Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen
„Leider defizitär“
Prof. Wolfhard Kohte und Ulrich Faber haben ihren Leitfaden für einen besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen neu aufgelegt. E&W hat bei Prof. Kohte nach den Zielen des Bandes und der Situation vor Ort gefragt.
- E&W: Warum braucht es ein Buch zum Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen?
Prof. Wolfhard Kohte: Leider sind Schulen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz besonders defizitär: Kaum ein Bereich zeigt eine so unzureichende Arbeitssicherheitsorganisation. Begehungen von Schulen haben ergeben, dass mehr als 90 Prozent der Einrichtungen eines Bundeslandes nicht die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung erfüllen. Unser Buch will vor allem Personalräten und Schulleitungen juristisches Werkzeug an die Hand geben, um Missstände zu beheben – denn das Wohlbefinden der Lehrkräfte hat direkten Einfluss auf die Qualität der Bildung.
- E&W: Die erste Auflage erschien 2015. Warum jetzt eine zweite?
Kohte: Die erste Auflage bot eine Bestandsaufnahme unserer langjährigen Begleitung und Fortbildung von Personalräten. Die Corona-Pandemie hat dann dazu geführt, dass der Arbeitsschutz in manchen Bundesländern mehr Beachtung fand, weil die Folgen der Mängel dramatisch sichtbar wurden. Dennoch bleibt die Umsetzung je nach Bundesland sehr unterschiedlich. All das gab genug Anlass und Material für eine zweite Auflage.
- E&W: Wie ist die Lage heute?
Kohte: Unsere Kernbotschaft bleibt leider -unverändert: Arbeitsschutz ist in Schulen weiterhin defizitär. Im Bericht der Bundesregierung über Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz liegen Lehrkräfte bei der Arbeitsunfähigkeit an dritter Stelle von 20 Branchen – hinter Metall, aber vor Chemie, Maschinenbau und dem Bau. Lehrtätigkeit ist Interaktionsarbeit, und die gilt in den Arbeitswissenschaften als spezifischer Gefährdungsfaktor.
- E&W: Was sind denn die größten Belastungen?
Kohte: Immer weniger Lehrkräfte müssen mit immer mehr und immer diverseren Schülerinnen und Schülern arbeiten. Da wäre die pädagogische Antwort eigentlich klar: Unterschiedlichere Gruppen brauchen kleinere Klassen. Die Haushaltspolitik der Länder sieht jedoch anders aus. Zudem leiden nicht wenige Schulen unter enormem Lärm, sie haben Defizite in der Hygiene, etwa bei den Toiletten, und zu wenig Barrierefreiheit. Auch bei der Organisation der Sicherheitsfachkräfte gibt es in den meisten Bundesländern große Defizite.
- E&W: Reicht die Rechtslage aus, um besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz durchzusetzen?
Kohte: Das allgemeine Arbeitsschutzrecht auf Bundes-ebene ist zumindest befriedigend, weil Deutschland seit 30 Jahren das fortschrittliche europäische Arbeitsschutzrecht umsetzen muss. Problematisch sind aber die föderale Organisation des Schulwesens und die Trennung zwischen Schulträgern – meist Kommunen – und dem Land als Arbeitgeber. Das Nebeneinander von Verwaltungen führt immer zu Problemen, wenn die Schnittstelle nicht klar definiert ist. Aber immerhin haben die Unfallkassen 2019 mit Verbänden und der Kultusministerkonferenz die „Branchenregel Schule“ als Leitfaden herausgebracht, um das Nebeneinander besser zu organisieren.
- E&W: Gibt es Best-Practice-Beispiele?
Kohte: Das Buch stellt in erster Linie erfolgreiche Praxisbeispiele vor, die für andere Ansporn sind. Es soll ja nicht dazu dienen, zu deprimieren und zu entmutigen. Die Unfallkassen beispielsweise haben Projekte zum ergonomischen Klassenzimmer gestartet, die Lärmbelastungen und andere Probleme verringern. Durch raumakustische Maßnahmen können die Belastung der Lehrkräfte minimiert und zugleich die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler verbessert werden. Es gibt wunderbare Möglichkeiten zur gesunden Schule …
- E&W: … die aber niemand finanziert?
Kohte: Dass ein Kämmerer kein Geld für Pflichtaufgaben bereitstellt, ist rechtlich kein Argument. Dann muss er die Mittel umschichten, jeder Haushalt hat Reserven. Wir erwarten, dass mit dem neuen Sondervermögen etwas für unsere Schulen getan wird. Diese gehören zur kritischen Infrastruktur und haben eine defizitäre Infrastruktur. Die Vergabe muss dabei nach Fachgrundsätzen erfolgen. Vor allem sind diejenigen Projekte auszuwählen, die Barrierefreiheit und eine gesunde Arbeitsstätte sichern. Jeder Umbau einer Schule ist eine Chance, Barrieren zu beseitigen. Auch ergonomische Anforderungen wie die Reduzierung der Lärmbelastung müssen umgesetzt werden! Und solche Pläne müssen rechtzeitig mit Personalräten und dem Arbeitsschutzausschuss beraten werden.
Wolfhard Kohte, Ulrich Faber: Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen – Leitfaden für Personalräte und Schulleitungen, Bund-Verlag 2024