Zum Inhalt springen

Arbeitszeiterfassung

Kommt sie - oder kommt sie nicht?

Seit das Bundesarbeitsgericht (BAG) im September 2022 eine Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit festgestellt hat, warten alle noch gespannter darauf, wann das Bundesarbeitsministerium den lange angekündigten Gesetzentwurf vorlegt.

Wenn die Arbeitszeit an Schulen erfasst wird, können sich Arbeitgeber nicht mehr davor wegducken, dass die faktisch geleistete Arbeitszeit der Lehrkräfte zu hoch ist. (Foto: imago)

Das BAG hatte eigentlich nur darüber zu entscheiden, ob der klagende Betriebsrat ein Initiativrecht „zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung“ habe. Dies hat das Gericht verneint – aber mit einer aufsehenerregenden Begründung: Der Betriebsrat sei nicht in der Mitbestimmung, weil es bereits eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gebe – und Gesetz schlägt Mitbestimmung. Das BAG leitet diese Pflicht aus dem Arbeitsschutzgesetz ab. Andererseits habe der Betriebsrat zwar ein Mitbestimmungsrecht, wie die Arbeitszeiterfassung konkret umgesetzt wird, er dürfe aber seinen Initiativantrag nicht so eng fassen, da nicht ausschließlich eine elektronische Zeiterfassung in der Lage sei, den gesetzlichen Anforderungen zu genügen (Az. 1 ABR 22/21).

Im öffentlichen Dienst gibt es weit überwiegend bereits eine Arbeitszeiterfassung. Diese ist auch Voraussetzung für Gleitzeitmodelle und für Überstundenentgelte. Beides ist in den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst ebenso angelegt wie in den entsprechenden Beamtengesetzen. Und die Mitbestimmung beim „Wie“ ist in den Personalvertretungsgesetzen der Länder ebenso angelegt wie im Betriebsverfassungsgesetz. Allerdings gibt es bisher zwei große Ausnahmen: Lehrkräfte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Arbeitsschutz gilt für alle

Für tarifbeschäftigte Lehrkräfte findet sich im Paragraf 44 des Tarifvertrags der Länder (TV-L) (Sonderregelungen für Lehrkräfte) in Nr. 2 Satz 2 eine schlichte Regelung: „Es gelten die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten in der jeweils geltenden Fassung“ (analog im hessischen TV-H und im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für Lehrkräfte im Bundes- oder kommunalen Dienst). Damit gilt für alle Lehrkräfte die jeweilige Landesverordnung über die Unterrichtsstunden, je nach Bundesland als Pflichtstunden, Deputate oder Regelstundenmaße bezeichnet, in Abhängigkeit von der jeweiligen Schulform oder -stufe. Diese Unterrichtsstunden werden als Arbeitszeit erfasst, alles Weitere bislang nicht.

Schon im Mai 2019 hatte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für Wirbel gesorgt, weil dieser den Mitgliedsstaaten aufgetragen hatte, „die Arbeitgeber [zu] verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ (Az.: C-55/18). Nach dem europäischen Arbeitsschutzrecht – und daraus abgeleitet auch im deutschen Arbeitsschutzrecht – zählen auch Beamtinnen und Beamte zu den Arbeitnehmerinnen und -nehmern.

Ansonsten wird in Deutschland zwischen den beiden Statusgruppen unterschieden. Das fängt schon bei der Gesetzgebungskompetenz an: Mit Ausnahme des „Statusrechts“, das bundesweit einheitlich geregelt ist, sind die Landesparlamente alleine für ihre Beamtinnen und Beamten zuständig. Würde der Bundestag – wie im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigt – die Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz festschreiben, so gälte dies nicht für Landesbeamtinnen und -beamte. Die Länderparlamente müssen für ihre verbeamteten Beschäftigten eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen.

Reißerische Zeitungsüberschriften von einer „Rückkehr der Stechuhr“ dienen vor allem dazu, das Konzept Arbeitszeiterfassung zu diskreditieren, sie entbehren aber jeder Grundlage.

Um die Arbeitszeiterfassung im Interesse des Arbeitsschutzes wirksam werden zu lassen, muss die Aufzeichnung auch für den Arbeitgeber zugänglich sein. Aus Arbeitsschutzgründen ist aber nur interessant, wann jemand anfängt und aufhört zu arbeiten – wegen der Pausen- und Ruhezeiten und der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. Es geht also nicht darum, was Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Arbeitszeit tun! Letzteres wäre eine unzulässige Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Es ist auch unerheblich, wo die Arbeitszeit erbracht wird. Reißerische Zeitungsüberschriften von einer „Rückkehr der Stechuhr“ dienen vor allem dazu, das Konzept Arbeitszeiterfassung zu diskreditieren, sie entbehren aber jeder Grundlage.

Bedeutet eine Erfassung der Arbeitszeit, dass sich nun an den Schulen alles ändert? Das ist keinesfalls zwingend. Auch weiterhin wird es nötig sein festzulegen, wie viel Unterricht eine Vollzeitkraft im Regelfall zu erbringen hat. Das ist schon allein als Planungsgröße für den Landeshaushalt und die Zuweisung der Stellen an die einzelnen Schulen unverzichtbar. Auch alternative „Arbeitszeitmodelle“ – wie das in Hamburg – sind letztlich Planungsmodelle, wenn sie einzelnen Aufgaben vorab festgeschriebene Zeitkontingente zuordnen und einzelnen Unterrichtsfächern je nach Fach und Jahrgangsstufe unterschiedliche „Faktoren“ zuweisen.

Deputate weiterhin nötig

Was dann künftig nicht mehr geht: die Deputate und die weiteren Aufgaben als Dienstherr einfach zu verordnen. Wenn die Ergebnisse der Arbeitszeiterfassung einheitlich und elektronisch zugänglich gespeichert werden, kann man sie in anonymisierter Form aggregieren und auswerten. Die Personalräte, die die Einhaltung der Gesetze mit überwachen sollen, müssen ebenfalls darauf zugreifen können. Dann können sich die Arbeitgeber endlich nicht mehr davor wegducken, dass die geforderten Aufgaben – die Pflichtstunden und/oder die weiteren Pflichten – schlicht zu umfangreich sind!

Auch die jüngere Rechtsprechung zur Lehrkräftearbeitszeit hat deutlich gemacht, dass ohne eine echte Arbeitszeiterfassung keine Chance besteht, an der Überlastung der Lehrkräfte etwas zu ändern: Trotz der beeindruckenden empirischen Befunde der niedersächsischen Lehrkräftearbeitszeitstudie aus dem Jahr 2015 (s. E&W 9/2016 und 2/2018) sind bislang weiterhin alle Einzelklagen wegen überlanger Arbeitszeiten gescheitert, weil die Überlastung nicht im Einzelfall nachgewiesen werden konnte (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht  – 5 LB 133/20, Verwaltungsgericht (VG) Hannover – 13 A 900/18, VG Osnabrück 2020 – 3 A 45/18).

Im persönlichen Gespräch berichtete mir ein Schulleiter, seit er für sich mal angefangen habe, seine Arbeitszeit aufzuschreiben, würde er weniger arbeiten – nach 50 Stunden frage er sich dann schon, ob das wirklich auch noch diese Woche passieren müsse. Unabhängig von einer gesetzlichen Verpflichtung kann ich dies jeder Lehrerin, jedem Lehrer nur zur Nachahmung empfehlen.