Tarifrunde Bund und Kommunen 2025
Kürzer arbeiten trotz Fachkräftemangel?
Bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst für die bei Bund und Kommunen Beschäftigten ist die Forderung nach verbesserten Arbeitszeiten in Zeiten des Fachkräftemangels besonders wichtig.
Bei den Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und den Arbeitgebern in Bund und Kommunen spielt nicht nur das Thema Gehalt eine Rolle. Wichtig ist auch die Forderung nach verbesserten Arbeitszeiten. Konkret geht es um zusätzliche freie Tage sowie eine insgesamt lebensphasengerechtere Arbeitszeitgestaltung. Die Arbeitgeber lehnen mit Verweis auf Fachkräftebedarfe und knappe Personaldecken ab. Zu Recht?
In vielen Einrichtungen der sozialen Infrastruktur bestimmen Fachkräfteengpässe die tägliche Arbeit. Vielerorts arbeiten die Beschäftigten bereits am Leistungslimit – etwa, weil sie krankheitsbedingt ausfallende Kolleginnen und Kollegen vertreten oder Überstunden leisten müssen. Verantwortlich für die Engpässe sind vor allem die extrem fordernden Arbeitsbedingungen und hohe physische sowie psychische Belastungen vor Ort. Eine Konsequenz daraus ist, dass viele Beschäftigte in Teilzeit wechseln, um ihre Gesundheit konsequent zu schützen.
Das Resultat: ein extrem hoher Anteil Teilzeitbeschäftigter, bei dem kaum der Wunsch nach Aufstockung der Arbeitszeit besteht oder es das Potenzial dafür gibt, um so gegebenenfalls Fachkräftelücken auszugleichen. Schlimmer noch: Schwierig scheint bereits zu sein, die verbliebenen Fachkräfte in den bestehenden Stundenumfängen zu halten.
In den Tarifverhandlungen mit dem Bund und den Kommunen fordern die Gewerkschaften kräftige Gehaltserhöhungen für die Beschäftigten sowie wirksame Maßnahmen zur Entlastung:
- 8 Prozent mehr Gehalt – mindestens 350 Euro
- höhere Zuschläge für Überstunden und besondere Arbeitszeiten
- drei zusätzliche freie Tage pro Jahr
- ein „Meine-Zeit-Konto“, in dem die Beschäftigten Entgelterhöhungen und Zuschläge ansparen können, um sie zur Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit oder für zusätzliche freie Tage beziehungsweise längere Freistellungsphasen zu nutzen
- einen weiteren freien Tag pro Jahr für Mitglieder
- eine Wiederaktivierung der Regelungen zur Altersteilzeit
Damit der öffentliche Dienst attraktiv bleibt, müssen die Gehälter rauf und die Arbeitsbedingungen stimmen. Die Beschäftigten haben immer noch an der Belastung durch die hohe Inflation zu knabbern. Gerade im Sozial- und Erziehungsdienst gibt es bundesweit einen großen Fachkräftemangel. Um für junge Fachkräfte attraktiv zu sein, brauchen wir dringend wirksame Entlastung, damit die Kolleginnen und Kollegen gesund bis zur Rente arbeiten können.
Gute Arbeitsgestaltung nur mit guter Arbeitszeitgestaltung
Diese Situation ist vor allem ein Problem der Arbeitsgestaltung und der Prävention von gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz. Das ist wiederum nicht nur problematisch für die Dienstleistungsqualität und etwa die Erfüllung notwendiger Personalschlüssel vor Ort im Betrieb beziehungsweise in der Einrichtung, sondern auch hinsichtlich der Betreuungssituation in Haushalten und damit der gesamtgesellschaftlichen Fachkräftesituation – insbesondere mit Blick auf Kitas. Den Fachkräftemangel als Grund dafür anzugeben, keine weiteren substanziellen Verbesserungen der Arbeitssituation herbeizuführen, zementiert dieses Problem, ohne eine Lösung anzubieten. Notwendig sind daher substanzielle Verbesserungen der Arbeitsqualität. Diese ist mehrschichtig und hat verschiedene Facetten wie Entgelt, Aufgabenvielfalt, Führung oder Mitspracherechte. Ein besonders elementarer Teil guter Arbeitsgestaltung ist eine gute Arbeitszeitgestaltung.
Was wiederum eine gute Arbeitszeitgestaltung ausmacht, lässt sich beim Blick auf viele Jahre empirischer Forschung erkennen. Wenn das Ziel ist, dass Erwerbstätige über lange Zeit leistungsfähig, belastbar und (bestenfalls) zufrieden mit ihrer Arbeit sind, dann sollte die Arbeit genügend Zeit für Erholung und Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf bieten sowie vorhersehbar und planbar sein. Zudem sollte sie nach Möglichkeit Flexibilität im Sinne der Selbst- beziehungsweise Mitbestimmung über Lage und Dauer der täglichen sowie der wöchentlichen Arbeitszeit und eine klare und eindeutige Abgrenzung ermöglichen.
Zu lange Arbeitszeiten verschärfen Fachkräftemangel
Arbeitszeiten lassen sich gesundheitsgerecht, produktiv und attraktiv gestalten. Mehr freie Zeit am Tag oder in der Woche steht in engem Zusammenhang mit mehr Wohlbefinden und besserem Schlaf bei Beschäftigten, weniger Stress und Kündigungsabsichten sowie verbesserter Work-Life-Balance und egalitärerer Sorgearbeitsverteilung zu Hause. Das alles sind Effekte, die auf lange Sicht nicht nur Gesunderhaltung und Beschäftigungsfähigkeit, sondern auch Bildung und Geschlechtergerechtigkeit als Garanten für Fachkräftesicherung sicherstellen.
Lange tägliche oder wöchentliche Arbeitszeiten hingegen, etwa bedingt durch Mehrarbeit, sind hoch belastend und verschärfen die ohnehin hohen Anforderungen vor Ort. Sie erhöhen die Fehlerquote, das Unfallrisiko und führen in der Konsequenz zu krankheitsbedingten Ausfällen, die wiederum das verbliebene Personal kompensieren muss. Darüber hinaus stehen sie nicht nur dem individuellen Bedarf nach Zeitautonomie und Selbstbestimmung entgegen, sondern blockieren auch Zeiten für Regeneration, Familie oder Weiterbildung im Tagesverlauf, in der Woche sowie über die gesamte Lebenszeit hinweg.
Wenn es um eine nachhaltige Fachkräftesicherung geht, dann spielen lebensphasen- und gesundheitsgerechte sowie insgesamt kürzere Arbeitszeiten eine zentrale Rolle: Sie sind wesentliche Elemente, wenn nicht gar der Schlüssel zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, von gesunden sowie attraktiven Arbeitsbedingungen.
Kürzere Arbeitszeiten machen soziale Berufe attraktiver
Kürzer arbeiten trotz Fachkräftemangel und das auch in pädagogischen Berufen? Ja, das geht.
Denn zum einen ist der Arbeitsmarkt sozialer Dienste nicht leergefegt – und der Personalnotstand nicht unumkehrbar. Vielmehr sind durch Arbeitszeitverkürzung verbesserte Arbeitsbedingungen ein wichtiges Argument für potenzielle neue Beschäftigte im Feld der sozialen Infrastruktur. Als Teil einer insgesamt besseren Arbeitsqualität können kürzere Arbeitszeiten dann zu einem größeren Arbeitskräftepool beitragen, sodass mehr Köpfe das System stabilisieren und Fachkräftelücken schließen können.
Zum anderen beinhalten kürzere Arbeitszeiten nicht nur bessere Vereinbarkeitschancen, sondern dienen auch der individuellen Regeneration und Gesunderhaltung. Sie tragen dazu bei, dass Arbeitsplätze alters- und alternsgerecht gestaltet werden, das heißt: Sie gewährleisten ein „Älterwerden im Betrieb“. Im Zusammenspiel mit Angeboten betrieblicher Gesundheitsförderung sowie zur Wiedereingliederung zuvor erkrankter Beschäftigter können kürzere Arbeitszeiten attraktive Arbeitsbedingungen bilden, die es besser ermöglichen, Fachkräfte im Betrieb zu halten und Wissensabfluss sowie Personalengpässe zu verhindern.
Überdies sind kürzere Arbeitszeiten geeignet, um Arbeitsprozesse und die Arbeitsorganisation vor Ort zu verbessern, etwa indem Dokumentationsaufgaben automatisiert werden. Sie besitzen insofern Potenzial zum Anstoß betrieblicher Innovation. Mehr freie Zeit für Beschäftigte führt auf lange Sicht zu einer Entschärfung der Fachkräftesituation, macht attraktiv für neue Fachkräfte, gewährleistet Gesundheit, Vereinbarkeit und Motivation – und stabilisiert so die sozialen Infrastrukturen von morgen.