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Bildungsforschung

Kein „taxifahrender Dr. Arbeitslos“ in Sicht

Warnungen vor einer Überakademisierung der Gesellschaft entbehren Studien zufolge jeder Grundlage. Das Problem sind nicht die Qualifizierten, sondern nach wie vor die vielen Menschen, die keinen Schul- und Ausbildungsabschluss erreichen.

Foto: Pixabay / CC0

Innerhalb nur weniger Monate haben die internationale und die deutsche Bildungsforschung zwei umfangreiche Studien vorgelegt, in denen der anhaltende Trend zu höheren Bildungsabschlüssen als ökonomisch wie gesellschaftlich notwendig erachtet wird. Die konservative Kritik an einer vermeintlich zu großen Bildungsexpansion wird mit Daten und Fakten widerlegt. Fazit beider Studien: je höher der Bildungsabschluss, desto größer in der Regel später das Einkommen und die Arbeitsplatzsicherheit. Gleiches gilt für die Zufriedenheit im Beruf, die persönliche Gesundheitsvorsorge und gesellschaftliches Engagement. Das sind Kernaussagen des im September von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgelegten internationalen Berichts „Bildung auf einen Blick 2018“, der die Bildungssysteme der 31 größten Industrienationen miteinander vergleicht. Zu ähnlichen Ergebnissen kam der bereits im Juni von Bund und Ländern präsentierte nationale Bericht „Bildung in Deutschland 2018“.

Deutliche Kritik der OECD-Bildungsforscher am deutschen Bildungssystem gibt es hingegen daran, dass nach wie vor 13 Prozent der 25- bis 34-Jährigen hierzulande keinen Abschluss im Sekundarbereich II haben – also weder Abitur noch einen Berufsbildungsabschluss. Vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen auf den Arbeitsmärkten der Zukunft, wie Digitalisierung oder Arbeit 4.0, sei dies „nicht nur ökonomisch vergeudetes Potenzial“. Es sei auch gesellschaftlich ein gravierendes Problem, das künftig nicht nur hohe Kosten für die Sozialkassen verursachen werde, sagt der deutsche OECD-Repräsentant Heino von Meyer bei der Vorstellung des Berichts.

Die Beschäftigungsquoten von Geringqualifizierten in der Bundesrepublik liegen laut Bericht bei nur 55 Prozent – gegenüber 85 Prozent bei Menschen mit abgeschlossener Lehre oder Abitur, bei denen mit Bachelor oder Meisterprüfung gar bei gut 90 Prozent. Die Arbeitslosenquote unter Geringqualifizierten ist mit derzeit 15 Prozent fünfmal höher als bei jungen Erwachsenen mit Sekundar-II-Abschluss. Besonders schwer haben es bei der Jobsuche junge Menschen mit Migrationshintergrund – wenngleich laut Studie deren Chancen steigen, je länger sie in Deutschland leben und je besser sie die Sprache beherrschen.

Ähnlich ist laut OECD-Bericht das Einkommensgefälle in Deutschland zwischen Gering- und Höherqualifizierten: So verdienen zum Beispiel Erwachsene mit einem Bachelor-, mit Meister- oder Technikerabschluss 65 Prozent mehr als Gesellen mit Lehrabschluss. Im Schnitt 83 Prozent mehr verdient, wer einen Master oder eine Promotion vorweisen kann.

Gute Chancen für Akademiker

Dass der deutsche Arbeitsmarkt für Akademikerinnen und Akademiker wie auch für andere Höherqualifizierte bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, machte der Bildungsforscher Reinhard Pollak vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), Mitglied der Projektgruppe Nationales Bildungspanel, unlängst auf einer Tagung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Berlin deutlich. Selbst wenn derzeit alle Hochschulabsolventen Arbeitsplätze in einer der oberen Dienstklassen eingenommen hätten, gäbe es vor allem für junge Männer mit guten Abschlüssen unterhalb des Hochschulniveaus immer noch gute Chancen für soziale Bildungsaufstiege – auch wenn diese sich mit weiter zunehmenden Hochschulabsolventenzahlen in den kommenden Jahren verringern dürften. Also nach wie vor keine Spur von einer Akademikerschwemme und dem nunmehr seit drei Jahrzehnten von Konservativen gern als Schreckgespenst an die Wand gemalten „taxifahrenden Dr. Arbeitslos“.

Beide Studien belegen: Nicht die Qualifizierten haben auf dem Arbeitsmarkt Probleme, sondern nach wie vor die Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss. Vor zehn Jahren, beim Bildungsgipfel in Dresden, hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länder-Regierungschefs versprochen, innerhalb weniger Jahre die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren. Damals waren dies 8 Prozent eines Jahrgangs, heute sind es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes immer noch 6 Prozent – von den versprochenen 50 Prozent Rückgang also gerade mal die Hälfte. 

Fachkräftemangel ist hausgemacht

Die Kernbotschaften der Bildungsanalysen der OECD wie des nationalen Autorenteams führen zu dem Schluss: Warnungen vor einer Überakademisierung der Gesellschaft entbehren jeder Grundlage. Und: An mehr Bildungsinvestitionen führt kein Weg vorbei. Die Wortwahl der Autoren des nationalen Bildungsberichtes, der von Bund und Ländern finanziert wird, fällt dabei naturgemäß ein wenig diplomatischer aus. Doch beim Thema Berufliche Bildung wird der nationale Bericht ausgesprochen deutlich. Mit Zahlen und Fakten belegt das Forschungsteam, dass der von Wirtschaftsverbänden so heftig beklagte Fachkräftemangel von den Unternehmen überwiegend hausgemacht ist. Insbesondere bei den Ausbildungsberufen im oberen Qualifikationssegment gebe es weiterhin eine „anhaltende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage“. Genau in diesen Berufen gab es in den vergangenen Jahren einen deutlichen Beschäftigungszuwachs. 

Konkret heißt das: Dort, wo so heftig über Fachkräftemangel geklagt wird, also bei Ausbildungsberufen der Unternehmensorganisation, in Informatik, Rechts- und Verwaltungsberufen und auch im Maschinen- und Fahrzeugbau knausern die Unternehmen bei ihrem Lehrstellenangebot. Auf 100 Ausbildungsplatzbewerber kommen dort nur 88 bis 90 Angebote. Die medial immer wieder herausgestellten angeblich unbesetzbaren Lehrstellen gibt es dagegen im Segment der Ausbildungsberufe mit ungünstiger Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen, etwa im Tourismus, Handwerk sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe – mit zum Teil 100 Bewerbern auf 120 Angebote. Nicht nur hier bleibt viel zu tun.