An Haustüren klingeln, Broschüren verteilen, von einem Termin zum anderen hetzen – so kämpft Inken Kuhn um das Bürgermeisteramt im Ostseebad Laboe in Schleswig-Holstein. „Hätte mir das jemand prophezeit, hätte ich mir an den Kopf gefasst“, sagt die 47-Jährige. Aber nach sechs Jahren, die sie für die SPD im Gemeinderat gesessen hat, „habe ich Geschmack daran gefunden mitzugestalten“. Sie will „Macht, um zu machen“ – immer noch ungewöhnlich für eine Frau. Denn während im Bundeskabinett fast ebenso viele Ministerinnen wie Minister sitzen und in den Landtagen im Bundesschnitt ein Drittel der Abgeordneten weiblich ist, führt bundesweit nur in jedem zehnten Rathaus eine Frau die Amtsgeschäfte.
„Dabei sind Frauen eigentlich die besseren Bürgermeister“, sagt Thies Thiessen. Er coacht für die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik in Schleswig-Holstein Menschen auf ihrem Weg zum Bürgermeisteramt. Die Mehrzahl sind Frauen, aktuell betreut er Kuhn. „Frauen sind besser in Kommunikation, sie gehen mehr auf Menschen ein“, erklärt Thiessen.
Also nur eine Frage der Zeit, bis sich das Ungleichgewicht der Geschlechter von selbst verbessert? „Zu glauben, es kommen automatisch mehr Frauen – nein, das klappt nicht“, sagt Cécile Weidhofer vom Helene-Weber-Kolleg. Sie begleitete für die Europäische Akademie für Frauen (EAF) das Projekt „Demokratie braucht Frauen“ und sieht mit Sorge, dass die Zahlen weiblicher Abgeordneter in den Parlamenten stagnieren – in jüngster Zeit sogar sinken. „Dass Frauen nun mal nicht wollen und dass die Männer es schon richten werden, ist ein Argument wie vor 100 Jahren“, sagt Weidhofer. „Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Frauen wollen und müssen ihre Interessen in den Gremien vertreten.“
„Während die Männer in den Nachwuchsorganisationen der Parteien aktiv sind, kümmern sich Frauen zu Hause um die Kinder.“ (Cécile Weidhofer)
Aber es gibt Hemmnisse, die durch zahlreiche Studien belegt sind. So werden Frauen kritischer beäugt, wenn sie nach der Macht greifen. Gleichzeitig hinterfragen sie sich selbst stärker. Hinzu kommt, dass Frauen im Schnitt anders und später in eine Polit-Karriere starten als Männer: „Während die Männer in den Nachwuchsorganisationen der Parteien aktiv sind, kümmern sich Frauen zu Hause um die Kinder“, sagt Weidhofer. Dabei engagieren sie sich in Kitas, Schulelternbeiräten, Vereinen und Kirchengemeinden. Nur in die politischen Gremien stoßen sie nicht vor. „Hier sind die Parteien gefordert.“
Die haben das Problem erkannt. Fast in allen Parteien gibt es Mentoring-Angebote, Praktika, Schulungen. In Baden-Württemberg hat die CDU die „Mitreden-Kampagne“ gestartet, bei der Frauen um ihre Meinung gebeten werden, berichtet Susanne Wetterich, Mitglied im Bundesvorstand der Frauen Union. Interessentinnen erhalten eine Mentorin, machen Schnupperkurse in Parlamenten. Dennoch gebe es „viele sehr Konservative, für die Genderfragen immer noch Gedöns sind“, weiß Wetterich.
Frauen aus allen Parteien fordern inzwischen eine Änderung des Wahlsystems. Ein Vorbild ist das französische Paritätsgesetz. „Aber man muss differenziert vorgehen, die Gesetzeslage ist in Bund, Ländern und Kommunen sehr unterschiedlich“, sagt Wetterich. Die CDU hat mit dem aktuellen Wahlsystem ein besonderes Problem: Auch wenn Frauen auf den Listen gut platziert sind, ziehen als Direktkandidaten viele Männer in die Parlamente ein. Eine Idee lautet, Wahlkreise zusammenzulegen und Tandems antreten zu lassen: „Dann würden Mann und Frau gemeinsam siegen“, sagt Wetterich.
Doch so eine Änderung braucht Zeit. Und für die Bürgermeister-Direktwahlen würde sie nichts bringen. In Laboe konkurriert Kuhn mit zwei Männern. Das wichtigste Streitthema ist das örtliche Schwimmbad. Aber Kuhn geht es auch um andere Fragen: „Ich möchte mich für die Menschen einsetzen, die selbst nicht für sich einstehen können.“ Frauen würden andere Politik machen als Männer, glaubt sie, „weil wir uns nicht so stark profilieren wollen“.