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BAföG

Licht und Schatten

Studierende bekommen mehr BAföG, können bis zum Alter von 45 Jahren Studienförderung beantragen, und die Elternfreibeträge wurden hochgesetzt. Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), erklärt, was noch zu tun bleibt.

Die BAföG-Reform der Ampelkoalition war die größte seit vielen Jahren. Angesichts steigender Inflation reicht sie aber nicht aus. (Foto: IMAGO/Steinach)
  • E&W: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) startete mit großen Worten ins Amt: „Attraktiver, moderner, flexibler“ solle das BAföG werden, kündigte sie Ende 2021 an. Ist das geglückt?

Matthias Anbuhl:  Bisher hat sie einen ersten schnellen Schritt gemacht. Das war richtig und wichtig, damit die Studierenden nach jahrelangen Nullrunden zügig an erste Verbesserungen kommen. Um das BAföG tatsächlich attraktiver, moderner und flexibler zu machen, sind strukturelle Veränderungen notwendig, die ja ebenfalls angekündigt sind. Wir erwarten nun, dass diese alsbald folgen. Von dieser zweiten Reform wird der Erfolg der BAföG-Versprechen von Ministerin Stark-Watzinger abhängen.

  • E&W: Wie bewerten Sie die bisherigen Änderungen?

Anbuhl: Wir sehen Licht und Schatten. Die Anhebung der Altersgrenze von 30 auf 45 Jahre und die Erhöhung der Elternfreibeträge um 20,75 Prozent sind zu begrüßen. Mit beiden Maßnahmen bekommen Studierende Anspruch auf BAföG, die bisher nicht erreicht wurden. Viel Schatten sehen wir bei den Bedarfssätzen: Bei einer Inflation von 7,5 Prozent und mehr bedeutet eine „Erhöhung“ um 5,75 Prozent faktisch ein Minus. Hier muss schnell und deutlich nachgelegt werden. Strukturell überfällig ist zudem eine regelmäßige Anpassung der BAföG-Sätze, etwa alle zwei Jahre, analog zu den regelmäßigen BAföG-Berichten der Bundesregierung. Das Fehlen eines solchen Mechanismus ist ein zentraler Grund dafür, dass das BAföG den Kosten so hinterherhängt. Von 2010 bis 2016 sind die BAföG-Sätze nicht gestiegen. Es folgten Erhöhungen in den Jahren 2016, 2019 und eben in diesem Jahr. In den Jahren zwischen den Erhöhungsschritten gab es keinen Cent mehr für die Studierenden.

  • E&W: Reicht das BAföG überhaupt zum Leben aus?

Anbuhl: Nein, und das ist auch gar nicht vorgesehen. Die Höhe des BAföG ist willkürlich festgelegt, das hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2021 bestätigt. Auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wie die BAföG-Bedarfssätze empirisch sauber berechnet sein müssten, warten wir noch. Nach Berechnungen des Bildungsökonomen Dieter Dohmen im Auftrag des DSW hätte der Grundbedarfssatz bereits 2019 bei 500 bis 550 Euro liegen müssen. Angehoben wurde er jetzt auf 452 Euro, zuzüglich Wohnpauschale sowie Zuschüssen für Kranken- und Pflegeversicherung.

  • E&W: Wie sieht es mit einer größeren Elternunabhängigkeit der Studienförderung aus? Frau Stark-Watzinger sagt: „BAföG bedeutet Freiheit – nicht der Geldbeutel der Eltern entscheidet, sondern der junge Mensch selbst.“

Anbuhl: Auch laut Koalitionsvertrag der Ampelregierung soll das BAföG „elternunabhängiger“ werden. Konkret warten wir nun auf das Modell einer Kindergrundsicherung, das zurzeit bei der Bundesregierung in Arbeit ist. Steht diese, kann und muss sie zügig als Sockelbetrag für alle Studierenden in das BAföG-System aufgenommen werden. Das ist eine der strukturellen Reformen, die noch folgen müssen.

  • E&W: Was sollte aus Ihrer Sicht weiterhin geschehen?

Anbuhl: Vier von zehn Studierenden haben keine Chance auf BAföG, weil sie zu alt sind, zu lange studieren, das Fach gewechselt oder den falschen Pass haben. Die Erhöhung der Altersgrenzen kann nur ein erster Schritt sein, um den Kreis der Berechtigten zu erhöhen. Auch bei Regelstudienzeit, Studienfachwechseln und für ausländische Studierende muss sich etwas tun.

  • E&W: Braucht es perspektivisch ein BAföG, das von dem zunehmend überholten Lebenslauf Schule-Studium-Beruf Abschied und lebensbegleitendes Lernen in den Blick nimmt? Also auch Teilzeitstudien, modulares Lernen und Ähnliches fördert?

Anbuhl: Das lebenslange Lernen braucht ein Finanzierungsmodell, das für jede Phase eine passende Komponente bietet. Dafür benötigt es zusätzlich zu BAföG, Aufstiegs-BAföG und -stipendien weitere Optionen, also eine facettenreichere Finanzierung. Auch das ist übrigens nicht neu. Die von dem Bildungsökonomen und späteren DSW-Präsidenten Dieter Timmermann geleitete Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ forderte bereits 2003 Reformen, die den sich wandelnden Lebensläufen der Menschen Rechnung tragen.

  • E&W: Was ist mit dem BAföG für Schülerinnen und Schüler? Die Zahl der Geförderten hat sich seit 2013 fast halbiert.

Anbuhl: Ein Teil des Rückgangs liegt daran, dass Erzieherinnen und Erzieher seit dem vergangenen Jahr nicht mehr unter das Schüler-, sondern unter das Aufstiegs-BAföG fallen. Hier hat gleichsam ein „Umzug“ von einer größeren Geförderten-Gruppe stattgefunden. Gesunken sind die Zahlen trotzdem – und das in einer Zeit, in der Chancengleichheit die bildungspolitische Herausforderung ist. Besonders bitter daran ist, dass es bis 1983 ein deutlich besser ausgebautes Schüler-BAföG gab als heute. Dorthin müssen wir im Grunde zurück.

  • E&W: Laut dem dritten Entlastungspaket der Bundesregierung, das als Reaktion auf die gestiegenen Energiepreise beschlossen wurde, sollen alle Studierenden eine Direktzahlung von 200 Euro bekommen ...

Anbuhl: Es ist gut, dass die Bundesregierung damit alle Studierenden in den Blick nimmt; die steigenden Preise treffen schließlich alle. Gerade die mehr als 60 Prozent, die auf dem freien Wohnungsmarkt unterkommen, benötigen dieses Geld nun sehr rasch auf ihrem Konto. Allerdings braucht es weitere Hilfen für Studierende. Und die steigenden Preise treffen auch die Studierendenwerke. Viele Wohnheime werden mit Gas beheizt, ebenso die Mensen. Auch die Einkaufspreise für Lebensmittel gehen durch die Decke.

  • E&W: Heißt das, Zimmer und Essen werden teurer?

Anbuhl: Ja. Aktuell nutzen die Studierendenwerke jedes Einsparpotenzial, das sie noch sehen. Doch wenn sie als gemeinnützige Unternehmen nicht ebenfalls zusätzliche finanzielle Unterstützung bekommen, werden sich höhere Mieten und teurere Mensa-Essen nicht vermeiden lassen. Auch darunter würden alle Studierenden leiden – und das sollten wir dringend vermeiden.