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Kongress der russischen Bildungsgewerkschaft ESEUR

Die Veränderungen im Bildungswesen und die Einkommen von Pädagogen und Lehrkräften standen im Mittelpunkt des nationalen Kongresses der größten Gewerkschaft Russlands, der gestern in Moskau zu Ende ging. Dabei wurde auch der Opfer der jüngsten Selbstmordattentate in der Moskauer Metro gedacht.

Am 31. März 2010 fand in Moskau der sechste Kongress der russischen Bildungsgewerkschaft ESEUR (Education and Science Employees’ Union of Russia) statt, die in diesem Jahr ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert. Fast dreihundert Delegierte aus 78 Regionalorganisationen diskutierten über die Probleme im russischen Bildungswesen und beschlossen ein Schwerpunktprogramm ihrer gewerkschaftlichen Arbeit für die kommenden fünf Jahre. ESEUR hat etwa fünf Millionen Mitglieder und vertritt damit rund achtzig Prozent der Beschäftigten im russischen Bildungswesen. Sie ist die größte Mitgliedsorganisation im russischen Gewerkschaftsbund und als gewerkschaftliche Interessenvertretung und sozialer Dienstleister in über 90.000 Bildungseinrichtungen präsent. Wie die GEW organisiert auch ESEUR von den Kitas über die Schulen und Weitbildungseinrichtungen bis zu den Hochschulen Beschäftige und Studierende in allen Bildungsbereichen, die bis auf wenige Ausnahmen bisher noch in staatlicher Verantwortung sind.

Dabei zeigen sich jedoch große Unterschiede in den einzelnen Berufen wie auch zwischen Stadt und Land. In der Metropole Moskau werden im Vergleich zu den ländlichen Regionen bis zu zehn mal höhere Lehrergehälter gezahlt. Zwischen 30.000 und 60.000 Rubel (750 € bzw. 1.500 €) verdient ein Lehrer in Moskau, ein Gehalt, von dem sein Kollege in Nowosibirsk oder in Wladiwostok nur träumen kann. Im Durchschnitt erhält eine Lehrkraft in Russland etwa 9.500 Rubel (240 €) monatlich. Verantwortlich für die Bezahlung der Lehrkräfte wie auch für den Unterhalt der Schulen sind die Kommunen, deren wirtschaftliche Situation von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich ist. Anders ist es mit den Gehältern der Hochschulbeschäftigten, die aus dem Haushalt der russischen Zentralregierung finanziert werden. Sie erhalten zwar im ganzen Land weitgehend einheitliche Bezahlung, allerdings auf einem niedrigen Niveau. Das führt dazu, dass Hochschullehrer an Moskauer Universitäten meist weniger verdienen als Lehrkräfte an allgemein bildenden Schulen. Wissenschaftliche Lehrkräfte sind nicht selten gezwungen, außerhalb ihrer Hochschultätigkeit weiteren Arbeiten nachzugehen, um finanziell über die Runden zu kommen.

Die Bezahlung der russischen Pädagogen und Hochschullehrer nahm daher im Rechenschaftsbericht der wieder gewählten Vorsitzenden Galina Merkuolowa und in den Debattenbeiträgen der Delegierten breiten Raum ein. So beklagte der Vorsitzende des Moskauer ESEUR-Stadtverbandes, Sergey Kuzin, einen zunehmenden Mangel an Hochschullehrern und verlangte eine Verdoppelung ihrer Bezüge von derzeit etwa 13.000 Rubel (330 €) monatlich. Andere Delegierte forderten ein landesweites Mindestgehalt für Lehrkräfte an Schulen. Weitere wichtige Themen der Diskussion waren die Reform der Lehrerausbildung im Zuge des Bolognaprozesses, die Beteiligung der Gewerkschaft am sozialen Dialogs, die Verbesserung der Qualität der Bildung, die Einführung neuer Methoden zur Evaluierung von Bildungserfolgen, der Gesundheitsschutz von Lehrkräften, die Auswirkung der Wirtschaftskrise auf die Bildungsfinanzierung, der Niedergang der beruflichen Bildung sowie die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen im Bildungsbereich. Zu den Erfolgen der Arbeit ihrer Gewerkschaft zählte die Vorsitzende Merkuolowa die Erhöhung der Lehrerpensionen und den Rechtsschutz.

An dem Kongress nahmen auch etwa zwanzig Vertreter von Bildungsgewerkschaften aus elf Ländern (Aserbeidschan, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Israel, Niederlande, Polen, Schweden, Slowakei, Tschechien und Weißrussland) sowie der Generalsekretär der Bildungsinternationale, Fred van Leeuwen, als Gäste teil. Fred van Leeuwen sprach den Delegierten sein Beileid für die 39 Opfer des Terroranschlag aus, die zwei Tage zuvor bei den Selbstmordattentaten in der Moskauer U-Bahn ums Leben gekommen waren. Die Bildungsinternationale sei gegen jede Form von Extremismus und terroristischer Gewalt und trete weltweit für Toleranz und ein friedliches Miteinander ein. Van Leeuwen sicherte den Delegierten der russischen Bildungsgewerkschaft außerdem die Unterstützung der internationalen Gewerkschaften bei ihrem Widerstand gegen Deregulierung und Privatisierung im russischen Bildungswesen zu.