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Bildungsfinanzierung

Ist unsere Bildungspolitik vernünftig?

Ob vom geplanten Sondervermögen für Infrastruktur genügend für den Bildungsbereich abgezweigt werde, sei unsicher, sagt Gastautorin Gabriele Heller. Ohnehin könnten aus diesem Topf keine Personalkosten beglichen werden.

Bildung ist in Deutschland seit vielen Jahren strukturell unterfinanziert. Die GEW fordert, aus dem von Union und SPD geplanten Sondervermögen Infrastruktur des Bundes mindestens 130 Milliarden Euro dafür einzusetzen, den Sanierungsstau im Bildungswesen wirksam zu bekämpfen. (Foto: IMAGO/Bihlmayerfotografie)

Seltsam, Deutschland, eine Wirtschaftsmacht ohne ein nennenswertes Vorkommen eigener Rohstoffe, bei gleichzeitigem Geburtenrückgang und einem zunehmenden Fachkräftemangel, an der Schwelle zur notwendigen Transformation ins fossilfreie Wirtschaften – dieses Land investiert weniger als die meisten anderen OECD-Staaten in die Bildung. Der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben lag 2023 mit 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) im unteren Durchschnittsbereich aller OECD-Staaten.

Wie lässt sich das erklären?

These 1: Entscheidungen wurden aufgrund des Dogmas getroffen, weitere Staatsverschuldung strikt zu vermeiden. Koste (!) es, was es wolle. Die Einhaltung der Kreditobergrenze (sogenannte Schuldenbremse) wurde immer wieder mit der Rücksicht auf nachkommende Generationen begründet. Dabei könnte jeder in Bildung investierte Euro in späteren Jahren 12 Prozent Bildungsrendite erzielen, errechnete Tom Krebs, Professor für Volkswirtschaftslehre. Investitionen in Bildung würden laut dieser Untersuchung enorme Steigerungen der Staatseinnahmen und zugleich mehr Bildungsgerechtigkeit ermöglichen.

These 2: Bildungspolitik fußt auf Schätzungen der Schülerzahlentwicklung. Eine Studie der Kultusministerkonferenz (KMK) geht von einer Abnahme der Zahl der Schülerinnen und Schüler ab 2034 aus. Will man die Personalreserven tatsächlich jetzt schon niedrig halten, damit es ab 2034 nicht zu einem Überhang kommt? Was sind die Folgen einer fortdauernden personellen Minderausstattung? Kinder und Jugendliche, die pädagogisch vernachlässigt werden!

Zu wenige Integrationsstunden

Die Probleme bei der Umsetzung des Rechts auf Inklusion machen das exemplarisch deutlich. Wie soll eine einzelne Lehrkraft 25 Kinder und mehr unterrichten und zusätzlich zwei, drei oder vier Kinder, die einen eigenen Förderplan haben und individuelle Unterstützung brauchen? Die dafür vorgesehenen Integrationsstunden sind von vornherein zu gering bemessen und finden zumeist nicht statt, da das Personal angesichts mangelnder Reserve zur Vertretung abgezogen wird. Was ist der Preis? Eine zunehmende Ablehnung des Inklusionsauftrags, frustrierte und überforderte Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, die auf der Strecke bleiben und häufig durch Disziplinprobleme auf sich aufmerksam machen.

Aktuell gibt es circa 50.000 Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss! Jährlich! Wie lässt sich ein friedliches Zusammenleben gestalten, wenn eine Gesellschaft so viele Chancenlose schafft? Um es klar zu sagen: Ursache für diese hohe Schulversager-Quote sind nicht die Inklusionskinder oder Kinder mit Migrationshintergrund, wie uns manche Spitzenpolitikerinnen und -politiker weismachen wollen. Solche Statements verkehren diametral Zusammenhänge und Verantwortung.

Soziale Ungleichheiten verstärken sich

These 3: Braucht man gar nicht alle jungen Menschen als gut ausgebildete Fachkräfte? Geht die Politik etwa davon aus, dass künftig ein kleiner Anteil menschlicher Arbeitskraft reicht, weil technische Innovationen (zum Beispiel durch Künstliche Intelligenz – KI) auch viele anspruchsvolle Arbeitskräfte ersetzen werden? Und soll zugleich das Elend der Unqualifizierten zur allgemeinen Disziplinierung auf dem Arbeitsmarkt erziehen? Aber schon jetzt werden Fachkräfte händeringend gesucht. In vielen Sektoren gibt es bereits Engpässe. Die rückläufige Geburtenrate erzwingt eine möglichst gute Bildung und Ausbildung aller Nachwachsenden.

These 4: Bildungspolitik steht im Konflikt mit dem Zeithorizont einer Regierungsperiode. Denn Bildungsinvestitionen zahlen sich oft erst langfristig aus. Für Politikerinnen und Politiker, die sich auf Wahlzyklen ausrichten, ist das wenig attraktiv.

Ist Chancengleichheit der Maßstab, müssen wir ein zunehmendes Scheitern des Schulsystems konstatieren. Die sozialen Ungleichheiten verstärken sich, auch wenn rein rechtlich Gleichheit besteht. Liegt in der sozialen Selektion der eigentliche Kern gegenwärtiger Bildungspolitik? Aber selbst wenn Schule die Funktion der Zuteilung von Lebenschancen erfüllt, gibt es dabei nicht Spielraum? Für welche Art von Gesellschaft wird zugeteilt? 

Unsere Gleichung geht so: Höhere Bildung führt langfristig zu höherer Berufsqualifikation und dadurch zu mehr individuellem Einkommen und zu mehr Staatseinnahmen, aber auch zu mehr Innovation und mehr allgemeiner Produktivität. Bildung, die allen ermöglicht wird, ist nicht nur individuell bedeutsam, sondern stärkt uns als demokratische, zukunftsfähige Gesellschaft.