Serie: Traumjob oder Trauma?
„Kind, lern was Vernünftiges“
Aktive und angehende Lehrkräfte berichten, was sie an ihrem Beruf lieben, mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert sind, was sie trotz alledem im Beruf hält – oder eben auch dazu gebracht hat, das Handtuch zu werfen.
„Was möchtest du denn mal werden?“, wurde das Kind regelmäßig im letzten Schuljahr der Oberstufe gefragt. „Meeresbiologin“, lautete die prompte Antwort. „Bloß nicht“, entfuhr es der Schwester, zu der Zeit arbeitslose Biologin. „Kind, lern doch was Vernünftiges“, riet die Mutter, „werde Lehrerin.“ Das Kind, in dem Falle ich, tat das einzig Vernünftige. Es probierte ein Jahr lang in einer Jugendherberge an der Nordsee im Umgang mit Schulklassen aus, wie es sich so als Biologin beziehungsweise Pädagogin anfühlt, wenn man fast täglich Meerestiere untersucht und diese Kindern nahebringt. Ein Jahr später stand meine Entscheidung fest. Ich studierte Mathematik und Biologie auf Lehramt an Gymnasien.
Was ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten passiert, dass aus dem „anständigen Beruf“ ein Beruf geworden ist, bei dem die meisten dankend abwinken?
„Und, was möchtest du mal werden?“ 20 Jahre später galt die gleiche Frage bei einem Familientreffen meinem Neffen Lasse. Auch er wusste sofort eine Antwort: „Ich möchte Gymnasiallehrer werden.“ Betretenes Schweigen. Genauso gut hätte Lasse erklären können, dass er sein berufliches Glück im Bestattungswesen sieht. „Er kann es sich nach dem Bachelor ja noch einmal überlegen“, brach meine Schwester als Erste die Stille. „Immerhin hast du als Lehrer lange Ferien“, versuchte meine Mutter, seinem Berufsziel etwas Gutes abzugewinnen. Mein Neffe schaute irritiert. Ich ebenso. Was ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten passiert, dass aus dem „anständigen Beruf“ ein Beruf geworden ist, bei dem die meisten dankend abwinken?
Attraktiver geworden ist der Lehrerberuf tatsächlich nicht. Im Laufe meiner Tätigkeit an einem Gymnasium hat sich vieles geändert und manchmal ertappe ich mich bei bevorzugt gegenüber jungen Kolleginnen und Kollegen geäußerten Bemerkungen wie: „Früher gab es noch Entlastungsstunden für Klassenleitungen.“ Oder: „Dieser ganze technische Kram, das dauert viel länger, funktioniert nie und macht die Kinder auch nicht schlauer.“ Dann erschrecke ich selbst bei diesen Gedanken, die aufgrund der immer häufiger auftretenden Überlastung aus meinem Kopf den Weg ins Lehrerzimmer gefunden haben.
Denn nach wie vor ist es das, was mir am meisten an meinem Beruf gefällt: Schülern die Inhalte meines Faches näherzubringen und sie dafür zu begeistern.
Zum Glück sind es genau diese jungen Kolleginnen und Kollegen, die mich wieder auf den Boden der Tatsachen bzw. des Lehrerzimmers zurückholen. „He, ist doch cool, mit den interaktiven Tafeln kannst du deine Stunde direkt von deinem Laptop auf die Tafel projizieren, und mit der Dokumentenkamera sparst du dir das Vorrechnen an der Tafel, weil die Schüler ihre Lösung einfach nur darunter legen müssen“, motiviert mich mein Sitznachbar, der erst kürzlich das Referendariat bestanden hat. Klingt nicht schlecht und irgendwie auch nach Entlastung, wenn auch nicht wie früher in Form der Ermäßigungsstunden. In der großen Pause bekomme ich von meinem Kollegen eine kurze Einweisung, und den Rest erklären mir meine Schülerinnen und Schüler: „Frau Hagemann, Sie müssen Ihren Laptop schon mit dem HDMI-Kabel verbinden, wenn wir sehen sollen, was Sie vorbereitet haben.“ Prima, wieder was gelernt.
Das gilt hoffentlich auch für meine Schülerinnen und Schüler. Denn nach wie vor ist es das, was mir am meisten an meinem Beruf gefällt: Schülern die Inhalte meines Faches näherzubringen und sie dafür zu begeistern. Gut, das mit der Begeisterung klappt beim Thema „Haustiere“ in Klasse 5 deutlich besser als bei den binomischen Formeln in Klasse 8, aber ich muss schließlich noch Herausforderungen für die nächsten 20 Jahre haben.
Doch wenn ich es schaffe, am Ende eines Schuljahres ein Kind in Mathe von einer 5 auf eine 4 zu bringen, freue ich mich über die erreichte Leistung und bin stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben.
Natürlich gelingen bei mir nicht immer alle Stunden, genau genommen wohl eher die Hälfte. Auch hängen meine Schülerinnen und Schüler nicht permanent gebannt an meinen Lippen. Doch wenn ich es schaffe, am Ende eines Schuljahres ein Kind in Mathe von einer 5 auf eine 4 zu bringen, freue ich mich über die erreichte Leistung und bin stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben. Das tröstet mich dann ein wenig darüber hinweg, dass es auch unzufriedene Schülerinnen und Schüler gibt, die meine Notengebung trotz aller Bemühungen um Fairness nicht nachvollziehen können.
Was ist jetzt eigentlich aus meinem Neffen geworden? Er hat sich nicht um vermeintlich gute Ratschläge gekümmert, sondern ist einfach das geworden, was ihn mit Leidenschaft erfüllt – Lehrer.