Lehrkräfteberuf
Kündigung als letzter Ausweg
Der Lehrkräfteberuf kämpft um seine Attraktivität. Wegen politischer Fehlentscheidungen und schlechten Arbeitsbedingungen verlassen etwa in Nordrhein-Westfalen (NRW) immer mehr Lehrerinnen und Lehrer den Schuldienst.
Ayla Çelik ist Vorsitzende der GEW NRW. Anfang des Jahres äußerte sie in einem offenen Brief ihre Besorgnis darüber, dass viele Lehrkräfte ihren Beruf als wenig sinnstiftend empfänden und aufgrund der hohen Belastung den Schuldienst verließen. Eine Umfrage der Landes-GEW, an der sich rund 24.000 Lehrkräfte beteiligten, ergab, dass mehr als 90 Prozent die Arbeitsbelastung in ihrem Beruf als stark oder sehr stark bezeichnen. „Lehren ist mehr als die Vermittlung von Wissen und die Durchführung von Prüfungen“, betont die GEW-NRW-Chefin gegenüber E&W. „Es geht darum, Schülerinnen und Schüler fit fürs Leben zu machen, ihre Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und Raum für menschliches Miteinander zu schaffen.“ Das werde oft verkannt.
„Statt für Entlastung zu sorgen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, werden Maßnahmen durchgesetzt, die die Situation noch verschärfen.“ (Ayla Celik)
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2023 haben 930 Lehrkräfte in NRW – davon 320 Beamte – ihren Job aufgegeben. Das teilte das Schulministerium im Februar mit. Im Jahr davor lag die Zahl bei 798, 2013 hingegen bei lediglich 299. Besonders besorgniserregend ist der hohe Anteil der Lehrkräfte, die den Beruf verlassen und jünger als 40 Jahre sind. Diese Entwicklung führt Çelik auf die schlechten Rahmen- und Arbeitsbedingungen sowie auf Maßnahmen wie Abordnungen und die Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten zurück. „Statt für Entlastung zu sorgen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, werden Maßnahmen durchgesetzt, die die Situation noch verschärfen“, betont sie.
Ein weiteres Problem sei die fehlende Berücksichtigung der Bedürfnisse der Lehrkräfte. Viele von ihnen verzichteten auf Geld und gingen in Teilzeit, um ihren Bildungsauftrag sinnvoll erfüllen zu können. Die aktuelle Bildungspolitik setze jedoch auf Maßnahmen, die genau diese Möglichkeiten einschränkten und somit die Belastungssituation weiter verschärften. „Schulleitungen fühlen sich überfordert, wenn sie entscheiden müssen, wem Teilzeit gewährt wird und wem nicht“, sagt Çelik.
„Das hohe Maß an Arbeitsbelastungen ist der Hauptgrund für die Kündigungen.“ (Roman George)
In anderen Bundesländern zeigt sich ein ähnliches Bild. In Hessen etwa stieg die Zahl der Lehrkräfte, die auf eigenen Wunsch vorzeitig aus dem Schuldienst ausschieden, in den vergangenen Jahren deutlich an. Dies geht aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage der FDP im Hessischen Landtag hervor. 2018 verlangten lediglich 39 Lehrerinnen und Lehrer die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, 2022 waren es bereits 122 Lehrkräfte. Bei den angestellten Lehrenden kündigten 2022 106 Menschen, 2018 waren es 81. Insgesamt unterrichten in Hessen rund 60.000 Lehrkräfte.
„Das hohe Maß an Arbeitsbelastungen ist der Hauptgrund für die Kündigungen“, erklärt Roman George, Referent für Bildungspolitik bei der GEW Hessen gegenüber E&W. Eine Studie der GEW Hessen aus dem Jahr 2020 zeigte, dass viele Lehrkräfte dauerhaft mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiteten – ein Zustand, der vor allem unter Arbeitsschutzgesichtspunkten problematisch sei, so George.
In Berlin sieht es ähnlich aus. In Schleswig-Holstein hingegen gibt es keinen Trend zu mehr Kündigungen, wie Bernd Schauer, Geschäftsführer des Landesverbandes, berichtet. Eine plausible Erklärung, warum dies so ist, gibt es nicht. Wieso dies so ist und wo die Unterschiede zu Nordrhein-Westfalen und Hessen oder auch Berlin liegen, konnte er nicht beurteilen.
„Teure Werbekampagnen sind überflüssig, wenn es nicht gelingt, Lehrkräfte durch gute Arbeitsbedingungen zu halten.“
Zurück an Rhein und Ruhr. NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) spielt die Lage herunter. Sie behauptet, dass die Zahl der Beschäftigten an Schulen Anfang Dezember 2023 um mehr als 5.000 höher lag als im Vorjahr. Diese Zahl schließt jedoch auch Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen sowie weiteres pädagogisches Personal ein. Auf Anfrage teilte das Ministerium in Düsseldorf mit, der Anteil der Beamtinnen und Beamten, die 2023 auf eigenen Antrag aus dem Schuldienst entlassen worden seien, entspreche lediglich 0,21 Prozent aller verbeamteten Lehrkräfte. Allerdings ist die Situation bei den unbefristet eingestellten Tarifbeschäftigten dramatischer. Hier quittierten im vergangenen Jahr 610 und damit rund 2,4 Prozent aller angestellten Lehrkräfte den Schuldienst.
Çelik sieht daher die schwarz-grüne Landesregierung in der Pflicht: „Teure Werbekampagnen sind überflüssig, wenn es nicht gelingt, Lehrkräfte durch gute Arbeitsbedingungen zu halten.“ Die beste Werbung für den Lehrberuf bleibe letztlich immer, gute Arbeitsbedingungen an den Schulen zu schaffen.