Startchancenprogramm
Kommerzielle Firmen wittern ein Riesengeschäft
20 Milliarden Euro stellen Bund und Länder in den nächsten Jahren für Schulen mit hohem Anteil sozial benachteiligter Schüler*innen bereit. Kommerzielle Dienstleister rangeln um die Milliarden, die Schulen in Eigenregie ausgeben dürfen.
20 Milliarden Euro: So viel Geld stellen Bund und Länder in den nächsten zehn Jahren bereit, um 4.000 allgemeinbildende und berufsbildende Schulen mit hohem Anteil sozial benachteiligter Schüler*innen zu unterstützen. EdTech-Firmen, kommerzielle Berater*innen und Dienstleister rangeln um die Milliarden, die Schulen in eigener Regie ausgeben dürfen. Die GEW warnt davor, dass das Startchancen-Programm kein Konjunkturprogramm für kommerzielle Akteure werden dürfe.
Ein Stück vom Milliardenkuchen
Auch die simpleclub GmbH, ein Anbieter von Lernapps, will ein Stück vom Milliarden-Kuchen. Das Unternehmen aus Grünwald bei München umwarb bislang Schüler*innen, Lehrkräfte und ausbildende Unternehmen. Jetzt nimmt die GmbH auch Schulen als Ganzes ins Visier. Denn ihnen wird erlaubt, über rund drei Milliarden Euro Fördergelder vom Bund - das „Chancenbudget“ – frei zu verfügen. „Warum Sie Ihr Chancenbudget am effektivsten in eine digitale Lernplattform wie simpleclub investieren“, lockt die Firmenwebseite. Das Angebot biete „adaptives Lernen durch modernste Technologie“, ermögliche „Lernstandserhebung“ und sorge für die „Entlastung von Lehrkräften“.
Was Schulen dafür bezahlen sollen, gibt simpleclub auf GEW-Anfrage noch nicht bekannt. Auf der Firmenwebseite steht jedoch: Wer als Schülerin oder Schüler simpleclub bucht, zahlt für den Tarif „unlimited plus“ – Stand Mitte September 2024 – monatlich 6,66 Euro. Bei diesem Tarif tritt auch ein „AI-Tutor“, also Künstliche Intelligenz“, in Erscheinung. „Stell Fragen, prüfe dein Verständnis, fasse zusammen und teste dich“, heißt es dazu auf der Webseite.
„Orientierungspapier“ für Schulen
Auf großes Interesse bei EdTech-Anbietern und Bildungsdienstleistern dürfte eine Übersicht stoßen, die von Bund und Ländern veröffentlicht wurde: Das „Orientierungspapier zur Verwendung der Chancenbudgets an den Startchancen-Schulen (Säule II)“. Darin steht etwa, dass die Schule „Tutoring-Programme“ zur Leseförderung einkaufen darf.
Erlaubt ist zudem die Anschaffung von „Materialien und digitalen Tools zur Unterstützung der individuellen Diagnostik“. Oder die „Nutzung von Angeboten der MINT-Bildung“. Über das Chancenbudget darf die Schule auch Maßnahmen finanzieren, die der „Schul- und Unterrichtsentwicklung“ dienen oder der „Professionalisierung des Personals.“ Förderfähig ist beispielsweise die „Etablierung datengestützter Entscheidungsprozesse“. Oder die „Qualifizierung im Bereich Classroom-Management“.
Anbieter versprechen Beratung
Wer sich als Schulverantwortliche informieren möchte, stößt schnell auf eine Webseite mit der Überschrift „Bündnis Startchancen-Schulen“. Das klingt neutral, die Webseite verspricht Orientierung. „Öffentliche Träger und Schulen müssen ein Angebot aufgezeigt bekommen, wie und wer sie bei baulichen, personellen und sonstigen Maßnahmen unterstützen kann“, heißt es dort. Auch ein Online-Fragebogen ist hier zu finden, mit der Überschrift „Beratung für Startchancen-Schulen“.
Doch hinter dem „Bündnis“ steht laut Webseite ein kommerzieller Bildungsanbieter, die „mizufa - Mission Zukunft für alle GmbH“ mit Sitz in Rottenburg am Neckar. Bei mizufa landen auch die ausgefüllten Online-Fragebögen. Die GmbH betreibt laut eigenen Angaben die Online-Plattform „edu-mission“, bietet Schulbegleitung, Nachhilfe, Förderprogramme und unterhält eine firmeneigene Akademie.
Beratung verspricht auch die Bochumer „Institut für Schulentwicklung und Hochschuldidaktik GmbH (ish)“. „Die Rahmenbedingungen für das Startchancenprogramm sind vielen Schulen längst nicht klar“, heißt es auf deren Webseite. Gleichzeitig bietet auch ish Dienstleistungen an, die mit dem Chancenpaket gefördert werden können. Das Unternehmen sei spezialisiert auf „systemische Schulentwicklung“, „moderiere Prozesse“ und unterstütze bei der „Nutzung digitaler Medien“.
Die Berliner ILT Deutschland GmbH bewirbt unter dem Markennamen „Polylino“ digitale mehrsprachige Bücher. „Polylino fällt unter das Chancenbudget, da es (…) direkt die Bildungschancen und Sprachentwicklung fördert“, so das Unternehmen. Für Schulen ist eine Jahreslizenz ab 599 Euro plus Mehrwertsteuer zu haben.
Werben für Schulkleidung
Ein Stück vom Startchancen-Kuchen erhofft sich auch der Textilanbieter LYTD im bayerischen Memmingen. Schulen könnten die angebotenen Mittel auch nutzen, „um das Gemeinschaftsgefühl ihrer Schülerinnen und Schüler zu stärken“, heißt es auf der Webseite lytd.de. Und zwar durch die „Einführung von freiwilliger Schulkleidung“. LYTD biete „kostenfreie Unterstützung bei der Beantragung der Mittel“.
GEW gegen Konjunkturprogramm für kommerzielle Akteure
„Das Startchancen-Programm ist ein Schritt in die richtige Richtung“, erklärt Anja Bensinger-Stolze, für Schule zuständiges Vorstandsmitglied der GEW. „Bundesländer und Schulen müssen jedoch sicherstellen, dass die Gelder sinnvoll eingesetzt werden.“
Das Startchancen-Programm dürfe kein Konjunkturprogramm für kommerzielle Akteure werden. Auch gelte es, den bürokratischen Aufwand für die Schulen so gering wie möglich zu halten.
Bundesländer sollen Rechenschaft ablegen
Im „Orientierungspapier“ von Bund und Ländern steht: „Die Entscheidung darüber, wie die Chancenbudgets eingesetzt werden, wird von den zuständigen Stellen des Landes (…) gemeinsam mit den Startchancen-Schulen und – sofern sie zuständig sind - den Kommunen getroffen.“ Die entsprechenden Vereinbarungen werden „transparent und nachvollziehbar“ dokumentiert. Und weiter: „Im Rahmen des regelmäßigen Monitorings legen die Länder Rechenschaft über die Verausgabung der Mittel ab.“