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Leitung in Bildungseinrichtungen

Leiten im Team

Viele Schulleitungen werden kaum auf ihre Führungsaufgaben vorbereitet. Oft fehlt es an grundständigen Zusatzqualifizierungen der Lehrkräfte und an Mindeststandards. Doch es gibt auch positive Beispiele.

Gründervater der Deutschen Akademie für Pädagogische Führungskräfte ist Hans-Günter Rolff. „Ausbildungsgänge für Schulleitungen sind in Deutschland ein lückenhafter Flickenteppich und viel zu schwach entwickelt“, sagt der emeritierte Professor für Bildungsforschung. (Foto: privat)

Simone Holl ist ein echtes Energiebündel. Die 56-jährige Leiterin des Max-Born-Berufskollegs in Recklinghausen gestaltet gern und stößt immer wieder Veränderungen an. In ihrer Karriere hat sie an Mathebüchern, Lehrplänen und Prüfungsanforderungen mitgeschrieben, sie hat in der Lehrerausbildung und im Düsseldorfer Schulministerium als Pädagogin gearbeitet. Kein Wunder, dass sie Anfang 2018 als stellvertretende Schulleiterin die nächste Chance ergriff und den freiwerdenden Chefposten ihres Vorgängers übernahm. „Ich habe viele Ideen, Schule zu verbessern“, sagt Holl. Jetzt arbeitet sie mit ihrem Leitungsteam an neuen Zielen für das Berufskolleg: Europaschule, Schule der Zukunft, Talentschule, digitale, moderne, gesunde Schule.

Für die neue Aufgabe hat sich die Lehrerin für Mathematik und Informatik speziell weitergebildet. Sie hat sich nach der staatlichen Schulleitungsqualifizierung, die in Nordrhein-Westfalen (NRW) obligatorisch ist und Grundkompetenzen für pädagogisches Führungswissen vermittelt, auch an der Deutschen Akademie für Pädagogische Führungskräfte (DAPF) in Dortmund eingeschrieben. „Ich hatte das Bedürfnis“, sagt Holl, „über die grundständige Fortbildung hinaus in den Austausch mit anderen Schulleitungen zu kommen und mehr über den wissenschaftlichen Blick zu erfahren.“ Und sie habe es nicht bereut. „Die DAPF hat mir den Rücken gestärkt, Schulleitung als Machtpromotor zu sehen und mit Widerständen umzugehen. Dafür bin ich sehr dankbar.“

Leadership und Gestaltung

Selbstverständlich ist das alles nicht. Laut der Studie „Schulleitungen in Deutschland“ mit 405 zufällig ausgewählten Schulleitungen gab die Hälfte der Befragten an, weder an einem Landesinstitut noch bei einer Vorbereitungsqualifikation an einer Universität für die Leitungsaufgaben qualifiziert worden zu sein. Für viele Führungskräfte beginne der Aufstieg in die Schulleitung eher mit einer Förderung durch Mentorinnen und Mentoren, die den Kolleginnen und Kollegen Aufgaben übertragen haben, schreibt das Autorenteam der gemeinsamen Studie der Universitäten Tübingen und Lüneburg sowie der Pädagogischen Hochschule der Nordwestschweiz.

Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, ist dieser Missstand ein Dorn im Auge. „Neben der pädagogischen Qualifikation braucht Schulleitung sehr gute Kommunikations-, Kooperations- und Organisationsfähigkeiten, um ein Team von Pädagoginnen und Pädagogen und weiteres pädagogisches Personal zu führen, um Schülerinnen und Schüler sowie Eltern in die Schulgemeinschaft zu integrieren“, sagt sie. Die immense Aufgabenfülle sei in der Corona-Pandemie besonders augenfällig geworden.

Zwar gebe es in einzelnen Bundesländern wie Hamburg und NRW Landesinstitute und Fortbildungsreihen, aber keine verlässlichen Aussagen über die Qualifizierung. „Schulleitungen benötigen eine gute Vorbereitung und eine gute Unterstützung bei der Ausübung ihrer Rolle“, so Bensinger-Stolze weiter. „Und es wäre hilfreich, wenn Schulleiterinnen und Schulleitern mehr Verwaltungstätigkeiten abgenommen würden, statt ihnen immer mehr aufzubürden.“ Die wachsende Aufgabenflut mache es schwierig, inhaltlich zu gestalten.

„Schulleitungen müssen selbst geschult werden.“ (Wolfgang Böttcher)

Die DAPF sieht sich als eine Vorreiterin bei der Vermittlung von Management-Qualitäten in Schulleitungen. „Die Ansprüche an Leitung nehmen rapide zu“, heißt es schon im Leitungsverständnis der DAPF von 2006. An großen wie auch kleinen Schulen gehe es neben Erziehung und Unterrichtsentwicklung nicht zuletzt um Personal- und Gesundheitsmanagement, Budgetgestaltung, Fortbildungsplanung, Qualitätsmanagement und vieles mehr. „Deshalb ist verteilte Führung angesagt.“

Der wissenschaftliche Leiter der DAPF, Wolfgang Böttcher, erläutert das Konzept weiter. „Schulleitung ist heute Organisationsentwicklung“, sagt der Seniorprofessor für Erziehungswissenschaft. „Es geht um Leadership und Gestaltung der Organisation Schule – und um die entsprechenden Kompetenzen und Qualitäten.“ Es reiche nicht mehr allein, ein guter Pädagoge zu ein. „Schulleitungen müssen selbst geschult werden.“

„Gerade Schulen in sozialen Brennpunkten fühlen sich im Stich gelassen.“

Der Grund für die Entwicklung liege nicht zuletzt in der Politik: Ministerien würden sich immer weiter aus ihrer Lenkungsfunktion zurückziehen und Schulen sich selbst überlassen. Damit würden immer mehr Aufgaben und Verantwortung an Schulen übertragen. Doch deren Leitungen gerieten ins Dilemma. „Gerade Schulen in sozialen Brennpunkten fühlen sich im Stich gelassen“, sagt Böttcher. Hinzu komme, dass Schule von akademischem Lehrpersonal lebt – also von autonomen, autarken Profis, die sich ungern bevormunden lassen. „Umso wichtiger sind gute Führungskompetenzen“, betont Böttcher.

Gründervater der DAPF ist Hans-Günter Rolff, emeritierter Professor für Bildungsforschung und bis heute ein führender Schulleitungs-Experte. „Ausbildungsgänge für Schulleitungen sind in Deutschland ein lückenhafter Flickenteppich und viel zu schwach entwickelt“, sagt der 82-jährige Erziehungswissenschaftler. „2005 war es noch schlimmer.“ Deshalb habe er sich seinerzeit entschieden, die bundesweit einmalige Akademie für pädagogische Führungskräfte ins Leben zu rufen. Die DAPF will zertifizierte Ausbildungsgänge auf universitärem Niveau anbieten und dringend benötigte Kompetenzen vermitteln. „Schulleitung ist ein eigenständiger Beruf und sollte auch so gesehen werden“, betont Rolff. „Doch bundesweit fehlen Standards für die Ausbildung. Während der Corona-Pandemie hat sich noch einmal deutlich gezeigt, was für ein Skandal dieses Manko ist.“

Die Richtschnur für die Maßnahmen in der Schule sollen nach Ansicht der GEW die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sein. Dafür schlägt die GEW ein Fünf-Punkte-Programm vor:

5-Punkte-Programm zum Gesundheitsschutz an Schulen
Ab der 5. Klasse muss das gesellschaftliche Abstandsgebot von 1,5 Metern gelten. Dafür müssen Klassen geteilt und zusätzliche Räume beispielsweise in Jugendherbergen gemietet werden.
Um die Schulräume regelmäßig zu lüften, gilt das Lüftungskonzept des Umweltbundesamtes. Können die Vorgaben nicht umgesetzt werden, müssen sofort entsprechende Filteranlagen eingebaut werden.
Die Anschaffung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler muss endlich beschleunigt werden. Flächendeckend müssen eine datenschutzkonforme digitale Infrastruktur geschaffen und IT-Systemadministratoren eingestellt werden. Zudem müssen die Länder Sofortmaßnahmen zur digitalen Fortbildung der Lehrkräfte anbieten.
Für die Arbeitsplätze in den Schulen müssen Gefährdungsanalysen erstellt werden, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler besser zu schützen.
Transparenz schaffen: Kultusministerien und Kultusministerkonferenz müssen zügig ihre Planungen umsetzen, wöchentlich Statistiken auf Bundes-, Landes- und Schulebene über die Zahl der infizierten sowie der in Quarantäne geschickten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine realistische Datenbasis, um vor Ort über konkrete Maßnahme zu entscheiden“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. 

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten ändern muss.