Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung findet sich viel zur Digitalisierung – und wenig zur inklusiven Bildung. Letztere kommt in einem einzigen Satz vor: „Mit der Investitionsoffensive Schule und dem Digitalpakt Schule tragen wir auch zur inklusiven Bildung bei.“ Mit dem Digitalpakt möchte man also die Inklusion nebenbei mit umsetzen.
So stellt sich die Frage: Ist die Digitalisierung wirklich ein so entscheidender Schritt hin zu einem innovativen Schulsystem? Erleichtern digitale Medien den Umgang mit heterogenen Lerngruppen? Unbestritten ist, dass sie zahlreiche neue Chancen und didaktische Möglichkeiten bieten. Dabei ist etwa an folgende Aspekte zu denken:
- Digitale Medien erleichtern die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit kommunikativen, sensorischen oder motorischen Beeinträchtigungen am Unterricht (beispielsweise über Spracherkennungsprogramme, Umsetzung von Braille-Schrift in Schwarzschrift oder die Augensteuerung von Computern).
- Digitale Medien erweitern die Möglichkeiten, sich kreativ mit Lerngegenständen auseinanderzusetzen (Filmprojekte zu bestimmten Fragestellungen, eigene Erstellung von Lernmitteln durch Schülerinnen und Schüler etc.).
- Digitale Medien erleichtern die eigenständige Recherche, sofern die Lernenden für die Besonderheiten digital aufbereiteter Informationen sensibilisiert werden (Algorithmen-Logik von Suchmaschinen, Gefahren von Fake-Seiten etc.).
- Digitale Medien erleichtern die Realisierung unterschiedlicher Lernsettings innerhalb eines Klassenraums.
Neben diesen Möglichkeiten ergeben sich aber auch Probleme. Zu den zentralen gehören:
- Der von der Politik forcierte Digitalisierungs-Hype birgt die Gefahr, dass das Bemühen um eine hinreichende Grundbildung für alle vernachlässigt wird. Eine sinnvolle Nutzung digitaler Medien ist nur möglich, wenn zuvor die Grundlage einer soliden analogen Bildung geschaffen wird. Wie drängend dieses Problem ist, zeigt beispielsweise die immer noch viel zu hohe Zahl funktioneller Analphabeten in Deutschland.
- Digitale Lernprogramme tragen das Risiko in sich, Vereinzelung und kommunikative Verarmung zu begünstigen. Gerade vor dem Hintergrund, dass auch das Privatleben heutiger Kinder und Jugendlicher verstärkt durch Smartphones, Tablets et cetera bestimmt wird, ist die Förderung analoger Kommunikation sinnvoll. Zu denken ist dabei nicht nur an das bloße Sprechen miteinander, sondern auch an die Einübung der dafür nötigen Umgangsformen (etwa Zuhören, Aufeinandereingehen, Argumentieren).
- Sowohl Politikerinnen und Politiker als auch die Digitalbranche suggerieren, inklusive Bildung lasse sich durch differenzierte Lernprogramme umsetzen. Für einen gelingenden gemeinsamen Unterricht sind aber auch ein gutes Schulklima, respektvoller Umgang miteinander und vielfältige Möglichkeiten gegenseitiger Beratung essenziell. Der Digital-Hype kann dazu verführen, pädagogische Herausforderungen technologisch meistern zu wollen.
- Digitale Lernprogramme geben durch Programmierungsvorgänge bestimmte Denkmuster vor. Damit erschweren sie die Suche nach individuellen, kreativen Lösungsansätzen. Es besteht die Gefahr, dass das kritische Denken behindert und in der Konsequenz Konformismus und Anpassung gefördert werden.
- Viele digitale Medien werden von großen Konzernen als Werbegeschenke angeboten. Es ist wichtig, hiermit kritisch umzugehen, um nicht Lobbyisten und Datensammlern die Schultore zu öffnen
Fazit: Die Digitalisierung bietet zahlreiche Chancen; ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien muss in der Schule angebahnt werden. Sie ist aber keineswegs ein Surrogat für notwendige Reformen hin zu einem inklusiven und demokratischen Schulsystem. Angesichts der hohen Bedeutung der Digitalisierung für Bildung und Gesellschaft tut die GEW gut daran, sich intensiv und kritisch-konstruktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und gleichzeitig für ein Primat der (inklusiven) Pädagogik einzutreten.