Der Schwerpunkt meines Berichts liegt auf der Information für KollegInnen, die mit dem Gedanken spielen, ins Ausland zu gehen. Widersprüche – unsere Zeit war voll von ihnen – werden nicht vertuscht. Ich war vom Sommer 2003 bis Sommer 2010 als Oberstufenkoordinator an der Deutschen Schule der Borromäerinnen (DSB) in Kairo tätig. Meine Unterrichtsfächer sind Mathematik und Physik. Es war mein zweiter Auslandsaufenthalt als Lehrer (zuvor waren wir von 1989 bis 1998 an der Europäischen Schule Brüssel II).
Ägypten ist eine Diktatur, was sich zuerst an der hohen Polizeipräsenz bemerkbar macht. Das gab einerseits das Gefühl großer Sicherheit (meine Frau konnte problemlos zu jeder Tageszeit unterwegs sein; wir mussten unser Auto nicht abschließen, was wir aber trotzdem taten), war aber auch mit vielen Polizeikontrollen und Einschränkungen verbunden (damit sind die Probleme, die die Bevölkerung damit hat, nicht erwähnt). Rechtssicherheit, wie wir sie in Deutschland kennen, gab es nicht. Man wusste oft nicht, ob es Regeln gab und wenn ja, welche. Das Verhalten der Polizei und auch der Verwaltung war für uns undurchschaubar. Ein Gefühl der Willkür und Unberechenbarkeit war immer vorhanden.
Wir wohnten in einem für Kairo sehr grünen Stadtteil (mit außerdem großem Ausländeranteil) und hatten eine sehr große Wohnung, die gut ausgestattet war. Der Mietpreis war akzeptabel. Die Lebensmittelversorgung war einigermaßen ok. Es gab zwar nichts Besonderes, kulinarisch oder qualitativ Anspruchsvolles (die Qualität nahm in den sieben Jahren leicht zu, die Auswahl wurde etwas größer), aber es gab auch keine Versorgungsengpässe.
Das Leben in einem Land, in dem die Religion eine derartig wichtige Rolle spielt (nach unserem Eindruck verbunden mit viel Show), im Laufe der sieben Jahre immer mehr unter ihren Einfluss brachte, immer dominanter – und damit zumindest für uns bedrückender – wurde, man ihr eigentlich nicht entkommen kann, ist für einen Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig.
Dank problemlosem Internetzugang und Satellitenfernsehen waren wir über die Vorgänge in Deutschland bestens informiert, oft besser als über das, was sich in Ägypten abspielte. Informationen aus Ägypten waren schwieriger zu erhalten. Einmal ist die Presse nicht so, wie wir es von Europa gewohnt sind (u. a. Stichwort Diktatur). Dazu kommt, dass es uns nur gelang, die Landessprache elementar – und das auch nur mit riesengroßem Aufwand – zu erlernen. Allerdings entwickelten sich unheimlich schnell Gerüchte und das hatte durchaus Folgen. Permanent neuen Eindrücken (auch noch nach sieben Jahren!) ausgesetzt zu sein kostete viel Energie. Dabei kamen die neuen Eindrücke nicht nur von alleine, wir suchten sie auch bewusst. Wir waren abends immer viel müder, als wir es von Deutschland her gewohnt waren.
Die Besonderheiten der Deutschen Schule der Borromäerinnen
Die DSB unterscheidet sich von anderen deutschen Auslandsschulen: Ihr Träger ist ein katholischer Orden, sie ist eine Mädchenschule und die Schülerinnen sind fast durchweg Ägypterinnen (maximal zwei bis drei deutsche Mädchen und vielleicht 15 bis 20 aus Mischfamilien, bei insgesamt etwa 700 Schülerinnen). Deshalb gab es unter den Schülerinnen nur eine äußerst geringe Fluktuation.
Die durch den Status „christliche Schule in islamischem Land“ sehr obskure Wochenendregelung (freitags frei, weil islamischer „Sonntag“, samstags Schule, sonntags frei) ließ nur wenig Möglichkeiten zur notwendigen Erholung. Die Rücksichtnahme auf östliche christliche Feiertage, westliche christliche Feiertage, islamische Feiertage, deutsche Nationalfeiertage und ägyptische Nationalfeiertage und die nationalen Regelungen (ein Feiertag, der auf einen Freitag oder Sonntag fällt, muss ausgeglichen werden; zudem wurden alleine in den sieben Jahren, die wir in Ägypten verbrachten, zwei zusätzliche Nationalfeiertage erfunden und eingesetzt, wobei wir erst sehr kurzfristig über das Fernsehen informiert wurden), machten einen sinnvollen Jahresplan mit den notwendigen Erholungspausen sehr schwierig.
Das Arbeitsklima war insgesamt durchaus akzeptabel. Ich konnte mir in dieser Zeit große Freiräume schaffen. Diese waren nötig, weil wir aufgrund der Rahmenbedingungen viel und schnell improvisieren mussten. Allerdings hat eine Auslandsschule eine hohe Fluktuation der Lehrkräfte und deshalb kann sich das Klima von Jahr zu Jahr immer wieder stark verändern. In einer Schule wie der DSB spielt das eine sehr wichtige Rolle, weil die meisten Beziehungen in der doch recht kleinen Lehrergruppe stattfinden.
Außenbeziehungen waren wegen der Sprache, aber auch dem großen Arbeitsaufwand in der Schule (deshalb wenig Freizeit und abends meist müde) und der Größe der Stadt nicht so leicht machbar, zumal der chaotische Verkehr nicht gerade dazu ermutigte, abends das Haus nochmals zu verlassen. Die Lehrer/innen „schmorten“ also ziemlich viel „im eigenen Saft“. Die Zusammenarbeit war unter den deutschen KollegInnen – so keine „Feindschaften“ bestanden; da versuchte man, sich so viel wie möglich aus dem Weg zu gehen – recht gut, mit den ägyptischen wegen der Sprachprobleme nicht ganz so einfach. Es gab aber (hin und wieder, nicht durchgehend) gemeinsame Sportgruppen und andere gemeinsame Events, die das Klima positiv beeinflussten.
Schulleiter aus den südlichen Bundesländern (das zumindest erfuhr ich von nichtsüddeutschen KollegInnen) scheinen etwas autoritärer zu sein. Wenn etwas so nicht läuft, wie man es sich in seiner „schulleiterischen Unfehlbarkeit“ vorstellt (das erlebte ich selbst), verzichtet man auf Konferenzbeschlüsse (oder ignoriert sie) und entscheidet aus seiner „Schulleiterkompetenz“ heraus. Der Drang zur Selbstdarstellung war bei denen, die ich erlebte, nicht zu übersehen. Es gab immer einen teilweise recht aktiven und von der Schulleitung akzeptierten Lehrerbeirat, der seine Rolle als „Ersatzpersonalrat“ ernst nahm (nach meinen jüngsten Informationen ist das vorbei – keine/r will mehr kandidieren).