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Lehrer an einer katholischen Mädchenschule in Kairo

Die Deutsche Schule der Borromäerinnen in Kairo ist eine traditionsreiche katholische Mädchenschule mit 700 Schülerinnen. Christoph Straub hat dort von 2003 bis 2010 als Oberstufenkoordinator gearbeitet und Physik und Mathematik unterrichtet.

 

Der Schwerpunkt meines Berichts liegt auf der Information für KollegInnen, die mit dem Gedanken spielen, ins Ausland zu gehen. Widersprüche – unsere Zeit war voll von ihnen – werden nicht vertuscht. Ich war vom Sommer 2003 bis Sommer 2010 als Oberstufenkoordinator an der Deutschen Schule der Borromäerinnen (DSB) in Kairo tätig. Meine Unterrichtsfächer sind Mathematik und Physik. Es war mein zweiter Auslandsaufenthalt als Lehrer (zuvor waren wir von 1989 bis 1998 an der Europäischen Schule Brüssel II).

Ägypten ist eine Diktatur, was sich zuerst an der hohen Polizeipräsenz bemerkbar macht. Das gab einerseits das Gefühl großer Sicherheit (meine Frau konnte problemlos zu jeder Tageszeit unterwegs sein; wir mussten unser Auto nicht abschließen, was wir aber trotzdem taten), war aber auch mit vielen Polizeikontrollen und Einschränkungen verbunden (damit sind die Probleme, die die Bevölkerung damit hat, nicht erwähnt). Rechtssicherheit, wie wir sie in Deutschland kennen, gab es nicht. Man wusste oft nicht, ob es Regeln gab und wenn ja, welche. Das Verhalten der Polizei und auch der Verwaltung war für uns undurchschaubar. Ein Gefühl der Willkür und Unberechenbarkeit war immer vorhanden.

Wir wohnten in einem für Kairo sehr grünen Stadtteil (mit außerdem großem Ausländeranteil) und hatten eine sehr große Wohnung, die gut ausgestattet war. Der Mietpreis war akzeptabel. Die Lebensmittelversorgung war einigermaßen ok. Es gab zwar nichts Besonderes, kulinarisch oder qualitativ Anspruchsvolles (die Qualität nahm in den sieben Jahren leicht zu, die Auswahl wurde etwas größer), aber es gab auch keine Versorgungsengpässe.

Das Leben in einem Land, in dem die Religion eine derartig wichtige Rolle spielt (nach unserem Eindruck verbunden mit viel Show), im Laufe der sieben Jahre immer mehr unter ihren Einfluss brachte, immer dominanter – und damit zumindest für uns bedrückender – wurde, man ihr eigentlich nicht entkommen kann, ist für einen Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig.

Dank problemlosem Internetzugang und Satellitenfernsehen waren wir über die Vorgänge in Deutschland bestens informiert, oft besser als über das, was sich in Ägypten abspielte. Informationen aus Ägypten waren schwieriger zu erhalten. Einmal ist die Presse nicht so, wie wir es von Europa gewohnt sind (u. a. Stichwort Diktatur). Dazu kommt, dass es uns nur gelang, die Landessprache elementar – und das auch nur mit riesengroßem Aufwand – zu erlernen. Allerdings entwickelten sich unheimlich schnell Gerüchte und das hatte durchaus Folgen. Permanent neuen Eindrücken (auch noch nach sieben Jahren!) ausgesetzt zu sein kostete viel Energie. Dabei kamen die neuen Eindrücke nicht nur von alleine, wir suchten sie auch bewusst. Wir waren abends immer viel müder, als wir es von Deutschland her gewohnt waren.


Die Besonderheiten der Deutschen Schule der Borromäerinnen

Die DSB unterscheidet sich von anderen deutschen Auslandsschulen: Ihr Träger ist ein katholischer Orden, sie ist eine Mädchenschule und die Schülerinnen sind fast durchweg Ägypterinnen (maximal zwei bis drei deutsche Mädchen und vielleicht 15 bis 20 aus Mischfamilien, bei insgesamt etwa 700 Schülerinnen). Deshalb gab es unter den Schülerinnen nur eine äußerst geringe Fluktuation.

Die durch den Status „christliche Schule in islamischem Land“ sehr obskure Wochenendregelung (freitags frei, weil islamischer „Sonntag“, samstags Schule, sonntags frei) ließ nur wenig Möglichkeiten zur notwendigen Erholung. Die Rücksichtnahme auf östliche christliche Feiertage, westliche christliche Feiertage, islamische Feiertage, deutsche Nationalfeiertage und ägyptische Nationalfeiertage und die nationalen Regelungen (ein Feiertag, der auf einen Freitag oder Sonntag fällt, muss ausgeglichen werden; zudem wurden alleine in den sieben Jahren, die wir in Ägypten verbrachten, zwei zusätzliche Nationalfeiertage erfunden und eingesetzt, wobei wir erst sehr kurzfristig über das Fernsehen informiert wurden), machten einen sinnvollen Jahresplan mit den notwendigen Erholungspausen sehr schwierig.

Das Arbeitsklima war insgesamt durchaus akzeptabel. Ich konnte mir in dieser Zeit große Freiräume schaffen. Diese waren nötig, weil wir aufgrund der Rahmenbedingungen viel und schnell improvisieren mussten. Allerdings hat eine Auslandsschule eine hohe Fluktuation der Lehrkräfte und deshalb kann sich das Klima von Jahr zu Jahr immer wieder stark verändern. In einer Schule wie der DSB spielt das eine sehr wichtige Rolle, weil die meisten Beziehungen in der doch recht kleinen Lehrergruppe stattfinden.

Außenbeziehungen waren wegen der Sprache, aber auch dem großen Arbeitsaufwand in der Schule (deshalb wenig Freizeit und abends meist müde) und der Größe der Stadt nicht so leicht machbar, zumal der chaotische Verkehr nicht gerade dazu ermutigte, abends das Haus nochmals zu verlassen. Die Lehrer/innen „schmorten“ also ziemlich viel „im eigenen Saft“. Die Zusammenarbeit war unter den deutschen KollegInnen – so keine „Feindschaften“ bestanden; da versuchte man, sich so viel wie möglich aus dem Weg zu gehen – recht gut, mit den ägyptischen wegen der Sprachprobleme nicht ganz so einfach. Es gab aber (hin und wieder, nicht durchgehend) gemeinsame Sportgruppen und andere gemeinsame Events, die das Klima positiv beeinflussten.

Schulleiter aus den südlichen Bundesländern (das zumindest erfuhr ich von nichtsüddeutschen KollegInnen) scheinen etwas autoritärer zu sein. Wenn etwas so nicht läuft, wie man es sich in seiner „schulleiterischen Unfehlbarkeit“ vorstellt (das erlebte ich selbst), verzichtet man auf Konferenzbeschlüsse (oder ignoriert sie) und entscheidet aus seiner „Schulleiterkompetenz“ heraus. Der Drang zur Selbstdarstellung war bei denen, die ich erlebte, nicht zu übersehen. Es gab immer einen teilweise recht aktiven und von der Schulleitung akzeptierten Lehrerbeirat, der seine Rolle als „Ersatzpersonalrat“ ernst nahm (nach meinen jüngsten Informationen ist das vorbei – keine/r will mehr kandidieren).

Zick-Zack-Kurs in der BildungspolitikEin großes Problem ist das ägyptische Schulministerium. Seine Entscheidungen – sie haben einen großen Einfluss auf unsere Arbeit – waren vielfach irrational, ihr Sinn oder Ziel nicht erkennbar und wurden uns meistens nur sehr spät mitgeteilt. Es war keine Linie darin zu erkennen, es wurde – oft mit hoher Geschwindigkeit – ein Zick-Zack-Kurs gefahren, sodass ein Gefühl der Willkür und Unberechenbarkeit blieb. Das machte uns die Planung schwer. Insbesondere Termine wurden uns sehr spät mitgeteilt, was unsere eigene Terminplanung immer wieder zu Makulatur machte. Die Zusammenarbeit mit den beiden anderen deutschen Schulen in Ägypten (inzwischen sind mindestens fünf weitere dazugekommen) war gut. Auch die Kontakte zum DAAD und zur German University in Cairo waren fruchtbar. Mit der Botschaft – insbesondere, wenn ich Visa für Schülerinnen brauchte – klappte es ganz gut. Allerdings konnte man, wenn es echte Probleme gab, keine Hilfe oder Unterstützung erwarten. Die deutschen Schulen (wie auch alle internationalen Schulen) spielen in Ägypten eine wichtige Rolle. Viele führende Leute in Politik und Wirtschaft sind Ehemalige der deutschen Schulen. Einige Unternehmen stellen für wichtige Posten nur Abgänger dieser Schulen ein. Das marode und ineffektive nationale Bildungssystem ist nicht in der Lage, die im Land benötigten Qualifikationen zu entwickeln und zu vermitteln. Deshalb boomt der private, nichtstaatliche Bildungsmarkt. Das hat auch Folgen für die deutschen Auslandsschulen. In Ägypten sind inzwischen erstmalig private Schulen mit dem eindeutigen Ziel der Gewinnmaximierung als deutsche Auslandsschulen anerkannt. Es ist zu diskutieren, inwieweit Steuergelder hierfür verwendet werden sollen. Ich hatte in meinen sieben Jahren die Möglichkeit, Mathematikwettbewerbe für deutsch-ägyptische Begegnungen – sowohl in Ägypten wie in Deutschland – zu nutzen. Das machte nicht nur Spaß, es erbrachte auch jedes Mal auf beiden Seiten überaus wichtige Erfahrungen und Einsichten zur Hinterfragung und auch Überwindung von Vorurteilen. Schade, dass diese Chance an der DSB nach meinem Abgang nicht mehr so wahrgenommen wird.

Pädagogisches Qualitätsmanagement

Auch in der DSB gab und gibt es Pädagogisches Qualitätsmanagement (PQM). Wenn man allerdings den Bock zum Gärtner macht, kann nicht viel dabei herauskommen. Der damit beauftragte Kollege war kein Paradebeispiel guter pädagogischer Arbeit. Weshalb bekam er den Job? Mangels Alternativen? Wahrscheinlich. Ich erlebte die ersten zwei Stufen der Evaluation (interne Evaluation und Besuch der „Freunde“). Diese Art der Evaluierung halte ich für überaus ungeeignet. Zwar wird behauptet, dass es nur um die Schule und ihre Qualität und nicht um einzelne Lehrer/innen gehe. Die Qualität einer Schule ist nun aber mal ganz wesentlich von der ihrer Lehrer/innen abhängig. Durch die große Fluktuation im Lehrkörper sind die Ergebnisse unbrauchbar. Bei uns war die interne Evaluation (Lehrer-, Eltern- und Schülerbefragung) im Jahr 2008, die „Freunde“ kamen 2009, nachdem ein Drittel der Lehrer ausgewechselt wurde. Die Vertreter der ZfA werden nach meinen Informationen 2011 kommen. Da sind von den BPLK und ADLK, die 2008 bei der ersten Runde dabei waren, vielleicht noch einer oder höchstens zwei aktiv. Ich halte die Evaluation und daraus resultierend eine Zertifizierung für durchaus sinnvoll. Die deutschen Auslandsschulen haben eine gute Reputation und leisten sicherlich eine hervorragende Arbeit mit durchaus guten Ergebnissen. (Deshalb sollte auch der Begriff „Deutsche Auslandsschule“ ein geschützter Markenname werden.) Die zur Qualitätskontrolle entwickelten Werkzeuge werden jedoch ihrer Aufgabe und ihrem Ziel in keiner Weise gerecht. Und die Pläne der ZfA zur Weiterentwicklung der Deutschen Auslandsschulen sind m.E. für die Qualitätserhaltung oder gar Quali-tätssteigerung geradezu kontraproduktiv.

Wiedereingliederung …

Was ist Wiedereingliederung, Eingewöhnung, Ankommen in Deutschland? Ich wurde das seit meiner Rückkehr oft gefragt und – ich muss es ehrlich sagen – wusste keine Antwort darauf. Sicher, man hat einige Vorteile gehabt (Bügler, Homedelivery, Autoputzer, ...), es gab eine ganz andere soziale Anerkennung, man lebte in einem internationalen Umfeld. Das ist hier nicht mehr so. Das vermissen sicher einige Rückkehrer. KollegInnen kommen, KollegInnen gehen, man selbst kommt und geht. Immer wieder werden neue Beziehungen aufgebaut (müssen aufgebaut werden), findet ein Abschiednehmen – auf immer? – statt. Das ist – in seiner Häufigkeit – ein großer Unterschied zur Schule in Deutschland, das ist etwas, was manchmal belastet, ab und zu befreiend wirken kann, auf jeden Fall emotionale Arbeit fordert. Man wird hinterlassen und hinterlässt: Freunde, Leute, die einem sympahisch wurden, mit denen man gerne noch weiter zusammengearbeitet oder einfach seine Zeit verbracht hätte.

Mir scheint das Weggehen – egal in welche Richtung – das schwierigere zu sein, nicht das An-/Zurückkommen. Es gibt in Deutschland in der Schule teilweise ganz andere Verwaltungsabläufe, aber das gibt es bei jedem Wechsel. Vieles, was einem am Anfang neu ist – im Ausland wie nach der Rückkehr –, wird einem bald vertraut, selbstverständlich, sodass man schnell die Anfangsprobleme vergisst und deshalb z. B. gar nicht auf die Idee kommt, nachfolgende KollegInnen darüber zu informieren. Für mich persönlich kommt noch dazu, dass ich in Deutschland an einer beruflichen Schule unterrichte und deshalb ein anderes Kollegium und ganz andere Schüler/innen habe. Das macht mir keine Probleme. Es ist nach einem Auslandsaufenthalt – Gott sei Dank – nicht mehr so wie vorher und es wird auch nicht mehr so werden. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man die Heimkehr ohne Probleme angehen.

Ausblick und Fazit

Ich werde in zwei Jahren pensioniert. Man wird mir deshalb keine neuen Aufgaben, in denen ich vielleicht von meinen Erfahrungen Gebrauch machen könnte, übertragen. Ich glaube auch nicht, dass man in der Schulverwaltung auf meine Erfahrungen Wert gelegt hätte, wenn ich noch länger arbeiten würde. Es ist schade, dass die Verwaltung dieses Kapital nicht nutzt. Sie verzichtet damit auf eine Bereicherung der Schulen, schadet letztendlich sich selbst und den Schüler/inne/n, nicht mir, denn meine Erfahrungen, meine Erlebnisse, die Bereicherung meines Lebens kann sie mir nicht nehmen. Vielleicht merkt man es meinem Bericht nicht unbedingt an: Ich möchte keine Minute dieser sieben Jahre in Ägypten missen. Es war eine schöne, spannende, erfahrungs- und erlebnisreiche und mich in vielerlei Hinsicht fordernde und fördernde Zeit.