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Deutsches Schulbarometer

Lehrkräftemangel dominiert - und erschwert - schulischen Alltag

Der akute Personalmangel ist laut Forsa-Befragung mit Abstand die größte Herausforderung für Schulleitungen und überlagert alles andere. Die GEW fordert schnelle und nachhaltige Hilfen.

Fachleute fordern: Der Lehrerberuf muss attraktiver werden. (Foto: COLOURBOX)

Der massive Fachkräftemangel ist mit Abstand das größte Problem und die größte Sorge deutscher Schulen. Das geht aus dem Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung hervor, für das erstmals nur Schulleitungen befragt wurden. Zwei Drittel (67 Prozent) von ihnen sehen im fehlenden pädagogischen Personal – von Lehrkräften über die Schulsozialarbeit bis zur Schulpsychologie – die größte Herausforderung. An sozial benachteiligten Standorten sagen dies sogar 80 Prozent. Der Schulleiter der Waldparkschule Heidelberg, Thilo Engelhardt, sagte: „Wir kommen momentan ganz wenig zu unserem Kerngeschäft, der pädagogischen Arbeit mit den Kindern.“

„Schulleitungen und Kollegien brauchen endlich wieder Rahmenbedingungen, um ihre Arbeit professionell tun zu können.“ ( Anja Bensinger-Stolze)

„Warnstufe dunkelrot!“, kommentierte GEW-Schulexpertin Anja Bensinger-Stolze. „Schulleitungen und Kollegien brauchen endlich wieder Rahmenbedingungen, um ihre Arbeit professionell tun zu können.“ Es werde nur gelingen, dem Teufelskreis aus Überlastung durch Lehrkräftemangel und Lehrkräftemangel durch Überlastung zu entkommen, wenn die Politik mehr Geld ins System stecke.

Die GEW veröffentlichte einen „15-Punkte-Plan gegen den Lehrkräftemangel“, in dem sie vorschlägt, die Zahl der Plätze für das Lehramtsstudium zu erhöhen und Studienbeschränkungen abzuschaffen.

Klagen über zu viel Bürokratie

Die weiteren Themen, die Schulleitungen umtreiben, wirken im Vergleich zum Personalmangel fast marginal. Genannt wurden die schleppend vorankommende Digitalisierung (22 Prozent), zu viel Bürokratie (21 Prozent) und eine hohe eigene Arbeitsbelastung (20 Prozent). Die Corona-Pandemie und -Maßnahmen beschäftigen hingegen nur noch jede zehnte Schule (9 Prozent).

Unterdessen wird der Lehrkräftemangel die Schulen nach Ansicht der Fachleute noch über Jahre belasten. Es gebe „keine schnelle und vor allem keine einfache Lösung“, sagte die Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung, Dagmar Wolf. Falk Radisch, Professor für Schulpädagogik an der Universität Rostock, prognostizierte, fehlende Fachkräfte würden zu einem „Dauerproblem“.

„Allein zwei Wochen im Jahr ist man als Leitung mit Schulstatistiken beschäftigt.“ (Thilo Engelhardt)

„Weniger bürokratischer Aufwand könnte die aktuelle Personalnot an den Schulen aber zumindest lindern, indem beispielsweise die Anstellung von Unterstützungsfachkräften in der Verwaltung, von pädagogischen Assistenzkräften oder ausländischen Lehrkräften erleichtert wird“, sagte Wolf.

Den befragten Schulleitungen zufolge sind administrative Tätigkeiten extreme Zeitfresser. „Allein zwei Wochen im Jahr ist man als Leitung mit Schulstatistiken beschäftigt“, sagte Engelhardt. Wolf plädierte dafür, Verwaltungsfachkräfte an Schulen zu etablieren.

Kaum Kapazitäten für neu Zugewanderte

Mit Blick auf die Aufnahme neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher aus der Ukraine und weiteren Herkunftsländern kommt das Schulsystem derweil an seine Grenzen: Rund die Hälfte der Schulen sieht keine Kapazitäten mehr für weitere Schülerinnen und Schüler, es fehlen Personal und Räume – insbesondere in Schulen in sozialen Brennpunkten.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurden rund 200.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen aufgenommen. Schätzungen der Schulleitungen zufolge kamen zeitgleich fast genauso viele neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler aus anderen Ländern hinzu.

Corona-Aufholprogramme wirkungslos

Fast drei Jahre nach Beginn der Coronapandemie sehen die Schulen zudem bei mehr als einem Drittel der Schülerinnen und Schüler weiter einen großen Lernrückstand (35 Prozent). An Schulen in sozial benachteiligter Lage betrifft dies sogar zwei Drittel der Kinder (65 Prozent). Lediglich ein Drittel (32 Prozent) der Schulleitungen erkennt eine Wirkung der Corona-Aufholprogramme.

„Das Ziel, insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche zu unterstützen, wurde weit verfehlt, weil alle Schulen über einen begrenzten Zeitraum Fördermittel nach dem sogenannten Gießkannenprinzip erhalten haben“, kritisierte Wolf.

Alle Fachleute plädierten daher für die künftige Verteilung von Geldern nach einem Sozialindex, wie ihn die GEW seit langem fordert. Beim geplanten Startchancen-Programm der Bundesregierung dürften frühere Fehler nicht wiederholt werden, hieß es zudem.

Für das repräsentative Deutsche Schulbarometer befragte Forsa zwischen 31. Oktober und 16. November 2022 1.055 Schulleitungen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen online.