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Kein Unterricht, kein Honorar
Freie Dozentinnen und Dozenten in der Weiterbildung leiden stark unter der Corona-Pandemie. Die GEW fordert unter anderem Festanstellungen, Tariflohn, einen Digitalpakt Weiterbildung und ein Bundesweiterbildungsgesetz.
Ein Projekt, aus der Not geboren. „Wir nennen es Sozialkasse“, erklärt Lioba Geier, die in Mannheim freiberuflich Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache (DaF/DaZ) unterrichtet. Sie und zwölf weitere Dozentinnen und Dozenten der Volkshochschule (VHS) Mannheim zahlen jeweils 20 Euro im Monat ein. „Wer ernsthaft erkrankt ist, bekommt bis zu 2.000 Euro ausbezahlt“, sagt GEW-Mitglied Geier. Denn wer freiberuflich in der Weiterbildung unterrichtet, steht im Krankheitsfall ohne Einnahmen da. „Kein Unterricht, kein Honorar“, bringt es Geier auf den Punkt.
Die Sozialkasse sei als private Initiative entstanden, nachdem eine Kollegin an Krebs erkrankt war. „Wir haben Geld gesammelt, damit sie für die nächsten drei Monate die Miete zahlen konnte“, erzählt Geier. Dann sei der Wunsch entstanden, eine feste Struktur aufzubauen. Auch während der Covid-19-Lockdowns sei die Sozialkasse eine „prima Sache“. Denn wenn der Weiterbildungsträger wochenlang Kurse aussetzt, fallen die Einnahmen der Dozentinnen und Dozenten weg. „Von uns sind fünf Leute betroffen“, sagt Geier. „Die Sozialkasse hat deshalb zweimal 800 Euro pro Person ausgezahlt.“
„Prekär Angestellte haben meist nur befristete Verträge, arbeiten häufig 40 oder mehr Unterrichtsstunden pro Woche, haben keine bezahlte Vor- und Nachbereitungszeit für den Unterricht, treiben Raubbau an ihrer Gesundheit.“ („Hamburger Appell“ der GEW Hamburg)
Längst nicht alle Beschäftigten in der Weiterbildung leiden unter prekären Verhältnissen. Wer auf IT spezialisiert ist oder Führungskräfte fortbildet, kassiert oft hohe Honorare. Die Trägerlandschaft ist weit gefächert. Finanzstarke wirtschaftsnahe Akademien gehören ebenso dazu wie kommunale Volkshochschulen, kirchliche Einrichtungen, kleine private Träger und gewerkschaftseigene Bildungswerke. Rund 700.000 Frauen und Männer arbeiten bundesweit in der Branche. Dazu zählten „über 200.000 freiberufliche Kursleiterinnen und Kursleiter, die zum großen Teil von den Honoraren leben“, so Professor Dieter Nittel, Weiterbildungsexperte an der Uni Frankfurt am Main und der Fernuniversität Hagen. Deren „mittlere Brutto-Entlohnung“ liege zwischen 1.200 und 1.750 Euro im Monat, sagt Nittel. Gleichwohl sind sie gezwungen, ihre Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung zu 100 Prozent aus eigener Tasche zu zahlen.
Doch auch Festangestellte sind nicht automatisch auf Rosen gebettet. Etwa in den Sprach- und Integrationskursen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanziert. „Prekär Angestellte haben meist nur befristete Verträge, arbeiten häufig 40 oder mehr Unterrichtsstunden pro Woche, haben keine bezahlte Vor- und Nachbereitungszeit für den Unterricht, treiben Raubbau an ihrer Gesundheit.“ Darauf verweist die GEW Hamburg im „Hamburger Appell“ vom Oktober 2020, der die Forderungen der GEW auf Bundesebene für eine bessere staatlich verantwortete Weiterbildung in Teilen zusammenfasst. Die Corona-Pandemie habe die Lage sowohl für Beschäftigte als auch für Weiterbildungsbetriebe „drastisch verschärft“, heißt es in dem Papier weiter. „Viele Lehrende sind überschuldet, in Existenznot geraten und müssen sich beruflich umorientieren.“ Etliche Betriebe hätten ihre Rücklagen aufgezehrt und müssten womöglich aufgeben.
Forderungen der GEW
Die GEW verlangt, längerfristige Finanzierungsstrukturen für die Träger staatlich verantworteter Weiterbildung zu schaffen, die dort tätigen Lehrkräfte fest anzustellen und nach der Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) zu bezahlen. Außerdem: 25 Unterrichtsstunden pro Woche für eine Vollzeit beschäftigte Lehrkraft und ein Honorar von 64 Euro pro Unterrichtsstunde für die freiberuflich in den Integrations- und Berufssprachkursen unterrichtenden Pädagoginnen und Pädagogen. 42 Euro soll nach GEW-Vorstellungen das Honorar für alle anderen Weiterbildungsangebote betragen.
„Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung einen großen Schub gegeben“, betont Ulrike Maier, kommissarische Verbandsdirektorin des VHS-Landesverbandes Rheinland-Pfalz im Februar 2021. „Unsere Referentin für Digitalisierung konnte dank der gezielten Beratung und internen Fortbildungen schnell große Unterstützung für unsere Einrichtungen leisten“, so Maier weiter. Besagte Referentin des VHS-Landesverbandes heißt Maresa Getto. Was ihr Aufgabengebiet ist, erklärt sie so: „Vernetzung der Kolleginnen und Kollegen vor Ort, Beratung in technischen wie auch methodisch-didaktischen Fragen, Support im Livestreaming und Fortbildung von VHS-Mitarbeitenden sowie der Kursleiterinnen und Kursleiter.“ Seit 2019 bezuschusst das Land Rheinland-Pfalz die Personalkosten für Digitalbeauftragte in den VHS-Geschäftsstellen. Im Februar 2021 überreichte Konrad Wolf (SPD), damals Landesminister für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, einen Förderbescheid in Höhe von 69.000 Euro.
Auch die GEW setzt sich dafür ein, die Digitalisierung in der Weiterbildung auszubauen. Die Gewerkschaft fordert, den „Digitalpakt Schule“ auf die Weiterbildung im öffentlichen Auftrag zu erweitern. Folglich soll für Integrations- und Berufssprachkurse, Weiterbildungsangebote nach Sozialgesetzbuch II und III sowie für Weiterbildungen, die die Kommunen verantworten, gelten: Bildungseinrichtungen, Lehrkräfte und Teilnehmende werden bei Infrastruktur, Endgeräten, Administration und Fortbildung von der öffentlichen Hand unterstützt.
Mehr politische Weiterbildung
Beschäftigte und Arbeitssuchende auf den digitalen und strukturellen Wandel der Arbeitswelt vorzubereiten, darauf zielt die „Nationale Weiterbildungsstrategie“ (NWS). Beteiligt sind drei Bundesministerien, die Bundesländer, die Bundesagentur für Arbeit sowie die Tarifpartner einschließlich der GEW. Die NWS will zum Beispiel Weiterbildungsberatung ausbauen und „Lernteilzeiten“ schaffen. Auch Angebote, die sich an die schätzungsweise mehr als sechs Millionen funktionalen Analphabeten richten – Menschen, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können – sollen gefördert werden. Diese Ziele begrüßt auch die GEW. Die Gewerkschaft kritisiert hingegen, dass die NWS vor allem berufliche Inhalte im Fokus hat. So fördert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) im Rahmen der NWS den Aufbau von 13 Weiterbildungsverbünden. Die ersten beiden Verbünde starteten im Dezember 2020 in Berlin und Thüringen – dabei geht es vor allem um „Fachkräftesicherung“ und „berufliche Anforderungen“.
Das reicht angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche und der Folgen der Corona-Krise aber nicht aus. „Verschwörungsfantasien und Fake News häufen sich“, stellt die GEW in ihrer „Schweriner Erklärung“ vom Juni 2020 fest. Politische Bildung, auch in der Weiterbildung, müsse den antidemokratischen Tendenzen entgegentreten, heißt es in der Erklärung. Auch das „positive Potenzial der Digitalisierung“ könne sich nur dann entfalten, wenn der Mensch „am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft demokratisch mitentscheiden kann“.
Bundesweiterbildungsgesetz gefordert
Die GEW setzt sich dafür ein, dass die NWS um das Thema politische Bildung erweitert wird. Zentrale Anliegen sind Mündigkeit, Solidarität, Selbstbestimmung, Diversitätsbewusstsein und die Wahrung des Rechts der Andersdenkenden. Dazu erforderlich sind qualifiziertes Personal, ständige Fortbildung und Kooperation. Außerdem tariflich abgesicherte Arbeitsverhältnisse und verlässliche Förderung. Seit Jahren macht sich die GEW zudem für ein Bundesweiterbildungsgesetz stark. „Dieses Gesetz sichert Zugang, Teilnahme und Finanzierung der Weiterbildung auf hohem Niveau“, erklärt Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung. Nötig seien bundesweite, einheitliche Regelungen etwa zu Information, Beratung und Lernzeiten. Die Bundesländer sollten verpflichtet werden, jeweils ein Prozent ihres Bildungsbudgets in die allgemeine, politische und kulturelle Weiterbildung zu investieren.