Medienkompetenz
Lehrkräftebildung hat Schlüsselfunktion
Durch die Corona-Pandemie ist die Nutzung digitaler Medien für Lehr- und Lernprozesse stärker in den Vordergrund gerückt. Die Frage, welche künftige Bedeutung digitale Medien für pädagogische Prozesse haben werden, ist daher wichtig.
Im Sinne der Strategien der Kultusministerkonferenz (KMK), des Bundes und der Länder soll in Schulen verstärkt mit digitalen Medien unterrichtet, sollen digitale Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler gefördert werden. Dabei wird auf die vielfältigen Potenziale verwiesen, die diese zur Unterrichtsgestaltung haben. Bei der Verbindung von Lehr- und Lernprozessen bilden digitale Medien eine zentrale Ressource für die Lehrkräfte. Pointiert formuliert werden mit ihnen didaktische Potenziale ausgeweitet und verstärkt.
In einer digital vernetzten Gesellschaft können dabei um ein Vielfaches größere Mengen an Informationen abgespeichert, verteilt und genutzt werden. Durch die umfassende Verbreitung und Verfügbarkeit digitaler Endgeräte werden neue Formen schulischer Kommunikation möglich, die auch außerschulische Partner und weltweite Kontakte umfassen können. Von hervorgehobener didaktischer Bedeutung ist dabei das Merkmal der Interaktivität, die die Möglichkeiten der Differenzierung und Individualisierung erheblich erweitert.
Gestaltungsmöglichkeiten des Unterrichtes erweitern
Eine besondere Stärke digitaler Lernsysteme ist, dass sie unmittelbar auf die individuelle Aktivität des Lernenden eine Rückmeldung geben. Diese Funktion ist schon elementar für einfache Lern-Apps, ermöglicht aber als zentrales Element in Simulationen, sogenannten Serious Games (Spiele, die nicht primär oder ausschließlich der Unterhaltung dienen) und Open Worlds (Spiele, die überdurchschnittlich viele Freiheiten bieten, den Spielverlauf selbst zu gestalten), selbstständige und kooperative Arbeitsprozesse. Kombiniert mit der Möglichkeit, eigene Inhalte – etwa in Form persönlicher Themen oder Erlebnisse – digital einzubinden, tragen digitale Medien zu einer erhöhten Authentizität der Lerninhalte und Arbeitsformen bei.
Durch die skizzierten Potenziale erweitern sich die Gestaltungsmöglichkeiten des Unterrichts fundamental. Neben den Potenzialen für die traditionellen Unterrichts-ziele rücken aber auch neue Aufgabenfelder verstärkt in den Fokus. So bestärken die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie die Einschätzung, dass die Medien-kompetenz der Schülerinnen und Schüler entwicklungs-bedürftig ist. Das Erkennen von Fake News beispielsweise, die zielgerichtete und effektive Nutzung von Kommunikationsmöglichkeiten oder die Gestaltung ansprechender und aussagekräftiger Lernmedien müssen gezielt gefördert werden, damit Medien reflektiert und nutzbringend verwendet und Risiken vermieden werden können.
Flexibel durch mobile digitale Medien
Mit dem verstärkten Einsatz mobiler digitaler Medien im Unterricht wird die Bindung an stationäre Geräte und Computerräume gelöst und so mehr Flexibilität ermöglicht. Dadurch können auch kürzere Unterrichtssequenzen mit digitalen Medien umgesetzt werden. Als mobile Geräte werden im Wesentlichen Notebooks, Convertables (Geräte, die aufgrund der abnehmbaren Tastatur ein Hybrid zwischen Tablet und Notebook sind), Tablets und Smartphones eingesetzt.
Dabei sind Erstere in der Regel etwas leistungsstärker, bieten mehr Funktionalitäten und unterstützen längere Arbeitsphasen. Tablets und insbesondere Smartphones hingegen haben mehr Stärken in der Flexibilität und Mobilität, sind aber aufgrund ihrer Bildschirmgröße und fehlender Eingabegeräte etwas eingeschränkter für längere Arbeitsprozesse geeignet. Während im Sekundarbereich an einigen Schulen inzwischen Tablet- oder Laptopklassen mit einer hundertprozentigen Ausstattung oder Bring-your-own-Device-Konzepte implementiert wurden, werden im Unterricht des Primarbereichs Tablets häufiger ergänzend eingesetzt.
Mit der Ausstattung der Schulen mit digitalen Medien werden zum Teil hohe Erwartungen an den Lernerfolg verknüpft, die aber aus Sicht der Forschung relativiert und insbesondere differenziert werden müssen: Meta-studien zeigen, dass der Einsatz digitaler Medien bislang nur leichte bis mittlere positive Effekte für den Lernerfolg bringt. Dies liegt insbesondere daran, dass sich die Potenziale des Lernens mit mobilen Geräten nicht durch die Geräte entfalten, sondern auf dem konzertierten Zusammenspiel eines durchdachten pädagogischen Settings mit geeigneter Hard- und Software beruhen. Es kommt also darauf an, guten Unterricht mit Hilfe digitaler Medien zu gestalten. Unterricht mit digitalen Medien ist eben keine homogene Intervention, sondern schließt unterschiedliche Formen und Qualitäten des Unterrichts ein.
Fokus Lehrkräftebildung
Dabei ist auch die Rolle digitaler Medien für die Förderung von Kompetenzen differenziert zu betrachten. Während etwa einerseits die Förderung der Medienkompetenz auch mit digitalen Medien stattfinden muss und die Entwicklung der Recherche- und Lesekompetenz heute ohne die Nutzung digitaler Medien nicht mehr zu denken ist, gilt es andererseits, die Bedeutung entsprechender Endgeräte für die Entwicklung höherer mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen geringer zu gewichten.
Internationale Vergleichsstudien legen nahe, dass die Lehrkräftebildung eine Schlüsselfunktion bei der Realisierung der Chancen digitaler Medien hat. Lehrkräfte sollten deshalb durch technischen Support entlastet und durch Informations- und Fortbildungsangebote bei der Unterrichts- und Schulentwicklung unterstützt werden.
Prof. Rudolf Kammerl ist Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Andreas Dertinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesem Lehrstuhl.
Ein internationales Team aus Bildungsforscherinnen und -forschern macht sich für pädagogische Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für digitale Bildungstechnologien (EdTech) stark: An jedeLern-App, Lernplattform oder jedes Lernmanagementsystem sollen demnach pädagogische AGB gekoppelt werden, mit denen die Modellierung des Lernens sowie mögliche Chancen und Risiken der Technologie transparent gemacht werden. Lehrkräfte sollen so einfacher abwägen und entscheiden können, welche digitale Bildungstechnologie sie für ihren Unterricht nutzen wollen.
Die Fachleute betonen zudem, bei der Einschätzung von EdTech dürften nicht nur Fragen des Datenschutzes eine Rolle spielen. Auch Aspekte wie Suchtgefahr oder ein veraltetes Bild von Pädagogik müssten berücksichtigt werden. Darüber hinaus plädiert das Team für mehr Zusammenarbeit von Technologieanbietern und pädagogischer Praxis.
Hinter der Idee der pädagogischen AGB stehen Prof. Sigrid Hartong (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg), Emiliano Grimaldi -(Universität Neapel) sowie Lanze Vanermen und Mathias Decuypere (Katholische Universität Leuven).
Nadine Emmerich, freie Journalistin