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Kindeswohl hat Vorrang

Recht auf Bildung – wie sieht es in der Bundesrepublik damit aus? Seit vier Jahren haben wir den Nationalen Aktionsplan (NAP) „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010“. Er basiert auf dem Abschlussdokument „A world fit for children“, das die UN-Sondergeneralversammlung 2002 verabschiedet hatte, um die Lage von Kindern weltweit zu verbessern.

In der Präambel zum NAP wird die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) als „entscheidende Richtschnur für kinderpolitisches Handeln“ bezeichnet.

Bildung ist das erste von insgesamt sechs Handlungsfeldern – weitere sind u. a. das Aufwachsen ohne Gewalt sowie die Förderung gesunder Lebens- und Umweltbedingungen – , die der Aktionsplan zur Umsetzung global geltender Kinderrechte auf der Agenda hat. Die Bundesregierung setzte sich zusammen mit den Ländern als zentrales Ziel, im Bildungswesen Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen zu realisieren. Die dafür notwendigen Schulreformen stehen aber noch immer aus. So ist das Ziel bislang bloß Absicht geblieben.

Die hierzulande erschreckend hohe Bildungsbenachteiligung durch soziale Herkunft hat sich kaum verringert. Bei vielen Kindern aus Migrantenfamilien verhindert häufig eine mangelnde frühe Sprachförderung die gleichberechtigte Teilhabe am Unterricht sowie am sozialen Leben.

Kinder mit einer Behinderung erleben in vielen Fällen einen Ausschluss vom gemeinsamen Unterricht, ihrem individuellen Persönlichkeits- und Begabungsprofil wird nicht Rechnung getragen. Und trotz bestehender Schulgesetze, welche die Mitgestaltung und Partizipation der Schüler festschreiben, ist die lebendige Beteiligungskultur im Schulalltag nur schwach ausgeprägt. Ein weiterer Skandal: In mehreren Bundesländern gilt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht einmal die Schulpflicht (s. E&W 1/2009).

Fakt ist: Der Verpflichtung des in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention formulierten Rechts jedes Kindes auf gleichen Zugang zur Bildung kommt die Bundesrepublik bei Weitem nicht nach. Auch 20 Jahre nach Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention bleibt Deutschland in zentralen Punkten hinter internationalen Kinderrechtsstandards deutlich zurück.

Im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Gelegenheit für alle Parteien, dringend notwendige Kurskorrekturen in der Bildungspolitik in ihre Programme aufzunehmen. Aus kinderrechtlicher Sicht bedarf es vor allem folgender Reformschritte:

Rücknahme der Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention, um die Schulpflicht uneingeschränkt für alle Kinder in Deutschland zu gewährleisten;
Einbezug der Kinderrechte in die schulischen Curricula im Rahmen einer umfassenden Menschen- und Kinderrechtsbildung;
Orientierung des Schulalltags an einem auf den Rechten der Kinder basierenden pädagogischen Ansatz (Child Rights based Approach);

Grundlage jeder Bildung ist die Achtung der Würde und Integrität jedes einzelnen Kindes. Eine explizite Aufnahme von Kinderrechten in die deutsche Verfassung wäre ein Signal, auch nach außen deutlich zu machen, dass es die Bundesregierung mit dem Vorrang des Kindeswohls ernst meint. Besonders wichtig wäre – neben Schutz- und Beteiligungsrechten – eine grundgesetzliche Verankerung des Rechts jedes Kindes auf bestmögliche individuelle Förderung.

Der nächste Bundestag bekommt eine neue Chance, in diesem Sinne aktiv zu sein. Die Politik der Großen Koalition muss sich auch daran messen lassen, wie sie ihr selbstgesetztes Ziel, Kindern zu ihren Rechten zu verhelfen, bis zum Herbst verwirklicht hat. Druck auf Politik erzeugen Erwachsene, Eltern wie pädagogische Professionelle, aber nur, wenn sie sich zu Anwälten der Kinder machen.

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