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"Le Pen nutzt die Angst der Menschen"

"Sieben Millionen Franzosen stimmten im ersten Wahlgang für die Rechtsextreme Marine Le Pen, unter ihnen auch Gewerkschaftsmitglieder", sagt Odile Cordelier, die auf dem Gewerkschaftstag der GEW über Rechtspopulismus in Europa diskutierte.

Odile Cordelier ist Vorstandsmitglied der französischen Bildungsgewerkschaft SNES und Vize-Präsidentin des Europäischen Gewerkschaftskomitees für Bildung und Wissenschaft (EGBW). Foto: Kay Herschelmann


Odile Cordelier ist Gastdelegierte des 28. Gewerkschaftstages der GEW. Wir haben sie zur aktuellen Wahl in Frankreich gesprochen.

Was tun die französischen Gewerkschaften gegen den Rechtspopulismus und den Rassismus des Front National (FN)?

Odile Cordelier: Die französischen Gewerkschaften haben den 1. Mai zum Anlass genommen, gegen den FN zu protestieren. Überall, nicht nur in Paris, verbreiteten Gewerkschafter den Slogan "Stoppt den FN". An alle gesellschaftlichen Gruppen richteten die Gewerkschaften klare Botschaften gegen die rassistische Propaganda Le Pens: Sie will die Grenzen schließen, schürt die Angst vor einer "Islamisierung der Gesellschaft" und will  die offene Gesellschaft beerdigen. Für Lehrkräfte ist sie außerdem gefährlich, weil sie diese mehr kontrollieren und deren Autonomie einschränken will.

Wie stark ist die Unterstützung Le Pens unter den Lehrkräften, unter den Gewerkschaftsmitgliedern?

Cordelier: Sieben Millionen Franzosen votierten für sie, darunter Gewerkschaftsmitglieder sowie auch etliche Lehrkräfte. Das Problem: Die Pädagoginnen und Pädagogen, die im ersten Wahlgang für Le Pen stimmten, äußerten ihre Sympathien für den FN nicht öffentlich, sondern sehr verdeckt. Wir wissen, dass Kolleginnen und Kollegen nur im Privaten darüber geredet haben. Aber man muss zur Kenntnis nehmen: 20 Prozent im Dienstleistungssektor gaben Le Pen ihre Stimme.

Warum?

Cordelier: Die meisten von ihnen unterstützten nicht die Person Le Pen. Sie wollten nach dem Vorbild des Brexit einen Frexit forcieren, also dass Frankreich wie England aus der Europäischen Union (EU) austritt. Sie folgten dem Irrglauben, dass auf diese Weise die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in der Gesellschaft gelöst werden könnten und mehr soziale Gerechtigkeit entstünde. Damit positionierte sich Le Pen vor allem gegen Emmanuel Macron, der als Neoliberaler gilt.

Was macht Le Pen und den FN so attraktiv für junge Menschen?

Cordelier: Le Pen nutzt die Angst vor der ökonomischen Krise, vor dem sozialen Abstieg. Sie verspricht, sie stehe für das "wahre" Frankreich und habe die richtige Lösungen parat, eine davon: mehr Jobs für die Mehrheit der Franzosen zu schaffen. Allerdings: nur für Franzosen. Le Pen steht natürlich auch nicht für das "wahre" Frankreich, denn sie arbeitet mit einem Vokabular aus Hass und Angst und vertieft damit die Spaltung in der französischen Gesellschaft. Diese muss drei große Herausforderungen bewältigen: Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit, Anm. d. Red.), Rassismus und Antisemitismus.

Was können Lehrkräfte tun, um in den Bildungseinrichtungen hier gegenzusteuern?

Cordelier: Vor allem ist wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer im Schulalltag Respekt vor dem Anderen vermitteln: vor anderen Kulturen, anderer Herkunft und Religion. Wir müssen in den Schulen allerdings noch stärker zivilgesellschaftliche Werte und Haltungen entwickeln und fördern – und vor allem den Unterricht in Geschichte stärker dafür nutzen.

Links
  • 28. Gewerkschaftstag
  • Fotos vom Gewerkschaftstag