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Männer in pädagogischen Berufen

„Männlichkeit toppt fachliches Profil“

Keine Frage: Männer in der frühkindlichen Bildung sind im Kommen. Seit 2009 hat sich der Männeranteil in den Kitas laut Statistischem Bundesamt mehr als verdoppelt, liegt aber weiterhin nur bei gut 7 Prozent.

Karikatur: Freimut Woessner

Das Berufsfeld Kita und Hort ist für Männer attraktiver geworden. Der Kampf der Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen und eine Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE) haben ebenso dazu beigetragen wie die Bundesinitiativen „Mehr Männer in die Kitas“ und „Chance Quereinstieg“, die in den vergangenen zehn Jahren intensiv für männliche Beschäftigte getrommelt haben.

Und doch: Es gibt nach wie vor große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Hamburg etwa hat die 10-Prozent-Marke deutlich geknackt, Bayern liegt noch bei 5 Prozent. 1996 empfahl die Europäische Union, bis 2020 den Männeranteil in den Kitas auf 20 Prozent zu erhöhen. Davon ist nicht nur Deutschland noch weit entfernt. Im europäischen Vergleich liegt laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 2019 lediglich Dänemark mit einem Anteil von 12 Prozent in der Betreuung der Kinder, die älter als drei Jahre sind, über der 10-Prozent-Marke.

Dabei zeigt eine Repräsentativbefragung des Delta-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung von 2018 für Deutschland: 98 Prozent der Fachkräfte wünschen sich mehr Männer in Kita und Hort, auch die Zustimmung der Eltern ist groß: 57 Prozent (Kita) und 62 Prozent (Hort). Für mehr Männer in Krippen plädieren 90 Prozent der Fachkräfte und 78 Prozent der Eltern. Beide Gruppen sind überzeugt, dass männliche Erzieher für die Entwicklung der Kinder wichtig sind.

Bewertungen der Peergroup

Warum also ist der Männeranteil immer noch so niedrig? Lange wurde vermutet: Es liegt an der immer noch nicht ausreichenden Bezahlung. Schließlich müssen Männer auch heute noch ihrer Rolle als Familienernährer gerecht werden. „Das wird überschätzt“, meint Jannes Boekhoff, Kindheitspädagoge an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin. „Zum einen entspricht das heute nicht mehr dem Selbstverständnis vieler Männer. Zum anderen geht der Trend zu Doppelverdienerhaushalten.“

Auch verdient eine pädagogische Fachkraft nicht weniger als ein Kfz-Mechatroniker, hat aber in der Regel eine deutlich längere Ausbildung absolviert. Rund 2.900 Euro brutto sind es derzeit in der Einstiegsstufe der Entgeltgruppe S8a, in der höchsten Gehaltsstufe kommt eine Erzieherin auf knapp über 3.900 Euro. Zudem sind pädagogische Jobs zukunftsfest, die Nachfrage ist groß.

„Dass Fachkräfte eine hochqualitative konzeptionelle Bildungsarbeit machen, dass auch Elternarbeit, Zusammenarbeit mit Schulen oder Projekte im Kiez dazugehören, wissen viele gar nicht.“ (Jannes Boekhoff)

Viel wichtiger für die Berufswahl von Jugendlichen sind nach Boekhoffs Einschätzung die Bewertungen der Peergroup. Was finden Freunde gut, gibt es Vorbilder, die sichtbar machen, wie facettenreich und anspruchsvoll der Alltag in der Kita aussieht? „Das Bild des Erziehers ist oft noch typisch weiblich geprägt. Dass Fachkräfte eine hochqualitative konzeptionelle Bildungsarbeit machen, dass auch Elternarbeit, Zusammenarbeit mit Schulen oder Projekte im Kiez dazugehören, wissen viele gar nicht.“ Berufsumsteiger dagegen haben oft eine klare Motivation für den Schritt in die Kita: „Sie suchen eine Arbeit, die sozial ist und Sinn stiftet.“

Geschlechtsspezifische Zuschreibungen

Abschreckend können geschlechtsspezifische Zuschreibungen wirken, die männliche Erzieher auf klare, eindimensionale Rollenerwartungen festlegen. Gunter Neubauer vom Sozialwissenschaftlichen Institut Tübingen (SOWIT) forscht dazu seit Jahren: „Wenn etwa in Stellenausschreibungen ,Starke Typen für starke Kinder‘ gesucht und dazu freundliche junge Männer mit muskulösen Oberarmen gezeigt werden, wird nicht professionelle Fachlichkeit angesprochen, sondern der Erzieher auf ein Geschlechtsstereotyp reduziert.“

Schon Initiativen wie der Boys‘ Day und der Girls‘ Day liefen in der Umsetzung vor Ort in der falschen Spur: Denn sie setzten genau diese Geschlechterbrille wieder auf. „Warum nicht stattdessen ein Sozial- und ein Tech-Praktikum für alle verpflichtend machen?“

„Dass ein Mann vielleicht genauso gern singt und Fantasiereisen anleitet, wird selten mitgedacht“ (Gunter Neubauer)

In den Einrichtungen selbst spiegele sich das in den Rollenerwartungen an die männlichen Mitarbeiter wider, sie „werden in ein Geschlechtsprofil reingedacht“: Sie sollen bauen und experimentieren, mit den Kindern toben und kicken, die „männliche Perspektive“ einbringen. „Dass ein Mann vielleicht genauso gern singt und Fantasiereisen anleitet, wird selten mitgedacht“, kritisiert Neubauer. „Männlichkeit toppt fachliches Profil.“ Als würde bei weiblichen Fachkräften besonders die Mütterlichkeit zählen.

Vor Jahren hat Kindheitspädagoge Boekhoff selbst mal in einem Zeitungsartikel für seine Arbeit als Erzieher in Ostfriesland geworben. Heute würde er das so nicht mehr machen. Denn der Beitrag wurde übertitelt mit „Der Exot auf dem Lande“. Boekhoff: „Wir sollten Männer als Fachkräfte ja gerade nicht zu etwas Besonderem machen.“