Dialog
Klare Kante
Von Wahlen bis zu politischen Debatten – die extreme Rechte gewinnt überall an Bedeutung. Dialog hat drei Menschen gefragt, die sich gegen diese Entwicklung engagieren: Was tut ihr, und was ist eine gute Strategie gegen den Rechtsruck?
Renate Christians, 69,
Omas gegen Rechts, Berlin
„Seit 2019 engagiere ich mich bei den Omas gegen Rechts. Wenn am Infostand Menschen von Lügenpresse und Staatssendern sprechen, merke ich: Es ist was aus dem Lot gekommen. Wir haben verlernt, einander zuzuhören. Dass die AfD nach wie vor so viel Zuspruch bekommt, obwohl es inzwischen reichlich Informationen über ihre völkisch-nationalen Positionen gibt, macht mir Angst.
Umso toller ist es, dass so viele Leute bei den Omas gegen Rechts mitmachen wollen. Seit der Veröffentlichung der Rechercheplattform Correctiv über das Treffen der Rechtsextremen am Wannsee kommen zu unseren offenen Meetings, zu denen sonst 30 Engagierte erschienen sind, jetzt 120. Überall in Berlin bilden sich neue Stadtteilgruppen.
Etliche bei uns sind vom Oma-Alter weit entfernt. Viele wissen einfach nicht, wo sie sich sonst organisieren sollen. Uns finden sie gut: demokratisch, klare Kante gegen Rechts. Ich merke am Infostand manchmal, dass ich aufgrund des Alters abgeklärter bin: Ich diskutiere doch nicht mit einem CDU-Kommunalpolitiker, der erzählt, dass er in Sachfragen prima mit der AfD zusammenarbeitet. So hat es angefangen 1933.
Wir entwickeln permanent neue Protestformen. Demonstrieren regelmäßig gegenüber dem Lokal in Berlin-Reinickendorf, in dem sich die AfD zum Stammtisch trifft; haben Wahlspiele entwickelt, um mit Jugendlichen wählen zu üben; diskutieren in Schulen mit Schülerinnen und Schülern über Demokratie; drehen Social-Media-Clips. Neulich haben wir vor der CDU-Zentrale eine Tischdecke mit brauen Steinen bemalt und während der Demo durchgeschnitten – die Brandmauer, eingerissen von der CDU, die einem AfD-Antrag zugestimmt hatte. Wir müssen Kante zeigen, um unsere Demokratie zu retten. 1933 haben die Nazis nur zwei Monate gebraucht, um sie zu zerstören.“
Ralf Beduhn, 73,
Courage gegen Rechts, Niedersachsen
„Seit knapp 40 Jahren engagiere ich mich gegen die extreme Rechte. Angefangen hat es mit einer Demo gegen einen neurechten Verlag namens ,Mut‘, der sich bis dahin unbemerkt in unserer Nachbargemeinde auf dem Land befand. Mit vier Leuten haben wir einen Protestzug am 55. Jahrestag der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichkanzler organisiert – es kamen 600 Menschen. Das war Wahnsinn für einen kleinen Ort – und der Anfang eines Aufbruchs. Danach bildeten sich in der Region einige kleine Gruppen gegen Rechts. Ich habe an meiner Gesamtschule mit Schülerinnen und Schülern das Projekt ,Gebt Nazis keine Chance‘ gestartet. Daraus ist auf Wunsch der Jugendlichen eine AG geworden, die ich 24 Jahre lang geleitet habe. Wir haben Infoveranstaltungen zu Rechtsrock, NPD und Nazikameradschaften organisiert, Demos auf die Beine gestellt.
Die AG hat unsere Schulkultur maßgeblich geprägt und war die Basis für effektives Engagement in späteren Jahren. Als in den 1990ern Nazis mit Springerstiefeln durchs Land zogen oder im Januar 2000 die militante Naziszene im Ort eine Demo machte, haben wir die Gegendemo organisiert. Danach gründete sich in der Gemeinde ein Runder Tisch gegen Rechts, die Leute wachten auf. Gleichzeitig wurde ich persönlich bedroht, bekam als Lehrer sogar Gegenwind von Regierungspräsidentin Gertraude Kruse (SPD); angeblich hätte ich Jugendliche zum Aufstand angestiftet. Es waren aufwühlende Jahre, die ich ohne Rückendeckung durch die GEW Niedersachsen kaum durchgestanden hätte. 2001 hat sie mir den Courage-Preis verliehen. 2009 gründete sich hier die GEW-Gruppe Courage gegen Rechts.
Was ich aus all dem gelernt habe? Erstens, so wichtig spontane Demos sind, ein wirksamer Kampf gegen Rechts braucht ein solides Fundament – wie jene Schüler-AG, die ich als aktiver Lehrer geleitet habe. Ein solches Gremium klärt viele Jahre lang auf, sammelt Engagierte, um loslegen zu können, wenn es wie jetzt brenzlig wird. Zweitens, es genügen fünf, sechs Leute in einem Ort, die sich zusammentun und für die Sache trommeln – dann kommen die anderen schon.
Wir erleben gerade eine massive faschistische Welle. Ich bin oft auf Demos, schreibe Artikel, halte Vorträge über Strategien gegen Rechts. Damals, als mich die Nazis bedroht haben, hab´ ich beschlossen: Ich lasse mich nicht kleinkriegen – von niemandem.“
Engagieren
Die bundesweite Gruppe der GEW Aktiv gegen Rechts organisiert Veranstaltungen und Demonstrationen, stellt Unterrichtsmaterial zur Verfügung, informiert über Aktionen und bietet Workshops für alle an, die Lust haben, sich auf TikTok & Co. gegen Rechts einzusetzen. Mehr Informationen über die Aktivitäten der Landesverbände bei: elina.stock@gew.de.
Informieren
Ein „Aktionspaket Rechtsextremismus“ hat die Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zusammengestellt. Die Themenhefte beschäftigen sich mit Rechtsextremismus und Schule, Rechtspopulismus und neuem deutschen Extremismus. Gut aufgemachte Publikationen über Antisemitismus und Geschlecht oder Rechtsextremismus stellt die Amadeu Antonio Stiftung zur Verfügung.
Trainieren
Wie reagiert man am besten auf rechtspopulistische oder rechtsextreme Äußerungen im Supermarkt, in der Nachbarschaft oder in der U-Bahn? Strategien üben kann man zum Beispiel bei den bundesweiten Trainings des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus. Wer lieber im Selbststudium übt, sollte in den Klassiker von Klaus-Peter Hufer schauen: „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“, Wochenschau-Verlag 2016. Auf der Basis von Hufers Konzept bietet das Netzwerk Argumentationstraining gegen Stammtischparolen bundesweit Live-Trainings.
Cornelia Mannewitz, 68,
Aktiv gegen Rechts, Mecklenburg-Vorpommern
„Nach der Wende zogen die Nazis durch Rostock und andere Städte der Republik, rechte Parteien hatten Zulauf. Mir war klar: Wir müssen uns gegen Rechts organisieren. Seit 2003 mache ich beim Rostocker Friedensbündnis mit, Friedensarbeit und Antifaschismus gehören zusammen. Wir bereiten Demos und Diskussionen vor, starten Kampagnen. Ich habe viel gelernt über das Engagement gegen Rechts. Wann man vorsichtig sein muss; welche rechten Organisationen es gibt und wo Dörfer bereits ganz in der Hand von Rechtsextremen sind; wo ich gute Bündnispartnerinnen und -partner finde.
Heute sind die Rechten oft gar nicht mehr als solche zu erkennen, sie geben sich bürgerlich. Rechte Thinktanks kommen intellektuell daher. Bei uns haben sich nach der Besetzung der Krim 2014 durch Russland die ,Mahnwachen für den Frieden‘ gegründet, geprägt von Reichsbürgern. 2022 entstand eine angebliche ,neue Friedensbewegung‘, von Kopf bis Fuß rechts, die leicht mit der linken Friedensbewegung verwechselt wird. Und das ist Programm. Das ist ebenso gefährlich wie die Naivität einiger in der akademischen Welt, die immer noch denken, dass sie Rechtsradikale mit Argumenten von ihrem Weg abbringen könnten.
Heute bin ich auch Bundesfachgruppenvertreterin Hochschule und Forschung bei Aktiv gegen Rechts der GEW. Die Fachgruppe hat erfolgreich Anträge beim Gewerkschaftstag eingereicht, mit denen sich die GEW gegen Rechts positioniert. Gut, dass die Leute jetzt auf die Straße gehen. Leider ist bürgerschaftliches Engagement für viele Ältere im Osten suspekt. Sie haben wenig Erfahrungen mit politischem Engagement jenseits der Parteien und halten jede Opposition gegen Staat und Presse für Widerstand.“
Die Europawahlen haben gezeigt, wie umfassend der Rechtsruck fast überall auf dem Kontinent ist.
Die rechtspopulistischen und rechtsextremen Botschaften verfangen ebenso wie die einfachen Lösungen – vom Rückzug in einen ethnisch homogenen Nationalstaat bis zum Leugnen der Klimakrise. Die Polarisierung in den Gesellschaften nimmt zu, das Klima ist rau und aggressiv geworden. Zeit, etwas zu tun.
Zum Beispiel, sich für eine bessere politische Bildung und höhere Medienkompetenz starkzumachen. Nur wer sich fundiert eine Meinung bilden, Argumente analysieren, billige Rhetorik entlarven kann und nicht orientierungslos durch das Wirrwarr des TikTok-Gewitters trudelt, ist gefeit vor den einfachen Botschaften von Rechtsaußen. Nur wer aus der Vielfalt der Stimmen die seriösen herauszufiltern versteht, wer erkennt, wo Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Antifeminismus anfangen und das gezielte Untergraben des Vertrauens in den demokratischen Staat politische Strategie ist, kann gegenhalten. Diese Fähigkeiten zu schulen, ist Aufgabe der Lehrkräfte. Viele setzen sich mit großem Engagement dafür ein. Das verdient unseren Respekt.
Ältere Kolleginnen und Kollegen können dabei unterstützen, wenn sie in Schulen eingeladen werden, um von ihren Erfahrungen zu erzählen: Wie war das in den „Baseballschlägerjahren“ der 1990er, als Nazis durch die Straßen zogen? Wie hält man die Balance zwischen scharf dagegenhalten und ins Gespräch kommen? Initiativen wie die Omas gegen Rechts machen es vor. Aus der Zeitzeugenarbeit wissen wir, wie bereichernd so eine Öffnung der Schulen nach außen sein kann. Alle profitieren davon – Jugendliche, Lehrkräfte, Ältere.
Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik