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Lobbyismus und Schule

„Keine Dienstpflichtverletzungen erkennbar“

Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler treten in Videofilmen auf, die Produkte von Google und Microsoft positiv darstellen. Das verstößt nach Expertenmeinung gegen Schulgesetze. Doch Ministerien und Schulaufsicht fällt eine Bewertung schwer.

Illustration: Karikatur von Christiane Pfohlmann

Morgendämmerung. Schüler radeln am Ufer entlang. „Ich bin Theo, 17 Jahre“, stellt sich einer der Schüler vor. Schnitt. Deutschlehrer Björn Nölte, mit Notebook unterm Arm, spricht von der „digitalen Gesellschaft“. Er betont: „Google Classroom gehört bei uns inzwischen zur Schule mit dazu.“ Gemeint ist eine Internetplattform, auf der Lehrkräfte unter anderem Aufgaben formulieren und an die Schülerinnen und Schüler verteilen. Diese bearbeiten die Aufgaben dann am Notebook, auch in Gruppen. „Macht halt Spaß, wenn man so ein Dokument hat, wo alle zusammen drin sind“, sagt die 18-jährige Alesja im Video.

Der YouTube-Clip entstand im Februar 2019 an der Voltaireschule in Potsdam, einer Gesamtschule. Die zuständige Schulaufsicht hatte nichts einzuwenden. „Schulaufsichtlich sind meinerseits hier keine Dienstpflichtverletzungen der Schulleitung erkennbar.“ Das schreibt Eckhard Dörnbrack vom Staatlichen Schulamt Brandenburg an der Havel am 13. Mai 2019. Angefragt hatte René Scheppler, Lehrer in Wiesbaden, GEW-Mitglied und seit Jahren gegen unzulässige Werbung an Schulen aktiv.

Wir bitten das Schulministerium des Landes Brandenburg um Stellungnahme. Pressesprecher Ralph Kotsch schreibt uns am 7. Juni: Ein Auftreten von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften bei Werbeaktionen „dürfte im direkten schulischen Kontext, insbesondere auf dem Schulgelände, problematisch sein“. Am 24. Juli erklärt der Pressesprecher: Besagter Videofilm werde „geprüft und bewertet“. Mehr als drei Monate später läuft die Prüfung immer noch. Am 6. November schreibt uns das Ministerium: „Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, kann noch kein Ergebnis mitgeteilt werden.“ Was sagt Karen Pölk, Schulleiterin der Voltaireschule, zum Video? Sie erklärt: „Ich habe von der Schulamtsleiterin eine schriftliche dienstliche Anweisung, dass ich dazu keine Auskunft erteilen darf.“

Keine Antworten von Google und Cloudwürdig

Um die Öffentlichkeitsarbeit von Google Germany kümmert sich Ralf Bremer. Er schreibt auf Anfrage: „Das Video wurde – gemeinsam mit der Voltaireschule – von unserem Partner Cloudwürdig realisiert.“ Die Cloudwürdig GmbH schult Firmen, Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen des Gesundheitswesens darin, Google-Produkte einzusetzen. Bremer erklärt außerdem: Die Potsdamer Schule beteilige sich an einem Pilotprojekt von Cloudwürdig, bei dem es „um kollaboratives Arbeiten mit digitalen Medien“ gehe. Wir wollen wissen: Wer hat den Videofilm finanziert?

Was sagt Google Germany zur Einschätzung des Schulministeriums, der Videofilm dürfte „problematisch“ sein? In welchen Bundesländern und an wie vielen Schulen gibt es ähnliche Pilotprojekte? Diese Fragen beantworten Ralf Bremer und der Google-Partner Cloudwürdig nicht. Auf Facebook entdecken wir: Cloudwürdig rief Schulen im Jahr 2018 dazu auf, sich als „Google-Leuchtturmschule“ zu bewerben. Auf der Webseite von Google steht noch im August 2019 in fehlerhaftem Deutsch, was die Schule als Gegenleistung zu erbringen hat: „Als eine unserer ausgewählten Leuchtturmschulen, können wir Sie bitten, Sie in einem unserer Blog-Posts, Fallstudien, Presseinterviews zu präsentieren oder Sie einzuladen, auf einer Veranstaltung über Ihre Erfahrungen mit unseren Tools zu sprechen.“

„Das sind ja aktive Werbemaßnahmen für ein Produkt.“ (Helmut Schorlemmer)

Helmut Schorlemmer (68), ehemaliger Leiter eines Gymnasiums im westfälischen Unna und Schulsponsoring-Berater des Landes Nordrhein-Westfalen, urteilt: Der Videofilm sei „rechtswidrig“, er verletze das „Neutralitätsgebot der Schule“. Ebenfalls rechtswidrig sei es, dass „Leuchtturmschulen“ über ihre Erfahrungen in Google-Veröffentlichungen und auf Google-Veranstaltungen berichten sollen. „Das sind ja aktive Werbemaßnahmen für ein Produkt“, findet Schorlemmer. Schulsponsoring sei nur erlaubt, wenn die Gegenleistung der Schule „defensiv“ sei. Angenommen, die Sparkasse fördere ein Projekt. „Dann ist es okay, wenn die Schule den Namen des Sponsors nennt und sich bedankt.“ Die Schulleiterin oder der Lehrer dürfe aber nicht sagen, „die Sparkasse hat die besten Zinsen“.

Ortswechsel. Birkenau, Kreis Bergstraße in Südhessen. Die örtliche Langenbergschule, eine Realschule, kooperiert mit Microsoft Deutschland – und wirkt ebenfalls in einem YouTube-Video mit. Der Clip heißt: „Die Schulen des Kreis Bergstrasse setzen auf Office 365 aus der Cloud/Microsoft“. Im Video sagt Lehrer Thomas Rech unter anderem: „Die Schüler dürfen die Microsoft-Lösung auf bis zu 15 Endgeräten installieren.“ Auch Schülerinnen und Schüler sind im Clip zu sehen. Schulsponsoring-Experte Schorlemmer urteilt: Das Video sei eine „unzulässige aktive Einbindung von Lehrpersonal in kommerzielle Werbemaßnahmen“. Das verletze die hessische Dienstordnung für Lehrkräfte. Auch die Schulleitung habe ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

„Auf Seiten der Verantwortlichen in Schulen, Schulaufsicht und Kultusministerien fehlt der Mut, das zu unterbinden.“

Das hessische Schulministerium erklärt nach monatelanger Prüfung am 5. November: Gegen den Lehrer sei ein Disziplinarverfahren eröffnet worden, „wegen möglicher Verstöße gegen das Werbeverbot im Hessischen Schulgesetz“. Microsoft Deutschland räumt auf Anfrage ein, das Video sei „auf Kosten von Microsoft“ produziert worden. Es handele sich um „einen Erfahrungsbericht“, nicht um Werbung. „Im Rahmen von Veranstaltungen/Messen“ seien keine Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler aufgetreten.

Schorlemmer missfällt das Verhalten der Digital-Konzerne: „Aufgrund ihrer Marktmacht erlauben sie sich eine nicht zulässige Einflussnahme auf Schulen.“ Versäumnisse sieht er in allen 16 Bundesländern. „Auf Seiten der Verantwortlichen in Schulen, Schulaufsicht und Kultusministerien fehlt der Mut, das zu unterbinden.“ Er fordert ein Umdenken: „Lehrerinnen und Lehrer können sich doch nicht zu Außendienstmitarbeitern von Google oder Microsoft machen lassen!“