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Lehrer an Europäischen Schulen

Europäische Schulen sind offizielle Bildungeinrichtungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Derzeit existieren 14 Europäische Schulen in Ländern mit EU-Institutionen. Jürgen Hahn-Schröder berichtet über seine Erfahrungen als Lehrer in Karlsruhe und Alicante.

 

Europäische Schulen sind eine eigenständige Schulform an Standorten von EU-Institutionen. Sie bieten ein Angebot vom Kindergarten bis zum europäischen Abitur nach 12 Jahren Ganztagsschule mit 180 Schultagen pro Jahr. Von 1998 bis 2003 war ich an der Europäischen Schule Karlsruhe und anschließend von 2003 bis 2007 an der Europäischen Schule Alicante als Lehrer tätig. Meine Schulstufe war die Sekundarschule von der Klasse 6/1 bis zur Klasse 12/7. Fächer: Deutsch, DaF, Humanwissenschaften und Geografie: Im Sport bin ich nur vertretungsweise zum Einsatz gekommen. Außerdem war ich Fachkonferenzsprecher Deutsch und DaF, Koordinator für die erste Fremdsprache (D, En, F, Spanisch) sowie örtlicher Personalrat.

Meine beiden Schulstandorte in Deutschland und Spanien

Karlsruhe im Badischen ist eine Stadt von hoher Lebensqualität (einschließlich einer hervorragenden Verkehrsinfrastruktur). Baden-Württemberg als Gastland bietet viel, man sagt, man könne dort alles, außer Hochdeutsch. Wenn die Alleskönnerei einschließt, dass man die jüngere deutsche Geschichte dort ebenso gekonnt verdrängen könne wie andernorts, stimme ich dem Spruch in jeder Hinsicht zu.

Alicante, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der Comunidad Autónoma Valenciana, beherbergt seit 1996 das europäische Markenamt – eigentlich OAMI, organisación de armonisación del mercado interior/Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt. Dieses Markenamt lieferte den Gründungsanlass für die Europäische Schule in San Juan Playa de Alicante. Die Region ist eine von hoher alltäglicher Lebensqualität, die bisweilen unter (wenn auch überwiegend fröhlicher) Krachschlägerei(in amtlichen Dossiers spricht man von der allgegenwärtigen contaminación del ruido) leidet. Wir haben in einer kleinen, feinen urbanisación unter lauter aufgeschlossenen, sehr netten Spaniern gelebt. Wir sind uns ans Herz gewachsen. Wir waren gern gesehene europäische Gäste in einer Zeit des spekulativ unterfütterten Aufschwungs, wovon wir beim Hauskauf/-verkauf unterm Strich nolens volens profitierten. Wir fühlen uns (i.e. meine Frau und unsere jüngste Tochter, die 2006 an der ES Alicante ihr Abitur machte) der spanischen Kultur nachhaltig verbunden.

Die Europäischen Schulen in Karlsruhe und Alicante

Zu den besonderen Höhepunkten der ersten Jahre in Karlsruhe zähle ich bis heute die große Offenheit und Kooperationsbereitschaft einer Vielzahl von Kolleg/innen, eine nur im Hintergrund und unmerklich agierende Schulleitung (also der Direktor als Gesamtleiter, die stellv. Direktorin, Leiterin der Sek.stufe und den stell. Direktor, Leiter der Grundschule), das Internationale Schulklima mit Lehrerinnen (hier sind die Lehrer ungenannt mitgemeint) aus 18 und Schülerinnen (Anmkg.dito) aus 35 Nationen, vielfarbig und plurikulturell, der vor Dienstantritt mir nicht bekannte, dann durchaus wohlwollend aufgenommene hohe Verdienst. Schwierigkeiten zeigten sich dann, wenn man nach Begründungen für Entscheidungen und Handlungen fragte und zur gemeinsamen Grundlage den rationalen Diskurs in der Tradition der Aufklärung machen wollte, was nach der Einarbeitungsphase mein Ansinnen bis ins 9. Jahr blieb.

Das führte bei manchen Kolleginnen, aber vor allem bei der Schulleitung zu Schwierigkeiten und zu einer für mich unglaublichen Renaissance des Breschnjewschen Modells der friedlichen Koexistenz als eigentlichem Lebensprinzip für eine Mehrzahl von Systemeuropäern. Das war im Sinne der Idee der europäischen Integration wenig, im Sinne eines friedlichen Mit- und manchmal auch nur Nebeneinanders ganz schön viel, insbesondere eingedenk der Tatsache, dass sich die Vatergeneration einer Vielzahl von europäischen Kolleginnen aufgrund teutonischer Initiative noch mit der Waffe und bis aufs Messer bekämpft hatten. Dies im Rückblick deutlich zu sehen, ist Teil meines persönlichen Lernzuwachses ebenso wie meine Kompetenzzuwächse in interkulturellem Lernen, in den schulischen Verkehrssprachen, insbesondere dem Spanischen.

Dass ich am Zauber des Anfangs der im Schuljahr 2003/2004 neu gegründeten Secundaria in Alicante teilhaben durfte, dass dieser Zauber dann ziemlich schnell einer administrativen Petrefizierungsstrategie durch die Schulleitung und ihrer Gefolgsleute, das Bild vom alten Wein in neuen Schläuchen wäre ein Euphemismus für die Charakterisierung dieses Vorgangs, wich, buche ich im Rückblick eher unter Lernzuwachs als unter Schwierigkeiten, denn ich sehe bis heute, was Herbert von Arnim auf allgemeiner Ebene in seinem Buch „Das EUROPA-Komplott. Wie EU-Funktionäre unsere Demokratie verscherbeln“ (2006 bei Hanser) analysiert, im System der ES wie im Brennspiegel vor mir.

Ich wollte bis zum Schluss nicht einsehen, dass unser europäisches Gehalt Schweigegeld sein sollte, ich betrachte es weiterhin als Verpflichtung zu professioneller pädagogischer Qualitätsarbeit. Ich habe in diesem Sinne neben meiner Tätigkeit als Klassen- und Fachlehrer aktiv am Konzept und der Umsetzung von Projekttagen an beiden Schulen mitgewirkt, habe als schulinterner Fortbildner gewirkt, bin als Fachsprecher Deutsch und Koordinator für die 1. Fremdsprache tätig gewesen, habe 2 Theaterprojekte als Klassenprojekte durchgeführt, war aktiv in der konzeptionellen Entwicklung und Weiterentwicklung der Berufspraktika und als Schullaufbahn- und Berufsberater, habe es als Personalrat gewagt, diskursiv und aktiv die Interessen meiner Kolleginnen im Zweifelfalle auch in Gegenposition zur Schulleitung zu vertreten, abgesehen von meiner schulübergreifenden aktiven Mitarbeit in der GEW-Arbeitsgemeinschaft Europäische Schulen (AGES) über annähernd acht Jahre.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer an Europäischen Schulen

Ein nationale Kollegien um ein vielfach übersteigendes Maß an kultureller Vielfalt und auch Verschiedenheit kennzeichnete meine beiden ES-Kollegien. Auf Festen, bei verschiedensten kulturellen Veranstaltungen ebenso, wie im alltäglichen Miteinander zeigte sich das auf positive Weise. Blühende Kleinkulturen blitzten rund um die Nationalfeiertage von den Schweden bis zu den Spaniern auf, die für das soziale Klima positiv sind und die zu einem Schulklima im europäischen Geist beitragen. In Karlsruhe gab es einen volleyballerischen, in Alicante einen nämlichen und einen fußballerischen, die GS und OS übergreifenden, Kontakt der Kolleginnen. Die letzten pädagogischen Tage in Alicante verliefen ohne jede inhaltliche Verzahnung zwischen den Schulstufen, allerdings durchaus quer zu den Sektionen (spanisch, englisch, französisch, deutsch) innerhalb der Secundaria.

Der Zusammenhalt in der deutschen Sektion war durchgehend groß, Kontakte und Kooperation im Schulischen und Privaten gediehen prima. Arbeitgeber ist der Oberste Rat als Legislativ- und Exekutivorgan der EU für den Bereich der ES, das Generalsekretariat in Brüssel führt die Geschäfte. Schulleiter/innen vor Ort sind ihre eigenen Damen und Herren, die dem schulischen Verwaltungsrat angehören, der mindestens dreimal im Jahr tagt und den durch Brüssel vorgegebenen Haushalt ebenso umsetzt, wie er alle schulischen Akzente setzt innerhalb dessen, was durch Beschlüsse des OR vorgegeben ist. ADLK haben ihre nationalen Inspektoren als unmittelbare Dienstvorgesetzte. Da die Dienstzeit aus einem Grund- und 2 Folgeverträgen (2+3+4) besteht, gibt es eine unmittelbare Abhängigkeit zum Inspektor und eine mittelbare zu den Schulleiter/innen. Der Inspektionsausschuss für den Primarbereich hat am 15. November 2000 ein Konzeptpapier Zur „Qualitätssicherung und –förderung an den Europäischen Schulen“ beschlossen mit dem ausdrücklichen Hinweis: „Man kann dieses Dokument als das erste einer Reihe von Veröffentlichungen über die Aspekte der Qualitätsverwaltung an den Schulen betrachten. Später zu veröffentlichende Handbücher werden auf spezifische Projekte an den Schulen ausgerichtet werden.“ Nach anfänglichen Diskussionen in den Schulen, z.B. im Rahmen von Pädagogischen Tagen herrscht seit 2001/2002 Funkstille. Für die neugegründete Schule in Alicante habe ich persönlich in meiner Eigenschaft als Personalrat ein schulinternes Evaluationsverfahren im Frühjahr 2004 angeregt, das auf brüske Ablehnung der Schulleitung gestoßen ist.

Fachinspektionen finden in unterschiedlicher Weise statt, die für DaF regelmäßig und betreut von einer kompetenten, engagierten Inspektorin aus Österreich. Für alle Abgesandten gelten Zeitverträge, auch für die Direktionen. Die Verlängerungsinspektionen haben je nach Land ganz unterschiedliche Qualitäten, manche werden aus der Ferne durchgeführt (die französischen Inspektoren haben sich weder in Karlsruhe noch in Alicante blicken lassen, die KuK der frankophonen Sektion wurden verlängert, während die deutschen ADLK in aller Regel ein ehrgeiziges Hospitationsprogramm zu bewältigen hatten). Wie Direktoren und Direktorinnen regelmäßig zu ihren Posten und Verlängerungen kommen, ist ein eigenes Kapitel, auf den treuen Spuren der Edith Cressón, jenes Musterbeispiel europäischer Selbstbedienung, Vetternwirtschaft und fortgesetzter Vorteilsnahme im Amt (Immerhin löste ihr Fall einige demokratische Aktivitäten wie den Rücktritt der gesamten Kommission und ganz konkrete Anti-Korruptionsmaßnahmen aus).

Personalvertretung

Jede Europäische Schule besteht aus Kindergarten, Grundschule und Sekundarschule. Die Grund – und Sekundarschule stellt je einen Personalvertreter oder eine Personalvertreterin. Sie haben eigentlich weitgehende Mitspracherechte, vor allem im Verwaltungsrat der eigenen Schule und über den zentralen Personalrat in Brüssel (CdP), auch in den zentralen Gremien wie Gemischtem Pädagogischem Ausschuss (GPA) und Oberstem Rat (OR). Leider verstehen sich die Personalvertreter häufig nicht als Interessenvertretungen der Lehrerschaft insgesamt mit geschriebenen Rechten und nehmen diese Vertretungsrechte deshalb nur partiell wahr. Es werden keine Personalräteschulungen durch Generalsekretär oder die Präsidentschaft für neue Personalräte organisiert. Personalräte arbeiten eher den Schulleitungen und dem Obersten Rat zu, öfter auch im Hinblick auf eine persönliche Karriere im System (Prominenteste Beispiele sind der letzte Generalsekretär Ryan, ehemals Lehrer und CdP in Culham, danach stellvertr. Schulleiter in Varese und schließlich Nachfolger für den verstorbenen Generalsekretär Weiss im Jahr 2002 – 2007 und der langjährige Generalsekretär des CdP, Michel Garreau, der es schließlich im Jahr 2007 auf eine Stelle als stellv. Schulleiter schaffte; er war federführend beteiligt an der Neuformulierung der Allg. Schulordnung/ASO und darin am Abbau von Mitbestimmungsrechten der Gesamtkonferenz der Lehrer/innen).

Persönliches Engagement und Wiedereingliederung

Die Schule in Alicante hat sich direkt nach ihrer Gründung in das Netzwerk der ES begeben mit der Beteiligung an individuellem Schülerinnenaustausch zwischen den ES, europäischen Sporttagen, einmal jährlich der Durchführung der noches culturales, zu denen Chöre und Orchester aus anderen ES für vier Tage eingeladen wurden, der aktiven Beteiligung am Model European Council (MEC), das zweimal in den letzten fünf Jahren den Gebäuden der OAMI stattfand sowie an einem mehrjährigen Comeniusprojekt unter Beteiligung unserer, einer italienischen, einer slowakischen und einer bayerischen Schule stattfand. Ich habe mich aktiv am Aufbau der Schullaufbahn- und Berufsberatung unserer Schule beteiligt. Meine Frau, auch eine Lehrerin, hielt sich berufsmäßig, ökonomisch aus allem Schulischem heraus – wir wollten unerpressbar bleiben – arbeitete aber die gesamte Zeit ehrenamtlich in Alicante in der Bibliothek der Secundaria.

Durch ein angeschlossenes Sabbatjahr ist mir die Wiedereingliederung wunderbar gelungen, denn ich konnte mir Zeit nehmen, mir einerseits über das Erfahrene in aller Ruhe meine Gedanken machen, Abstand gewinnen, unter anderem mein Diploma Español am Instituto Cervantes absolvieren, andererseits mich neu auf unsere alte Lebens- und Wirkungsstätte, dem idyllischen Marburg in Mitteleuropa einstimmen. Meine Erfahrungen und neuen Kompetenzen schlummern mehr als dass ich sie zur Anwendung brächte, verschaffen mir allerdings ein gutes Gefühl in einer mittleren Distanz im schulischen Alltag an meiner alten Schule, die sich in den letzten 10 Jahren Roland-Kochscher Abwärtsentwicklung mit stark verjüngtem Kollegium auf bewunderswerte Weise auf den Weg einer inneren Schulreform gemacht hat. Traurig bin ich, dass ich meine DaF-Qualifikationen von einem auf den anderen Tag beruflich gar nicht mehr nutzen kann. Stattdessen unterrichte ich nun in meinen herkömmlichen 4 Schulfächern – Deutsch, Politik und Wirtschaft, Erdkunde und Sport - 16 Wochenstunden in 4 Lerngruppen. Meine Klasse 9 c zeigt eine multikulturelle Schülerschaft, wie ich sie aus meiner europäischen Zeit gewohnt bin, und mein untrügliches Gefühl ist, dass auch Marburg in der Zwischenzeit ein wenig europäischer, wenn nicht internationaler geworden ist, während unserer Abwesenheit.