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Lost in Japan?

Drei Jahre lang war Wolfgang Stöver von 2003 – 2006 Leiter der Deutschen Schule im japanischen Kobe. Sein Bericht vermittelt einen Eindruck von japanischen Eigenarten und beschreibt die Konflikte mit dem örtlichen Schulvorstand.

Nachdem ich in den Jahren 1984 bis 1987 erste, sehr positive Erfahrungen als Lehrkraft bzw. Schulleiter an der Deutschen Schule Kaduna, einer Firmenschule im Norden Nigerias, sammeln konnte, zog es mich im Jahr 2003 erneut ins Ausland. Im Winter 2002/2003 suchte die Deutsche Schule Kobe, eine der beiden in Japan bestehenden deutschen Auslandsschulen, einen neuen Schulleiter. Der Bewerber sollte die Nachfolge einer AdLK antreten die zu diesem Zeitpunkt bereits im siebten Schuljahr vor Ort die Leitungsfunktion inne gehabt hatte. Bereits im Sommer 2002 war die letzte von der Bundesrepublik Deutschland finanzierte AdLK-Stelle weggefallen. Die Tätigkeit des Kollegen wurde von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen für ein weiteres Schuljahr (2002/2003) durch finanzielle Zuwendungen an den Schulträger abgesichert. Die nunmehr für eine Ortskraft ausgeschriebene Schulleiterposition wurde mir angeboten. Grundlage der Tätigkeit war ein Dreijahresvertrag mit der Option auf Verlängerung. Die entsprechende Beurlaubung durch den Dienstherrn, die Freie und Hansestadt Hamburg, erfolgte problemlos.

Der Wechsel nach Japan

Das Land Japan hat sich sehr spät in seiner Geschichte für interkulturelle Beziehungen mit anderen Staaten geöffnet. Die japanische Gesellschaft steht allen Kontakten mit Ausländern auch heute noch sehr zurückhaltend gegenüber. Die Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für Ausländer wird sehr restriktiv gehandhabt. Dennoch bereitete es in der Regel keine Probleme, für Lehrkräfte an der Deutschen Schule entsprechende Visa zu bekommen. Der Umgang mit japanischen Ämtern, Banken und anderen Firmen erfordert auch von Deutschen ein hohes Maß an Geduld und Leidensfähigkeit. Man arbeitet sehr gewissenhaft und gibt sich dabei extrem bürokratisch. Das schließt nicht aus, dass Ausländer überall außerordentlich zuvorkommend und höflich behandelt werden.

Auch persönliche Begegnungen mit Japanern sind geprägt von beinahe unterwürfiger Höflichkeit. Rituale sind von großer Bedeutung. Diese sorgen für Distanz und dafür, dass niemand in Gefahr gerät, sein Gesicht zu verlieren. Private Kontakte zwischen Ausländern und Japanern sind nahezu undenkbar und bleiben die große Ausnahme. Vor diesem Hintergrund erwies es sich dennoch als durchweg angenehm, mit den japanischen Mitarbeitern der DSK zu kooperieren. Die Kolleginnen und Kollegen waren bemüht, sich auf das europäisch geprägte Arbeitsumfeld einzustellen und zeigten sich absolut zuverlässig und loyal ihrem Arbeitgeber gegenüber.

Die Deutsche Schule Kobe / European School

Im Jahr 1909, also vor inzwischen fast 100 Jahren, gründeten deutsche Kaufleute in Kobe eine eigene Schule. Es wurde von Anfang an nach deutschen Lehrplänen unterrichtet um zu gewährleisten, dass die Kinder von ins Mutterland zurückkehrenden Familien problemlos in das heimatliche Schulsystem wechseln konnten. Mit über die Jahre hinweg stark schwankenden Schülerzahlen entwickelte sich die DSK, neben der noch ein wenig älteren Schule in Yokohama, zu einem zweiten Zentrum gesellschaftlichen und deutschsprachigen kulturellen Lebens im Land der aufgehenden Sonne. Die beiden Schulen überlebten sogar eine in Folge des 2.Weltkrieges unumgängliche mehrjährige Zwangspause.

In den neunziger Jahren des 20.Jahrhunderts lenkten immer mehr in Japan tätige europäische Firmen ihr Interesse auf den boomenden Wirtschaftsraum China, was zur Folge hatte, dass auch immer mehr deutschsprachige Familien dem Kansai-Gebiet mit den Städten Kobe und Osaka den Rücken kehrten, um, zum Beispiel, nach Peking oder Schanghai überzusiedeln. Diese Entwicklung sollte schwerwiegende Folgen für die DS Kobe haben: Die Schülerzahlen wurden stark rückläufig und es war klar, dass ein wirtschaftlicher Schulbetrieb mit weniger als 20 Schülerinnen und Schülern auf längere Sicht nicht möglich sein würde. Hinzu kam, dass angesichts dieser Entwicklung der DSK die von der ZfA vergebenen Fördermittel in sehr starkem Maße reduziert wurden. Es war abzusehen, dass die Schule zu dem Zeitpunkt, an dem sämtliche Rücklagen aufgebraucht sein würden, tief in die roten Zahlen geraten wird.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung war es meinem Amtsvorgänger gelungen, den Schulverein davon zu überzeugen, dass eine Rettung der Schule nur über eine konsequente Erweiterung ihres Angebots möglich sein würde. Man entschloss sich, die Einrichtung mit einem zweiten, englischsprachigen Zweig auszustatten. Über dieses Angebot würde man finanzstarke japanische Familien, die für ihre Kinder eine an europäisch geprägten Werten orientierte Bildung und Erziehung wünschten, erreichen können. Die „European School“ (ES) als zweites, eng kooperierendes Standbein der traditionsreichen Deutschen Schule, wurde ins Leben gerufen.

Zertifizierung zur IBO Primary School

Während die DS weiterhin auf der Grundlage deutscher Lehrpläne (Thüringen) arbeitete, sollte der neue Schulzweig die Primarschul-Curricula der weltweit operierenden International Baccalaureate Organization (IBO) in den Mittelpunkt eines modernen englischsprachigen Unterrichts stellen. Dazu war es erforderlich, bei der IBO in Genf die Zertifizierung zur IBO Primary School zu beantragen. Die ES nahm im Sommer 2002 mit einer Klasse 1 den eigenen Schulbetrieb auf. Den Unterricht übernahmen in England ausgebildete Pädagogen, zu deren Aufgaben es auch gehörte, das Primary Years Programme (PYP) der IBO zu adaptieren und die Einrichtung für eine entsprechende Zertifizierung vorzubereiten. Denn während der neue Schulzweig in den Folgejahren um jeweils eine Klassenstufe wuchs, wurde das Team intensiv auf die Arbeit mit dem neuen Curriculum vorbereitet. Im Sommer 2006 schließlich wurde die dreijährige Trainings- und Vorbereitungsphase über ein mehrtägiges Audit, durchgeführt von zwei Prüfern der IBO, erfolgreich abgeschlossen.

Mit dem erworbenen Zertifikat war die European School Kobe in die Lage versetzt, ihre Dienste als voll anerkannte „IBO School offering the Primary Years Programme“ am lokalen Markt für private Auslandsschulen anzubieten. Für mich schien damit der Zeitpunkt gekommen, ein zukunftsweisendes Schulprofil der DSK/ES zu entwickeln und der Öffentlichkeit vorzustellen. Der Schwerpunkt der schulischen Arbeit würde künftig auf der „Vermarktung“ des teuer erworbenen Zertifikats liegen müssen. Nur der systematische Ausbau des englischsprachigen Zweiges konnte mittelfristig die Existenz der traditionsreichen DSK, die davor weiter stark rückläufige Schülerzahlen zu verzeichnen hatte, sichern. In einer konsequent neu ausgerichteten Schule sollte dem deutschen Zweig die Rolle eines „Juniorpartners“ zukommen, dessen Überleben den vielfältigen Synergie-Effekten einer Kooperation unter gemeinsamem Dach zu verdanken sein würde.

Visionen versus Mangel an Mut und Weitblick

Was nützen die besten Konzepte, wenn deren Umsetzung von einem zögerlich und wenig risikobereit agierenden Schulvorstand verhindert wird? Kleinmut bestimmte dessen Handeln, oder besser: dessen Nicht-Handeln. An diesem Beispiel wird deutlich, wie die überlebenswichtige Weiterentwicklung einer privaten Schule von einer konstruktiven Kooperation zwischen Schulleitung und Schulverein abhängig sein kann. Die Umsetzung von Visionen erfordert Investitionen die nicht zum Nulltarif zu haben sind, verlangt Innovationsbereitschaft und den Mut zu unternehmerischem Risiko. Solange jedoch ein Schulverein permanent massive Probleme hat, alle Vorstandssitze irgendwie zu besetzen, bleibt es nicht aus, dass ein solches Gremium zum Tummelplatz profilierungssüchtiger Hobby-Pädagogen verkommt.

Ein Schulleiter der sich ständig intriganten Angriffen sowie dilettantischen Versuchen von Einflussnahme erwehren muss, ohne dabei auf die Rückendeckung durch eine vernunftorientierte Vorstandsmehrheit zählen zu können, führt einen einsamen Kampf! Ein als Ortskraft tätiger Schulleiter darf bei einer solchen Auseinandersetzung keinerlei beratende oder gar vermittelnde Unterstützung von der Zentralstelle in Köln erwarten. Wenn es nicht darum gegangen wäre, den Aufbau der Schule zur zukunftsorientierten „IB-School mit deutschem Zweig“ erfolgreich voranzutreiben und zum Abschluss zu bringen, hätte ich die Zusammenarbeit mit dem Schulverein schon lange vor Ablauf des Dreijahresvertrages beendet. Meine Rückkehr nach Deutschland im Sommer 2006 nahm der Schulvorstand zum Anlass, mit verleumderischen Unterstellungen, mir vertraglich zustehende Zahlungen, wie ausstehende Monatsgehälter, Boni und Umzugspauschalen, zu verweigern. So musste, mit Hilfe der GEW-Rechtsschutzstelle in Frankfurt, zu guter Letzt ein japanisches Arbeitsgericht angerufen werden. Nach rund einjähriger juristischer Auseinandersetzung unterlag der Schulverein in allen Punkten.

Trotz der beschriebenen Misslichkeiten blicke ich gern auf die drei Jahre in Japan zurück. Die Aufgabe, eine in ihrer Existenz bedrohten Traditionsschule im Ausland auf die Erfolgsstraße zurück zu führen, empfand ich als außerordentlich spannende und anspruchsvolle Herausforderung. Zu erleben, was ein überaus engagiertes multinationales Team aus bis zu neun Nationalitäten unter der gegebenen Zielsetzung zu leisten imstande ist, war beglückend. Umso ernüchternder wirkte die anschließende persönliche Erfahrung nach der Rückkehr ins heimatliche Hamburg: Sie waren im Ausland? Wie war der Urlaub?! So oder ähnlich waren die Reaktionen vieler Kollegen und Vorgesetzter. Mein Fazit: Im Auslandsschuldienst gesammelte Schul- und Leitungspraxis wird zuhause weder geschätzt noch anerkannt.