, da wir über keine vollständigen Informationen über die Lage in der Ukraine und in Russland verfügen. Um die Eskalation eines Konflikts zu vermeiden, muss man ergründen, was die angreifende Seite – in diesem Fall Russland bzw. dessen Präsident Wladimir Putin – antreibt. Putin geht es meines Erachtens vor allem darum, seine Macht im Land zu erhalten. Deshalb wird er keine Lösung akzeptieren, die eine Niederlage für ihn bedeutet. Man muss Putin also eine Lösung offerieren, die die Möglichkeit bietet, aus der Eskalationsspirale herauszukommen. Das kann man aber nur erreichen, wenn man mit ihm im Gespräch bleibt.
- E&W: Wie jeder Krieg wirkt sich auch dieser auf die öffentliche Debatte aus. Wie hat sich nach Ihren Beobachtungen die Art und Weise des Sprechens über Krieg in Deutschland seit Beginn des Krieges verändert?
Spencer: Kriege treiben die Polarisierung in Gesellschaften voran. Bestimmte Worte und Metaphern werden in solch einer Situation erst möglich. Gleichzeitig wird Sprache durch den Krieg limitiert. Es wird zum Beispiel sehr viel schwieriger, Kritik zu üben. Die Politikwissenschaft spricht hierbei von dem sogenannten Rally ’round the flag-Effekt, im Deutschen auch als die „Stunde der Exekutive“ bekannt. Das heißt, die sehr große Mehrheit der Bevölkerung stellt sich vorbehaltlos auf die Seite der Regierung. Es entsteht eine „Wir-gegen-die-Anderen“-Haltung; wer ausschert, wird zum Beispiel mit dem Begriff „Putinversteher“ diffamiert.
- E&W: Diese Polarisierung wirkt bis ins Private hinein. Das macht es für Bildungseinrichtungen schwierig. Viele Kinder, die aus der Ukraine geflüchtet sind, gehen mittlerweile in Deutschland in die Kita oder in die Schule – teilweise zusammen mit russischen Kindern. Viele sind traumatisiert. Wie sollen Erzieherinnen und Lehrkräfte darauf reagieren?
Spencer: Das hängt vom Alter der Kinder ab. Bei Schulkindern würde ich raten, Konflikte immer offen anzusprechen.
- E&W: Das wird oft schwierig sein, wenn Kinder etwa durch das Elternhaus aufgehetzt werden.
Spencer: Ja, das stimmt. Aber eine Möglichkeit, um Misstrauen und Feindschaft abzubauen, gibt es immer. Man muss etwas finden, was alle Kinder miteinander verbindet, was ihnen deutlich macht, dass die Feindschaft nicht naturgegeben ist. Das kann im Sport sein, das können gemeinsame Spiele oder künstlerische Aktivitäten sein.
- E&W: Das klingt banal.
Spencer: Durch solche banal erscheinenden Aktivitäten wie das gemeinsame Malen eines Bildes werden Kommunikation, Kooperation und Kompromiss erst möglich; man muss sich zum Beispiel darauf einigen, welche Farben und Stifte man verwendet. Es ist ein erster kleiner Schritt, Vertrauen für weitere Kooperation zu schaffen. Das ist natürlich ein sehr langwieriger und schwieriger Prozess.
- E&W: Sie raten davon ab, den Krieg im Unterricht konkret zum Thema zu machen?
Spencer: Bei den jüngeren Kindern auf jeden Fall. Aber auch bei den älteren sollte es vor allem darum gehen, Wege zu finden, wie miteinander kommuniziert und kooperiert werden kann. Das vermitteln wir auch in unseren Seminaren. Die Zusammenarbeit bei nichtpolitischen Themen kann der erste Schritt in Richtung Frieden sein.
- E&W: Im Krieg Russlands gegen die Ukraine geht es allem Anschein nach nicht primär um Ressourcen, ökonomische oder geopolitische Konfliktpunkte, sondern um Identitäten. Putin und andere Angehörige der russischen Regierung haben mehrfach von einem Kulturkampf gegen den Westen gesprochen.
Spencer: Konflikte auf der Basis unterschiedlich wahrgenommener Identitäten sind kaum zu lösen. Das gilt vor allem dann, wenn der Konflikt selbst Teil der Identität wird. Wir haben das im Bürgerkrieg in Nordirland gesehen, und wir sehen das auch im Nahost-Konflikt. Solche Auseinandersetzungen werden durch eine massive Ablehnung des jeweils anderen am Leben gehalten. Die Gefahr besteht auch für den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Das erschwert die Kommunikation natürlich enorm.