Transformation der Sozialen Arbeit
„Kita-Sozialarbeit nützt allen“
Barbara Lochner, Professorin für Pädagogik der Kindheit an der Fachhochschule Erfurt, leitet die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Vielfalt vor Ort begegnen“ mit 80 Thüringer Kitas und gründete eine AG zum Thema Kita-Sozialarbeit.
- E&W: Kita-Sozialarbeit ist eine relativ junge Disziplin im pädagogischen Feld. Wo ist sie überhaupt schon anzutreffen?
Prof. Barbara Lochner: Das ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich: Berlin, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz sind schon relativ weit, Thüringen und Sachsen verfolgen erste Ansätze. In Bayern und Hessen kenne ich dagegen noch gar keine Beispiele. Bundesweit ist der wissenschaftliche Diskurs um Kita-Sozialarbeit sehr neu und nimmt erst seit einem Jahr Fahrt auf.
- E&W: Was kann Aufgabe von Kita-Sozialarbeit sein – und für wen ist sie gedacht?
Lochner: Die Bedarfe sind regional sehr unterschiedlich. Wir unterscheiden mehrere Pfeiler: In Rheinland-Pfalz zum Beispiel ist die sozialraumorientierte Netzwerkarbeit sehr stark. Bei uns in Thüringen indessen geht es primär um die Zusammenarbeit mit Familien. Der dritte Pfeiler ist die Arbeit mit Kindern, etwa die Unterstützung von sozialen und sozial-emotionalen Kompetenzen, aber auch die Demokratiebildung und das Ermöglichen von Partizipation. Dieser Bereich steht aber weniger im Fokus, weil er ja Teil der originären Bildungsarbeit der Pädagoginnen und Pädagogen ist.
- E&W: Welche Rolle kann Kita-Sozialarbeit in der Familienbildung spielen?
Lochner: Hier geht es um klassische Formen der sozialpädagogischen Unterstützung wie Hilfe bei Anträgen, Vermittlung zu anderen sozialen Dienstleistungen, Stärkung der Erziehungskompetenzen und Teilhabe oder die Begleitung von Elterngesprächen – Bedarfe, die mehr Zeit brauchen, als der reguläre pädagogische Alltag hergibt. Die Zielgruppen sind vor allem Familien, die einen erhöhten Unterstützungsbedarf haben, zum Beispiel Familien in prekären Lebenslagen, Familien mit Migrationshintergrund und Familien, in denen es schwere Erkrankungen oder kognitive Einschränkungen gibt. Kita-Sozialarbeit kann aber auch Angebote für alle Familien schaffen, beispielsweise Spielenachmittage, Bildungsangebote, Workshops und Elterncafés. Ihre Rolle hängt stark von den Konzepten und Bedürfnissen der jeweiligen Einrichtung ab.
- E&W: Warum müssen sich Kitas überhaupt um diese Angelegenheiten kümmern – gibt es nicht schon genügend Angebote im Umfeld?
Lochner: Sozialarbeit kann zum systemischen Anspruch einer Kita gehören. Denn um Kinder adäquat zu unterstützen, zu bilden, zu fördern und zu begleiten, muss das gesamte System des Kindes einbezogen werden. Dazu gehören auch Unterstützungsleistungen, die mit der Teilhabe und der Entwicklung des Kindes zu tun haben, wie eine Frühförderung, das Essensgeld oder die Gebührenbefreiung zu beantragen. Wir müssen fragen: Was braucht dieses Kind? Und zwar je früher desto besser.
- E&W: Welche Rolle spielt Kita-Sozialarbeit für die Teams in den Einrichtungen?
Lochner: Wenn ein Kind in einer Kita nicht am gemeinsamen Mittagessen teilnehmen kann, weil sich die Eltern zum Beispiel den finanziellen Beitrag dafür nicht leisten können, entsteht für die Erzieherinnen und Erzieher ein massives pädagogisches Dilemma. Daher ist das Angebot auch im Interesse der Mitarbeitenden und des Trägers. Und die Einrichtungen, mit denen ich spreche, empfinden die Kita-Sozialarbeit als große Entlastung. Sie berichten durchgängig von sehr positiven Reaktionen der Familien, weil die Angebote niedrigschwellig zugänglich und freiwillig sind. Dort, wo Kita-Sozialarbeit stattfindet, stößt sie auf hohe Akzeptanz, weil sie allen nützt.
- E&W: Und werden die Teams auch direkt unterstützt?
Lochner: Das ist ein weiterer wichtiger Pfeiler. Es gibt Coaching-Funktionen und Weiterbildungen für eine gemeinsame Teamentwicklung, Angebote der Haltungsarbeit, Unterstützung bei der konzeptionellen Fortentwicklung, Vermittlung zwischen Beschäftigten und Eltern oder eine bessere Vernetzung mit dem Sozialraum. Wichtig dabei ist allerdings, dass sich die Kita-Leitung ihrer Steuerungsverantwortung bewusst ist und Sozialarbeit konzeptionell in die Gesamtvision integriert. Da gibt es durchaus noch Handlungsbedarf. Kita-Sozialarbeit kann nur erfolgreich sein, wenn klar ist, welche Funktion, welche Rolle und welche Aufgabe sie innerhalb des Gesamtkonstrukts der Einrichtung übernehmen soll.