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Hochschule und Forschung

Kampf für Dauerstellen

Das neue Berliner Hochschulgesetz verpflichtet die Hochschulen, Postdocs mehr Dauerstellen anzubieten. Dagegen gehen die Uni-Leitungen auf die Barrikaden. Die GEW fordert sie auf, das Gesetz konstruktiv umzusetzen.

Die GEW kämpft seit vielen Jahren gegen unsachgemäße Befristungen und für berechenbare Karrierewege an Hochschulen. (Foto: Kay Herschelmann)

Stein des Anstoßes ist der neue Absatz 6 im Paragrafen 110 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG), dessen Novellierung das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der Koalition aus SPD, Grünen und Linken beschlossen hat. Die neue Regelung verpflichtet die Hochschulen, mit promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (WiMi) eine „Anschlusszusage“ zu vereinbaren, wenn sie diese zur Qualifikation befristet beschäftigen. Unter „Anschlusszusage“ versteht der Gesetzgeber eine unbefristete nach der befristeten Beschäftigung, wenn zuvor festgelegte wissenschaftliche Leistungen erbracht wurden. Dieses Modell ist als Tenure Track bekannt und weltweit in vielen Hochschulsystemen, etwa in den USA, etabliert.

Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen hat indes Widerstand gegen die Neuregelung angekündigt. Sowohl die Freie Universität als auch die Humboldt-Universität haben einen Einstellungsstopp für Postdoc-Stellen verhängt. Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, hat aus Protest gegen das BerlHG sogar ihr Amt niedergelegt – wenige Monate nach ihrer Wiederwahl. Kurz vor Ende ihrer vorzeitig beendeten Amtszeit reichte sie für ihre Universität beim Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen das Gesetz ein – ohne diese mit den universitären Gremien, etwa dem Akademischen Senat, beraten zu haben. Das sorgt weit über die Hauptstadt hinaus für Empörung.

Und dies zu Recht. Ob die Humboldt-Universität gegen das BerlHG klagt oder es konstruktiv umsetzt, hätte in den Selbstverwaltungsgremien debattiert und entschieden werden müssen und nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der zurückgetretenen Präsidentin. 

Professorinnen und Professoren sehen ihre Allmacht gefährdet

Matthias Jähne, Hochschulreferent bei der GEW Berlin, analysiert den Streit ums BerlHG als „Machtkampf“. Es gehe gar nicht in erster Linie um das Geld, das angeblich für mehr Dauerstellen fehle. „Der eigentliche Grund für den Widerstand ist ein ganz anderer. Die Professorinnen und Professoren sehen ihre Allmacht gefährdet“, schreibt er in einem Beitrag in der Berliner GEW-Zeitung bbz. Wenn Postdocs einen Anspruch auf Tenure Track und Dauerstellen bekämen, könnten die Professorinnen und Professoren „ihr“ Personal eben nicht mehr ständig unter Druck halten.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes gilt die Neuregelung nicht für alle Postdocs. Voraussetzung dafür ist, dass es um eine Qualifizierungsstelle geht und es sich bei dem im Arbeitsvertrag genannten Qualifikationsziel „um eine Habilitation, ein Habilitationsäquivalent, den Erwerb von Lehrerfahrung und Lehrbefähigung oder um sonstige Leistungen zum Erwerb der Berufungsfähigkeit“ handelt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Postdocs ohne einen solchen Arbeitsvertrag haben keinen Rechtsanspruch auf einen Tenure Track mit Entfristungsperspektive.

Das dürfte in der Regel bei allen mit Drittmitteln finanzierten, aber auch bei einer Reihe von aus Haushaltsmitteln finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fall sein. Darüber hinaus hat die Berliner Wissenschaftssenatsverwaltung verlautbaren lassen, die Regelung gelte nur für neu abgeschlossene Postdoc-Verträge, nicht für Bestandsverträge.

„Wir reden insgesamt je nach Uni über 5 bis 8 Prozent der WiMi-Stellen.“ (Tobias Schulze)

Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genau vom neuen Paragrafen 110 profitieren würden, vermag indes niemand zu sagen. Die Berliner Universitäten konnten noch keine belastbaren Zahlen liefern. Das ergibt sich aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage von Tobias Schulze, für die Linke Mitglied im Abgeordnetenhaus. „Wir reden insgesamt je nach Uni über 5 bis 8 Prozent der WiMi-Stellen“, schätzte er im Gespräch mit dem Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda.

Die Berliner Universitätspräsidentinnen und -präsidenten sollten die Kirche im Dorf lassen. Das neue BerlHG macht einen moderaten Schritt in Richtung Dauerstellen für Daueraufgaben und verlässliche Karrierewege für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion. Die Hochschulen sollten die Neuregelung als Chance begreifen, sich als attraktive Arbeitgeber zu profilieren, die exzellente Forschung und Lehre und anständige Beschäftigungsbedingungen als zwei Seiten einer Medaille begreifen. Statt ihren Machtkampf auf dem Rücken der Postdocs auszutragen, sollten sie sich jetzt beherzt an eine konstruktive Umsetzung des Gesetzes machen. Die GEW und ihre Vertreterinnen und Vertreter in akademischen Gremien und Personalräten helfen dabei gerne.

Hochschulen sollten Neuregelung als Chance begreifen

Der im Dezember vergangenen Jahres gewählte neue rot-grün-rote Senat unter Leitung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat sich eindeutig zu der Neuregelung positioniert. „Haushaltsfinanzierte, promovierte Wissenschaftler*innen in Mittelbau und Professorenschaft erhalten nach der zweiten Qualifikationsphase grundsätzlich eine Perspektive auf Entfristung, wenn sie sich in einem qualitätsgesicherten Verfahren bewähren“, heißt es unmissverständlich im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken. Die Koalition werde die Berliner Hochschulen bei der Umsetzung des Gesetzes „unterstützen und notwendige gesetzliche Präzisierungen vornehmen“. Dem Vernehmen nach geht es dabei um eine Übergangsregelung, die den Hochschulen die Umstellung erleichtern soll.

Dass man mit einem klaren Bekenntnis zu Dauerstellen und einer Absage an eine Verfassungsklage eine Wahl gewinnen kann, zeigte indes die neue Präsidentin der Technischen Universität Berlin, Geraldine Rauch, die sich Ende Januar überraschend gegen Amtsinhaber Christian Thomsen durchsetzte. Bereits am 8. Februar möchte der Akademische Senat der Humboldt-Universität Kunsts Nachfolgerin oder Nachfolger wählen (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Bis dahin führt der frühere Vizepräsident für Forschung, Peter Frensch, als Interimspräsident die Geschäfte. Gleich zu Amtsantritt verteidigte er ohne Not Kunsts Entscheidung, nach Karlsruhe zu gehen. Es ist fraglich, ob die neue Präsidentin oder der neue Präsident diesen Kurs durchhalten kann.