Sportunterricht - was muss sich ändern?
Mängelverwaltung und Deprofessionalisierung
Der Sportunterricht an Schulen fällt nicht nur aus, weil Turn- und Schwimmhallen marode sind. Es fehlen auch viele Lehrkräfte. Die Folge: Sport wird oft fachfremd unterrichtet.
Sportunterricht als Mängelverwaltung“ betitelte das ARD-Magazin „Sport inside“ jüngst einen Beitrag über den Schulsport. Der Bericht zeigt: Sportunterricht fällt aus oder findet vielerorts provisorisch statt. Weil viele Sporthallen marode sind, gibt es statt Ballspielen und Geräteturnen „Bewegungspausen“ im Flur des Schulgebäudes. Der Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes (DSLV), Michael Fahlenbock, sagt: „Es fehlt die Wertschätzung.“
Und es fehlen qualifizierte Lehrkräfte. Wie viele genau lässt sich kaum beziffern. Die Statistiken und Prognosen zum allgemeinen Lehrkräftemangel reichen von derzeit mehr als 12.000 unbesetzten Stellen (laut Redaktionsnetzwerk Deutschland) über 31.000 fehlende Lehrkräfte im Jahr 2030 (laut Kultusministerkonferenz) bis hin zu Schätzungen in Richtung 100.000 in den nächsten Jahren. Welchen Anteil dabei welche Fächer ausmachen – unklar.
E&W schrieb alle 16 für den Schulsport verantwortlichen Ministerien an und fragte: Wie ist die Situation im Land? Was wird getan, um mehr Lehrkräfte für Sport zu gewinnen? Neun Bundesländer schickten Antworten. Weil diese mit Blick auf Inhalt und Ausführlichkeit jedoch sehr unterschiedlich ausfielen, ist ein konkreter Überblick oder Vergleich schwierig.
„Insgesamt ist eine Deprofessionalisierung zu beobachten.“ (Michael Fahlenbock)
Stark verkürzt lässt sich sagen: Zwar haben etwa Hessen und das Saarland nach Angaben der Ministerien alle verfügbaren Stellen besetzt bzw. gar ein Überangebot an Bewerberinnen und Bewerbern. Da sich indes die meisten weiteren Länder, die sich auf die E&W-Anfrage zurückmeldeten, auf vielen Wegen um mehr Sportlehrkräfte bemühen, ist davon auszugehen, dass der Bedarf vielerorts längst nicht gedeckt ist.
Experte Fahlenbock ist zudem selbst dann skeptisch, wenn Sportunterricht den Ländervorgaben folgend regulär stattfindet. Bundesweit werde mehr als die Hälfte des Unterrichts von fachfremden Lehrkräften erteilt, kritisiert er. „Das ist aber häufig kein qualifizierter und lehrplangerechter Sportunterricht“, sagt der ehemalige Akademische Direktor Sportwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal. „Insgesamt ist eine Deprofessionalisierung zu beobachten.“
Ehrenamtliche sind kein Ersatz
Tatsächlich gibt zum Beispiel auch Hessen mit Blick auf die besetzten Stellen an: „Es sind aber nicht immer vollausgebildete Lehrkräfte. Deshalb gibt es Fort- und Weiterbildungsangebote.“ In Sachsen arbeiteten im Schuljahr 2021/22 insgesamt 932 Lehrkräfte ohne Lehrbefähigung im Unterrichtsfach Sport – grundständig ausgebildete Lehrkräfte, die aber nicht das Fach Sport studiert haben, sowie Seiteneinsteigende. Aus dem Schulministerium in Nordrhein-Westfalen (NRW) heißt es: „Sportunterricht wird im Bedarfsfall durch Vertretungslehrkräfte sowie weiteres geeignetes Personal im Rahmen von befristeten Anstellungsverhältnissen erteilt.“
Viele Bundesländer kooperieren zwar in verschiedenen Formen mit Sportvereinen, doch können ehrenamtliche Übungsleitende nach Einschätzung von Fahlenbock nicht vollwertig Sportunterricht übernehmen: Es fehlten pädagogisches Wissen, Kompetenzen im Umgang mit heterogenen Lerngruppen und in unterschiedlichen Bewegungsfeldern – und die Zeit am Vormittag.
Besserer Gesundheitsschutz dringlich
Das GEW-Mitglied beobachtet aber auch: Viele Bundesländer bemühten sich inzwischen deutlich um mehr Sportlehrkräfte. In der Vergangenheit seien noch viele Lehramtsstudienplätze abgebaut worden – nicht aus Mangel an Interesse, sondern aus finanziellen Gründen. Ein Sportstudium anzubieten, ist teuer: Man braucht gute Sportstätten und ausreichend Personal, um kleine Gruppen zu unterrichten.
Für die GEW ist zugleich auch ein besserer Gesundheitsschutz dringlich. Faktoren wie Lärm und Klassengröße seien für Sportlehrkräfte noch mal belastender, sagt Schulexpertin Anja Bensinger-Stolze mit Verweis auf eine Studie von Prof. Valerie Kastrup von der Universität Bielefeld. Demnach sind 25 Prozent der Sportlehrkräfte in NRW gesundheitlich gefährdet. Diese berichten von Kopfschmerzen und Stimmbandproblemen. Um mehr Lehrkräfte für den Schulsport zu gewinnen, müssten daher die Arbeitsbedingungen besser werden, stellt Bensinger-Stolze fest. Viele Kolleginnen und Kollegen litten zudem unter dem geringeren beruflichen Ansehen des Fachs.
- Baden-Württemberg:
Die Unterrichtsversorgung in Baden-Württemberg wird nicht fachspezifisch erhoben. Deshalb liegen keine Daten zur Zahl der Sportlehrkräfte an Schulen sowie einem möglichen Mangel im Fach Sport vor. Im Einstellungsjahr 2022 wurden in den verschiedenen Lehrämtern 478 Menschen mit dem Fach Sport eingestellt, das sind mehr als zehn Prozent der 2022 dauerhaft eingestellten Lehrkräfte. Die meisten davon (184) unterrichten an Gymnasien, die wenigsten an beruflichen Schulen (22). Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) bietet flächendeckend Fortbildungen für alle Schularten im Fach Sport an – beispielsweise für Grundschullehrkräfte ohne Sportstudium.
Um mehr Abiturientinnen und Abiturienten für den Lehrberuf zu werben, gibt es jährlich 200 Stellen für das Programm FSJ Sport und Schule. Einsatzort ist jeweils ein mit Grundschulen kooperierender Sportverein. Die Freiwilligen sind zu rund zwei Dritteln ihrer Arbeitszeit im außerunterrichtlichen Schulsport an Grundschulen und zu rund einem Drittel im Sportverein angestellt. In den vergangenen Jahren nahmen bis zu 40 Prozent der Freiwilligen anschließend ein Lehramtsstudium mit dem Fach Sport auf. Auch mit der Kampagne #lieberlehramt sollen Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen für ein Lehramtsstudium begeistert werden.
(Quelle: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport)
- Bremen:
In Bremen fehlen ausgebildete Sportlehrkräfte in allen Schulstufen und -arten. Das hat mehrere Gründe: Ältere Sportlehrkräfte unterrichten häufig nur noch in ihrem Zweitfach. Außerdem kommen zu wenige jüngere Kolleginnen und Kollegen nach und die Zahl der Schülerinnen und Schüler steigt stark.
Zusätzliche Lehrkräfte für das Fach Sport sollen auf unterschiedlichen Wegen gefunden werden: Seit dem Schuljahr 2016/17 gibt es die zweijährige Fortbildung „Sport fachfremd unterrichten - das neue Konzept“ am Landesinstitut für Schule. Die Teilnehmenden können anschießend fachlich fundierten Sportunterricht in der Grundschule (in Ausnahmefällen auch in der Oberschule) in heterogenen Gruppen erteilen.
Über das Programm „Back to School“ können auch Diplomsportwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Diplomsportlehrkräfte und Master of Art/ of Science als Ein-Fach-Lehrkräfte eingestellt und berufsbegleitend weiterqualifiziert werden.
Der Sportstudiengang Lehramt wird an der Uni Bremen wiedereingerichtet. Geplant ist, dass ab dem Wintersemester 2024/25 Sportstudierende aufgenommen werden können.
(Quelle: Die Senatorin für Kinder und Bildung der Freien Hansestadt Bremen)
- Hessen:
In Hessen gibt es für alle zur Verfügung stehenden Stellen auch Menschen, die auf diesen unterrichten. Es sind aber nicht immer vollausgebildete Lehrkräfte. Deshalb gibt es auch Fort- und Weiterbildungsangebote.
(Quelle: Hessisches Kultusministerium)
- Nordrhein-Westfalen (NRW):
„Der Lehrkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen in unserem Schulsystem. Auch das Unterrichtsfach Sport ist hiervon betroffen“, heißt es aus dem Schulministerium NRW. Sportunterricht werde im Bedarfsfall durch Vertretungslehrkräfte sowie weiteres geeignetes Personal im Rahmen befristeter Anstellungsverhältnisse erteilt. Zudem helfen Seiteneinsteigende den Schulen auch im Fach Sport dabei, den Lehrkräftebedarf zu decken und somit den Schülerinnen und Schülern die Teilnahme am Sportunterricht zu ermöglichen.
Mit einer halbjährlichen Qualifizierungsmaßnahme besteht für Bestandslehrkräfte an Primarschulen, die das Fach Sport fachfremd unterrichten wollen, die Möglichkeit, ein Zertifikat für die unbefristete Unterrichtserlaubnis zu erhalten. 2021 sind landesweit 92 Seiteneinsteigende für das Fach Sport eingestellt worden; 2022 waren es 135.
- Rheinland-Pfalz (RLP):
Sport ist in Rheinland-Pfalz kein Bedarfsfach. „Natürlich merken auch wir den bundesweiten Fachkräftemangel, sodass es zunehmend schwieriger wird, alle Stellen mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften zu besetzten. Allerdings hat Rheinland-Pfalz bereits in den vergangenen Jahren Maßnahmen ergriffen, um eine gute Unterrichtsversorgung zu gewährleisten“, teilte das Ministerium für Bildung mit. Das Land bilde konsequent über alle Schularten aus und habe die Zahl der Planstellen erhöht. Seiteneinsteigende seien im Sportunterricht nicht tätig.
Zusätzlich startete das Land im Sommer 2022 mit Partnern wie dem Pädagogischen Landesinstitut, der Schulaufsichtsbehörde, der Unfallfallkasse und dem Landessportbund die Schulsportinitiative RLP. Partnerschaften mit Sportvereinen sollen in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. Auch das Nachqualifizierungsprogramm WidiS („Wege in den inklusiven Schulsport“) erfreue sich großer Beliebtheit, hieß es.
- Saarland:
Das Saarland hat bei Sportlehrkräften keinen Bewerbermangel. Allein zum 1. Februar 2023 wurden 28 Sportlehrkräfte in den unterschiedlichsten Fächerkombinationen sowohl an Gymnasien/Gemeinschaftsschulen als auch an Beruflichen Schulen mit einer Planstelle eingestellt. Zudem gab es einen Überhang an Bewerberinnen und Bewerbern, die nun befristet beschäftigt sind. Darüber hinaus werden neben den grundständig ausgebildeten Sportlehrkräften Diplomsportlehrkräfte beschäftigt.
(Quelle: Ministerium für Bildung und Kultur Saarland)
- Sachsen:
Im Schuljahr 2021/22 haben in Sachsen 932 Lehrerinnen und Lehrer ohne Lehrbefähigung im Unterrichtsfach Sport gearbeitet – von insgesamt rund 5.200 Sportlehrkräften. Diese Lehrkräfte sind grundständig ausgebildet, haben aber nicht das Fach Sport studiert, und Seiteneinsteigende.
Die Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel im Land sind vielfältig und zahlreich – von der Verbeamtung der Lehrkräfte und der Erhöhung der Studienplätze über eine Gehaltszulage für Referendarinnen und Referendare, die aufs Land gehen, sowie eine Lehrkräftewerbekampagne bis zur Reaktivierung von Lehrkräften, die in Rente sind oder gehen wollen. Spezielle Maßnahmen für bestimmte Fächer wie Sport gibt es aber nicht.
(Quelle: Sächsisches Staatsministerium für Kultus)
- Sachsen-Anhalt:
Im Schuljahr 2021/22 wurden in Sachsen-Anhalt 84 Prozent des Sportunterrichts von Lehrkräften mit einer entsprechenden grundständigen Ausbildung erteilt. Die restlichen Stunden wurden von Lehrkräften unterrichtet, die durch Fort- und Weiterbildungen berechtigt sind, Sportunterricht zu geben. Grund für den Mangel an Sportlehrerinnen und -lehrern ist der sehr hohe, bundesweite Bedarf an Lehrkräften.
Die Maßnahmen, mehr Lehrkräfte zu gewinnen, richten sich an Pädagoginnen und Pädagogen aller Fächer. Dazu gehören ganzjährige Bewerbungsmöglichkeiten, eine Flexibilisierung des Laufbahnrechts, eine schrittweise Öffnung der Einstellungsvoraussetzungen für Seiteneinsteigende bis zur Einstellung von Seiteneinsteigenden mit Bachelor-Abschluss, Quereinstiegsmöglichkeiten in den Vorbereitungsdienst, ein berufsbegleitendes Referendariat für Seiteneinsteigende sowie die Akquirierung von Lehrkräften mittels Rekrutierungsagenturen.
(Quelle: Ministerium für Bildung)
- Thüringen:
„Wir beobachten, dass Sportunterricht ebenfalls von den Auswirkungen des allgemeinen Lehrermangels und von Unterrichtsausfall betroffen ist. Auch rangiert er in der Ausfallstatistik oft unter den Fächern mit hohem Ausfall“, teilte das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Erfurt mit. Fachfremde Vertretungen seien nicht möglich. Aktuell sind in Thüringen 34 offene Stellen für Sportlehrerinnen und -lehrer ausgeschrieben: „Mit dieser Größenordnung können wir umgehen.“ Die Zahl ändere sich aber ständig, denn eingestellt werde nicht zu festen Terminen, sondern fortlaufend nach Bedarf.
Das Thüringer Ministerium öffnet neben dem Weiterbildungskurs zum Erwerb einer Unterrichtserlaubnis im Fach Sport auch Seiten- und Quereinsteigenden mit sportfachlichen Vorkenntnissen den Weg in die Schule. Dabei wird darauf geachtet, dass die Vorkenntnisse möglichst bereits Bezüge zum Kinder- und Jugendsport haben und es sporttheoretische Grundlagenkenntnisse gibt.