Musisch-kreative Bildung
Kreativer Alltag
Die August-Gräser-Grundschule in Frankfurt-Schwanheim hat sich auf den Weg gemacht, „KulturSchule“ zu werden – Lehrkräftemangel und Raumnot zum Trotz.
Die 2a startet mit Musik in den Tag. Klassenlehrer Stefan Mannel holt die Gitarre. 21 Kinder singen so laut und textsicher, als wären sie in der Kelly Family zu Hause. Auf den Fensterbänken Figuren aus Ton: ein Elefant, schneemannartige Wesen, kleine Gespenster mit großen Augen. Vor der Musikeinlage hat ein Mädchen mit anderen Yogaübungen gemacht. Adler, Bär, Zwerg, Storch und zum Schluss der Affengruß – mit Trommelwirbel auf der Brust. Ungewöhnlich findet das hier niemand. Kreativ bewegter Alltag.
Dann platzt eine andere Form von Alltag zur Tür herein. „Wir sind aufgeteilt, sorry, kannst du die Kinder übernehmen?“ Ein neuer Krankheitsfall im Kollegium – und schon muss improvisiert werden. Lehrer Mannel kennt das natürlich. Heute gibt es aber nicht genug Sitzplätze für alle. Er und die Kollegin finden eine andere Lösung. Bei der 2a läuft alles weiter wie geplant.
„Wir haben immerhin einen Musikraum, aber keine eigene Bücherei und kein Atelier. Im Holzmodul auf dem Schulhof gibt es nicht mal Wasser – wie sollen wir da vernünftig Kunst machen?“ (Saskia Ghribi)
Rund 250 Schülerinnen und Schüler hat die inklusiv arbeitende Gräser-Schule im Südwesten von Frankfurt am Main. Zurzeit ist das alte Gebäude wegen einer energetischen Sanierung komplett eingerüstet. Oft ist es laut. Auf dem Schulhof stehen Container-Module, weil der Platz für die wachsende Schülerzahl schon lange nicht mehr ausreicht. „Die Raumnot ist groß“, sagt Schulleiterin Saskia Ghribi. Das zeigt sich auch im kreativen Bereich. „Wir haben immerhin einen Musikraum, aber keine eigene Bücherei und kein Atelier. Im Holzmodul auf dem Schulhof gibt es nicht mal Wasser – wie sollen wir da vernünftig Kunst machen?“
Kernelemente einer ganzheitlichen Grundschuldidaktik
Die Kolleginnen und Kollegen an der Schwanheimer Schule machen natürlich trotzdem Kunst und Kultur mit den Kindern. Offiziell sieht der Lehrplan für die 1. und 2. Klassen nur eine Stunde Musik in der Woche vor, in Kunst sind es zwei Stunden. Aber anders als in vielen weiterführenden Schulen spielt kreative und musische Bildung im Primarbereich auch außerhalb des Fachunterrichts eine große Rolle. Singen, Malen, Erzählen, Bewegung sind Kernelemente einer ganzheitlichen Grundschuldidaktik.
Musik ist schon lange ein Schwerpunkt an der Gräser-Schule. Außerdem gibt und gab es Projekte wie Action Painting, Theater, Tanz, einen Chagall-Workshop mit der Kunsthalle Schirn und verschiedene Arbeitsgemeinschaften (AG) am Nachmittag. Mannel leitet zum Beispiel einmal pro Woche die AG „Sketch“. Dort lernen die Kinder, ihre Stimme gut einzusetzen, das richtige Timing beim Erzählen, wie wichtig Pausen beim Sprechen sind und wie man improvisiert. Damit sich all diese Kreativinseln an der Schule noch weiter verbinden und kulturelle Bildung in jedem Fach eine Rolle spielt, will die Gräser-Schule „KulturSchule“ werden. Dafür habe sich vor rund zwei Jahren das komplette Kollegium ausgesprochen, sagt Ghribi.
Lehrkräftemangel gerade in Musik
Die Zertifizierungsanforderungen des Landes Hessen an die teilnehmenden Schulen sind hoch, die Mittel dafür überschaubar. Das Schulleben soll sich inhaltlich, organisatorisch und strukturell so verändern, dass alle Schülerinnen und Schüler an kultureller Bildung teilhaben. Die Schulen müssen ein Curriculum „Kulturelle Praxis“ entwickeln, das Regelunterricht und Wahlangebote sinnvoll verbindet. Außerdem sind Kooperationen mit Kunstschaffenden und Kulturinstitutionen gefragt.
Das ist der Schwanheimer Schule bisher schon gut gelungen – widrigen Rahmenbedingungen zum Trotz. Sie arbeitet zum Beispiel mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst zusammen. Außerdem profitiert die Schule von Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, die selbst nicht Kunst oder Musik studiert haben. Denn ausgebildete Fachkräfte an die Grundschule zu locken, sei schwierig, sagt Ghribi. Gerade in Musik zeige sich der Lehrkräftemangel besonders deutlich.
Externe Künstlerinnen und Künstler an die Schule holen
Neue Stellen gibt es für den Weg zur „KulturSchule“ ohnehin nicht, bedauert die Rektorin: „Das müssen wir aus Bordmitteln stemmen.“ Immerhin fließen finanzielle Zuschüsse – bisher zwischen 1.500 und 2.500 Euro im Jahr, die für besondere Projekte genutzt werden. Außerdem versucht die Schulleiterin, externe Künstlerinnen und Künstler zu gewinnen.
Einer von ihnen ist Mannel. Bevor er Grundschulpädagoge wurde, hat der ehemalige Städelschüler als freischaffender Künstler gearbeitet. Deshalb ist er jetzt nicht nur Klassenlehrer der 2a mit besonders kreativem Potenzial, sondern auch „KulturSchul-Beauftragter“. Ein schöner Titel mit ganz schön viel Verwaltungsgedöns. Mannel nimmt das in Kauf: „Es gibt Unterstützung des Kultusministeriums.“
Heute im Matheunterricht muss er die kleinen und großen Herausforderungen alleine bewältigen. Die Kinder bekommen einen Test zurück. Die Besprechung verlegt der Lehrer auf den Schulhof, da lässt sich kreativer und sportlicher arbeiten. Er hat vorher eine Ecke mit Kreide bemalt. Die Kinder schreiben dort jetzt Ziffern auf das Steinpflaster. Das klappt gut. Aber die zweite Aufgabe hat leider ein Bauarbeiter mit seinem Wagen zugeparkt. Mannel klopft energisch an die Scheibe, und der Fahrer gibt die Übung frei.
Es läuft bei Lehrer Mannel und der 2a. Wäre da nicht noch die Sache mit der Steinsuppe. Die hat er gestern zusammen mit den Kindern der Ethikgruppe des 4. Jahrgangs gekocht – in Anlehnung an das gleichnamige Kinderbuch von Anaïs Vaugelade, in dem ein Wolf mit einer Henne eine Mahlzeit zubereitet. In der Schulküche haben die Kinder Sellerie, Zucchini, Lauch, Rüben und Kohl geschnippelt und kräftig gerührt. Jetzt flitzt der Lehrer nach der Pause zur Küche der erweiterten schulischen Betreuung rüber. Die Kinder sitzen erwartungsfroh am Tisch, während er die Suppe auf dem Herd warm macht. Es müffelt. Der Kohl und der Lauch geraten sofort in Verdacht, dann die Zucchini. „Leider ungenießbar, vielleicht ist da über Nacht was schlecht geworden“, seufzt Mannel, nachdem er probiert hat. Zwei Kolleginnen kommen zum gleichen Urteil. Die Kinder nehmen es gelassen. Sie glauben nicht, dass es am Gemüse lag. Der Stein war schuld.
Mit kultureller Bildung Schule und Unterricht verändern – das ist das Ziel der „KulturSchulen“. In Hessen gibt es die Förderung durch das Schulentwicklungsprogramm seit mehr als 15 Jahren. Es soll kulturelle Teilhabe, kreatives Denken und Handeln unterstützen. Schülerinnen und Schüler sollen mehr Möglichkeiten bekommen, sich künstlerisch auszudrücken und ihre Persönlichkeit zu entwickeln – beim Malen, Musizieren, Schreiben, Gestalten, Tanzen oder Theaterspielen. Die teilnehmenden Schulen müssen ein drei- bis vierjähriges Zertifizierungsverfahren durchlaufen. Mittlerweile gibt es nach Angaben des Kultusministeriums in Wiesbaden mehr als 30 „KulturSchulen“ in Hessen. Ähnliche Programme existieren auch in anderen Bundesländern.