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Digitalisierung und Nachhaltigkeit

„Man kann es schaffen“

Widersprüche und Perspektiven einer nachhaltigen Digitalisierung für Bildung und Gesellschaft waren Thema einer GEW-Tagung im November in Magdeburg. Dabei war auch Anne-Sophie Waag von Wikimedia Deutschland. E&W sprach mit der Expertin.

Anne-Sophie Waag ist Referentin Bildungspolitik bei Wikimedia Deutschland. Bei einer GEW-Tagung im November leitete sie den Workshop „Offene und gemeinwohlorientierte digitale Infrastrukturen im Bildungsbereich“. (Foto: Ekvidi, CC BY-SA 4.0)
  • E&W: Ich nutze für die erste Frage mal den Titel der Tagung: „Nachhaltigkeit und Digitalisierung: (Wie) passt das zusammen?“

Anne-Sophie Waag: Beides ist eng miteinander verwoben, teilweise aber gegenläufig. Zum einen können Prozesse durch Digitalisierung automatisiert und effizienter werden: Wie findet man die beste Streckenführung, um nicht im Stau zu stehen, wie lassen sich Heizungsanlagen steuern, damit sie weniger Energie verbrauchen? Zum anderen benötigt die Digitalisierung aber Endgeräte. Diese Hardware muss hergestellt werden, dafür werden Rohstoffe abgebaut. Um Software zu entwickeln und zu betreiben, braucht es Strom. Und damit das Internet funktioniert und Services gehostet werden können, werden energieintensive Rechenzentren benötigt.

  • E&W: Überwiegen bei der Gegenüberstellung Nutzen oder Schaden?

Waag: Zu der Frage gibt es unterschiedliche Ansichten. Das Shift Project einer französischen Non-Profit-Organisation verweist auf den Rebound-Effekt: Das heißt, wenn Menschen zum Beispiel eine besser eingestellte Heizung haben, heizen sie mehr, weil sie vermeintlich sparen. Oder sie kaufen sich zwar ein Elektroauto, aber ein SUV. Es gibt in der Gesellschaft auch diese Hoffnung, wir könnten uns durch digitale Innovationen davon befreien, uns mit Fragen der Nachhaltigkeit und Endlichkeit von Ressourcen auseinanderzusetzen.

  • E&W: Wie müsste Digitalisierung künftig gestaltet werden, um tatsächlich nachhaltig zu sein?

Waag: Es gibt ein paar Vorkehrungen, die man treffen kann: Rechenzentren dort bauen, wo es eine gute Infrastruktur gibt, um die entstehende Wärme abzuleiten; erneuerbare Energien nutzen, um die Zentren zu betreiben; gut abwägen, wie viele Daten zentral und wie viele dezentral verarbeitet werden. Die Open-Source-Community will häufig aus datenschutzrechtlichen Gründen, dass Daten auf einem eigenen Endgerät verbleiben. Aus einer Nachhaltigkeitsperspektive ist das aber nicht immer das Beste, weil ein Rechenzentrum Daten effizienter verarbeiten kann als ein Laptop oder Handy. Mit Blick auf Hardware ist das Recht auf Reparatur wichtig, damit man Ersatzteile nachbestellen und selbst einbauen kann.

Durch die Digitalisierung können Prozesse effizienter werden. Digitale Geräte benötigen aber auch viel Energie. In der Debatte um die Digitalisierung der Bildung muss man sich also auch mit Fragen zur Nachhaltigkeit auseinandersetzen. (Foto: mauritius images/Jochen Tack/imageBROKER)
  • E&W: Um den Bogen zur Bildung zu schlagen: Was versteht man im pädagogischen Kontext unter nachhaltiger Bildung in der digitalen Welt?

Waag: Es gibt zum einen die Kampagne Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), bei der es darum geht, dass das Thema an Bildungsinstitutionen adressiert wird und Schülerinnen und Schüler lernen: Was ist Nachhaltigkeit? Wie kann ich selbst nachhaltig leben? Wie sind die weltweiten Zusammenhänge? Und dann gibt es die Idee einer Pädagogik, die nachhaltig zu gutem Lernen führt und nachhaltig aufs Leben vorbereitet – eine Pädagogik, in der es nicht nur um kurzfristige Lernerfolge und die nächste Klausur geht.

  • E&W: Sowohl beim Lernen als auch Lehren rückt der Einsatz digitaler Tools und Apps oder algorithmischer Lernsysteme immer mehr in den Vordergrund. Ist das pädagogisch nachhaltig?

Waag: Das ist noch nicht klar zu beantworten. Das Forum Bildung Digitalisierung hat jüngst den Navigator Digitale Bildung veröffentlicht, in dem nicht nur von einem Umsetzungs-, sondern auch einem Erkenntnisdefizit gesprochen wird. Wenn zu Digitalisierung im Bildungsbereich geforscht wurde, wurden meist simple Vergleiche angestellt wie: Lernt man besser, wenn man auf dem Laptop oder wenn man in einem Buch liest? Wenn ich den Lückentext in einem Onlinetool statt auf einem Arbeitsblatt ausfülle? Diese Perspektive führt uns nicht weiter. Digitalisierung bedeutet nicht, Prozesse ins Digitale zu übertragen, sondern neue Möglichkeiten zu finden, die man mit einem Buch oder Arbeitsblatt nicht hatte. Wir sind auch deshalb noch nicht so weit mit der Erkenntnis, weil der Aspekt der Digitalität außen vor gelassen wurde.

  • E&W: Dann ist also auch noch unklar, wie eine gute Pädagogik und Didaktik in der digitalisierten Welt aussehen könnte?

Waag: Eines der großen Schlagworte ist Individualisierung. Aber eine spannende Frage ist dabei noch total offen: Wenn Schülerinnen und Schüler so stark in dieses individualisierte Lernen geschickt werden – wie holt man sie dann wieder in die Klassengemeinschaft zurück? Was würde es bedeuten, wenn alle nur noch für sich allein lernen – ist das wirklich das Ziel? Wir wissen doch, dass Lernen ein hochgradig sozialer Prozess ist, der viel in Beziehungen passiert.

  • E&W: Welche Tipps kann man Schulen geben, digitale Infrastrukturen nachhaltig zu gestalten?

Waag: Schulen haben das oft nicht selbst in der Hand. Wenn es um Infrastruktur geht, sind immer viele Player involviert: die Schulaufsicht, die Schulträger und die Kommune oder das Land. Aber man könnte trotzdem sagen: Macht zunächst eine Analyse im Kollegium, was ihr braucht. Viele Laptop-Klassensätze vergammeln im Schrank, weil sie nicht auf die Bedürfnisse angepasst waren. Im besten Fall werden Schülerinnen und Schüler oder auch Eltern einbezogen. Und dann gilt auch hier: Schafft Geräte an, die reparierbar sind.

  • E&W: Gibt es Schulen, die schon auf einem guten Weg sind?

Waag: Es gibt ein Vorzeigeprojekt: Im Landkreis Harz hat eine Gemeinde alle Schulen komplett auf Open-Source-Software umgestellt. Die nutzen gebrauchte Firmenlaptops aus Finnland und haben diese auf Linux umgerüstet. Dahinter steckt eine einzelne Person, die alles in die Wege geleitet hat. Das ist natürlich nicht so einfach und kein Modell für eine Einzelschule. Aber das Projekt zeigt: Man kann es schaffen. Es gibt auch das Netzwerk Freie Schulsoftware des Vereins Digitalcourage, in dem sich Schulen zusammentun und austauschen können. Darüber kann man andere kontaktieren und fragen: Wir möchten das auch machen – wie habt ihr das umgesetzt?