Hochschulen am Limit
(K)Ein Ende in Sicht?
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind in den Hochschulen und in der Wissenschaft nach wie vor weit verbreitet.
Seit Ende Januar liegen neue Zahlen auf dem Tisch, wie es um die Arbeitssituation von Forschenden zwischen der Promotion und einer möglichen Professur bestellt ist. Der Bericht, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2008 einmal pro Wahlperiode veröffentlicht, trägt nun einen neuen Namen. Statt „Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs“ (BuWiN) heißt er jetzt „Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase“ (BuWiK).
Die Umbenennung kann man als eine kleine Verbesserung begreifen. Schließlich geht es um Forschende im Alter von bis zu 45 Jahren, die man schwerlich noch als Nachwuchs bezeichnen kann. Die Ergebnisse des neuen Berichts jedoch zeigen, dass sich an den Problemen fast nichts geändert hat. Der Anteil der Zeitverträge ist laut Bericht weiterhin extrem hoch. Bei Promovierenden beträgt er fast 100 Prozent, bei Promovierten 90 Prozent. Mit zunehmendem Alter sinkt die Befristungsquote zwar, doch auch bei über 60-Jährigen liegt sie immer noch bei 26 Prozent.
Frauen haben es nach wie vor schwerer
Insgesamt sind nur 8 Prozent der neuen Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft unbefristet. Nach der Promotion kehren deshalb viele der Hochschule den Rücken und wechseln in die Privatwirtschaft, wo über 70 Prozent eine unbefristete Beschäftigung finden, in den Ingenieurwissenschaften sogar 86 Prozent.
Frauen haben es in der Wissenschaft nach wie vor schwerer als Männer – auch wenn ihr Anteil bei Habilitationen und Erstberufungen im Vergleich zum vorherigen Bericht zugenommen hat. Um die Vereinbarkeit von Wissenschaftskarriere und Familie steht es weiterhin nicht gut. Kinderwünsche werden relativ spät oder gar nicht realisiert. Frauen, die trotz der unsicheren Situation und ungewisser Zukunftsperspektiven Kinder bekommen, zeigen die geringsten Zufriedenheitswerte.
Ampel-Koalition scheiterte mit Reformvorhaben
Von „Verbesserungspotenzial“ sprach die nach dem Ampel-Aus zuständige Parlamentarische Staatssekretärin Claudia Müller (Grüne), als sie im Januar den BuWiK vorstellte. Dasselbe Wort kam beim Vorgängerbericht vor vier Jahren auch von der damaligen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Ihre Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) von 2020 änderte jedoch nichts am hohen Befristungsanteil und den unsicheren Karrierewegen in der Wissenschaft. Das zeigten drei Evaluationen.
Die Ampel-Koalition arbeitete über viele Monate an einer Reform des Gesetzes, brachte diese aber nicht mehr durch das Parlament. Bei Fachleuten und Betroffenen war der Entwurf auf wenig Begeisterung gestoßen. „Die Novelle bietet keine wirkliche Perspektive für eine unbefristete Beschäftigung jenseits der Professur“, lautete etwa die Kritik von Anne Krüger und Roland Bloch, die zu Dauerstellenkonzepten an Universitäten forschen.
„Vielleicht müssen wir andere Lösungen suchen und neue Wege gehen.“ (Tim Skroblien)
„Ich würde infrage stellen, inwieweit das eine strukturelle Reform war“, sagt Tim Skroblien vom Bundesausschuss der Studierenden in der GEW (BAGS). Die GEW hatte vergangenes Jahr gemeinsam mit weiteren Organisationen des „Bündnisses gegen Dauerbefristung in der Wissenschaft“ eine Überarbeitung des Ampel-Gesetzentwurfs gefordert. Auch die neue Bundesregierung wird sich mit dem Thema beschäftigen müssen. Doch ob ein neuer Reformanlauf beim WissZeitVG tatsächlich die Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen so verbessert, wie es erforderlich wäre, ist ungewiss.
„Vielleicht müssen wir andere Lösungen suchen und neue Wege gehen“, sagt Skroblien. Er engagiert sich in der TVStud-Bewegung, die in der kommenden Tarifrunde der Länder ab Herbst 2025 etwas schaffen will, was bislang nur im Bundesland Berlin gelang: einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte an den Hochschulen zu erstreiten. Ende Februar – am Wochenende der Bundestagswahl – trafen sich rund 230 Aktive aus 50 Städten zur dritten bundesweiten TVStud-Konferenz in Göttingen, um gemeinsam mit den Gewerkschaften ver.di und GEW den Aufbau der nächsten bundesweiten Streikbewegung studentischer Beschäftigter zu starten.
Tarifvertrag für studentische Beschäftigte
Das Motto der Konferenz „Keine halben Sachen“ spielt auf den Teilerfolg von 2023 an. In der Länder-Tarifrunde vor zwei Jahren konnten Bewegung und Gewerkschaften erstmals Verbesserungen der Arbeitsbedingungen studentisch Beschäftigter durchsetzen. Eine schuldrechtliche Vereinbarung garantiert ihnen seither einen Mindeststunden-lohn und eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten. Zudem sagten die Länder zu, bei der nächsten Runde weiter zu verhandeln.
Da aber anders als bei einem Tarifvertrag das Vereinbarte nicht individuell einklagbar ist, halten sich viele Hochschulen nicht daran. Das will die TVStud-Bewegung ändern. „Wir arbeiten im öffentlichen Dienst“, betont Skroblien. Und kritisiert: „Dass ein Land es sich leistet, junge Leute so hängen zu lassen und von Anfang an so prekär zu beschäftigen, ist ein Armutszeugnis.“
Wie viele studentische Beschäftigte es an den Hochschulen gibt, ist nicht klar. Es gibt keine aussagekräftige Statistik. Nach Hochrechnungen sind es 300.000 Personen, möglicherweise auch 400.000, die quasi „übersehen“ werden. Die Tariflücke hat Folgen: niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden, Unsicherheit, fehlende Mitbestimmung. Dabei sind die studentischen Beschäftigten eine tragende Säule des wissenschaftlichen Betriebs.
Sie leiten Tutorien, beaufsichtigen Klausuren, werten Daten aus, führen Laborarbeiten aus und vieles mehr. Oft sind diese Jobs der erste Schritt in die wissenschaftliche Tätigkeit, das zeigt auch der BuWiK. Für diese Gruppe bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, könnte insofern für den gesamten Hochschulbereich eine enorme Strahlkraft entfalten.
Wichtiges Signal aus Hessen
Ein wichtiges Signal kommt auch aus Hessen. Das Land trat vor 20 Jahren aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) aus und verhandelt seitdem einen eigenen Tarifvertrag (TV-H). Die Einigung vom vergangenen Jahr sieht – in schuldrechtlicher Vereinbarung – eine Erhöhung der Stundenentgelte für studentische Beschäftigte auf 13,46 Euro und ab dem Sommersemester 2025 auf 14,20 Euro vor. Zudem sind mehr Dauerstellen für wissenschaftliche und künstlerische Beschäftigte vereinbart. Bis Ende 2025 soll es fast 400 neue unbefristete Vollzeitstellen aus Landesmitteln im Mittelbau geben, bis 2030 weitere gut 200.