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Antikriegstag

Kriegstüchtige Bildung - wollen wir das?

Die Bundeswehr soll „in die Mitte der Gesellschaft“ geholt werden, heißt es aus Kreisen der Politik. Darf Bildung sich dazu hergeben?

Schule darf nicht zum Ort der Nachwuchsrekrutierung für die Bundeswehr werden.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hatte im Februar 2022 gerade erst begonnen, da forderte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), Schulen sollten vermehrt Jugendoffiziere der Bundeswehr einladen, um Kindern den Krieg und die deutsche Sicherheitspolitik zu erläutern. Im Mai dieses Jahres legte sie nach: Schulen sollten Kinder auf einen möglichen Kriegsfall vorbereiten, Zivilschutzübungen einführen und ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ entwickeln; Hochschulen müssten sich zudem für Militärforschung öffnen. 

Gut ein Jahr zuvor verlangte bereits CDU-Chef Friedrich Merz, die Bundeswehr müsse einen „ungehinderten Zugang“ zu Schulen haben und Zivilklauseln, in denen Hochschulen sich auf eine Forschung ausschließlich für friedliche und zivile Zwecke verpflichten, müssten verboten werden. 

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) macht jetzt ernst damit. Im Juli hat das Parlament das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ verabschiedet. Die Kooperation von Schulen mit der Bundeswehr soll damit enger und verbindlicher werden. Zivilklauseln an Hochschulen werden faktisch verboten. Wenn es im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich sei, besteht sogar eine Kooperationspflicht.

Friedensbildung: ja, bitte!

Kinder und Jugendliche haben seit dem Ukraine-Krieg Fragen zu den Ursachen von Krieg und Gewalt. Oder auch zu den Folgen des Krieges wie dem Ankommen geflüchteter Kinder in den Schulen oder der Energieversorgungskrise. Auch der Krieg zwischen Israel und der Hamas führt mitunter zu Unsicherheiten und Konflikten in den Klassenzimmern. Es ist nicht nur wichtig, diese Fragen altersangemessen zu behandeln, sondern auch Kinder und Jugendliche psychosozial zu stärken, Konflikte gemeinsam und gewaltfrei zu bewältigen und für Friedensfragen zu motivieren. 

Die GEW hat hierfür – wie einige andere Organisationen – Tipps und Hilfen zusammengestellt. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist es gerade jetzt an der Zeit, Friedensbildung zu stärken und verbindlich in Lehrplänen und Fortbildung zu verankern. Dabei ist diese nicht nur als „Bildungsinhalt“, sondern auch als Philosophie und Kultur der Schule selbst zu verstehen.

Kooperationsverträge von Schulen und Bundeswehr

Bislang haben die meisten Kultusministerien eher zurückhaltend auf Appelle reagiert, das Bildungswesen für militärische und sicherheitspolitische Belange weiter zu öffnen. Das schüre Ängste bei den Kindern, erinnere an den Wehrkundeunterricht aus DDR-Zeiten oder sei schlichtweg falsch, hieß es aus Kultusministerien verschiedener Partei-Couleur. Die Bundeswehr ist seit Jahrzehnten bereits in Schulen präsent. Neun der 16 Bundesländer gewähren den Streitkräften im Rahmen von Kooperationsverträgen sogar einen privilegierten Zugang zu Schulen und zur Ausbildung der Lehrkräfte an Hochschulen.

Jugendoffiziere für Unterrichtsgespräche

Der aktuelle „Jahresbericht der Jugendoffizierinnen und Jugendoffiziere 2023“ weist 5.499 Veranstaltungen der Bundeswehr aus. Die überwiegende Zahl der Vorträge wurde an Schulen gehalten. Knapp 122.000 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende sind erreicht worden. Außerdem über 36.000 „Multiplikatorinnen und Multiplikatoren“ aus dem Schulbereich und Schulbehörden. Die Bundeswehr verfügt aktuell über 94 hauptamtliche Dienstposten für Jugendoffiziere, die für Unterrichtsgespräche geschult werden. Hinzu kommen mehrere hundert Karriereberaterinnen und -berater, für die – so die Begründung des bayerischen Gesetzes – auch die Abschlussklassen geöffnet werden sollen. 

Von einer solchen Reichweite können andere gesellschaftliche Gruppen – zum Beispiel die Friedenspädagogik und -politik – nur träumen. So fristet die Friedensbildung an Schulen ein Schattendasein: Sie ist weder strukturell noch personell verankert. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erläuterte im 2023er-Jahresbericht, dass die Jugendoffizierinnen und -offiziere mit ihrer Arbeit zu mehr Information und damit zu mehr Mündigkeit verhelfen würden.

Information ist aber nicht gleich Mündigkeit. Politische Bildung gehört in die Hände der dafür ausgebildeten Lehrkräfte und muss die unterschiedlichen Sichtweisen auf ein Thema darstellen. Eine solche Ausgewogenheit der Informationen uniformierter Soldatinnen und Soldaten, die auf die verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums verpflichtet sind, darf angezweifelt werden.

Verstoß gegen die UN-Kinderrechte

Was derzeit – angesichts der Diskussion über „Kriegstüchtigkeit“ und „Wehrhaftigkeit“ – unterzugehen droht: Laut Koalitionsvertrag der Ampelregierung sollen die Ausbildung und der Dienst an der Waffe erst ab 18 Jahren möglich sein. Deutschland gehört weltweit zu einer Minderheit von 46 Staaten, die Minderjährige für das Militär anwerben: 151 Länder verzichten darauf. Im vergangenen Jahr wurden hierzulande knapp 2.000 Minderjährige rekrutiert, darunter 315 Mädchen. Verbunden damit ist eine zunehmende Werbung fürs Militär bei Minderjährigen, zum Beispiel mit personalisierten Postkarten, bei der Jugendmesse „You“ oder der „Gamescom“ (Computerspielmesse), in sozialen Medien und mit teuren YouTube-Serien. 

Beides verstößt gegen die Kinderrechte der Vereinten Nationen (UN), worauf der UN Kinderrechtsausschuss und die Kinderkommission des Bundestags seit langem hinweisen. Die GEW engagiert sich daher seit Jahren – gemeinsam mit Friedens- und Kinderrechtsorganisationen – dafür, Minderjährige vor Bundeswehrwerbung zu schützen und das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben (www.unter18nie.de).

„Bildung, Forschung, Wissenschaft und Lehre haben die gesellschaftliche Aufgabe, zu einer menschenwürdigen, sozialeren und nachhaltigeren Welt beizutragen, in der Probleme und Konflikte gewaltfrei gelöst werden.“ (Anja Bensinger-Stolze)

Die GEW spricht sich zudem für den Erhalt von Zivilklauseln aus und unterstützt entsprechende Initiativen. Die Etablierung von Friedensforschung an Hochschulen steht seit Jahrzehnten aus. In dem faktischen Verbot der Zivilklauseln sieht die GEW Bayern einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Autonomie der Hochschulen und damit in die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit. Für Schulen bedeutet das neue Gesetz eine Einschränkung der Gewissensfreiheit. Das Gesetz könnte also schließlich vor Gericht landen.

„Bildungseinrichtungen dürfen nicht für militärische Zwecke missbraucht werden. Bildung, Forschung, Wissenschaft und Lehre haben die gesellschaftliche Aufgabe, zu einer menschenwürdigen, sozialeren und nachhaltigeren Welt beizutragen, in der Probleme und Konflikte gewaltfrei gelöst werden“, sagt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule. Wehrhaft sollte Schule die Kinder und Jugendlichen freilich dennoch machen: gegen Ungerechtigkeiten, gegen Rassismus, Antisemitismus und Faschismus sowie gegen Angriffe auf die Demokratie.