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Sanierungsstau in Bildungseinrichtungen

Investitionen, die sich lohnen

Sanierungsstau an Schulen, veraltete Lernumgebungen, fehlende IT-Ausstattung: Bund und Länder reagieren mit Sonderprogrammen. Reichen die aus? Und welche Schritte geht die Stadt Dinslaken am Niederrhein?

Die Umbauarbeiten an der Averbruchschule in Dinslaken bei Duisburg sind so gut wie abgeschlossen. Foto: Bert Butzke

Im Treppenhaus liegt feiner weißer Staub. Irgendwo dröhnt eine Bohrmaschine, Kabeltrommeln liegen herum, Glasscheiben stapeln sich an der Wand. Wir sind in Dinslaken bei Duisburg, es ist Mitte Juni. Umbau und Erweiterung der Averbruchschule, einer Grundschule, sind in vollem Gang. Die energetische Sanierung sei bereits erledigt, erläutert Architektin Eva Henjes, 34 Jahre. „Das Dach ist neu, die Fassade gedämmt“, sagt sie. Die einst zweizügige Schule wird künftig drei Klassen pro Jahrgangsstufe beherbergen. Im dritten Stock des Hauptgebäudes sehen wir neue Unterrichts- und Differenzierungsräume, hell und großzügig, mit eigener WC-Anlage. Blick durchs Fenster, hinunter auf den Schulhof: Ein Schaufelbagger wühlt sich durch das Erdreich. „Der hat gerade die Asphaltdecke abgetragen“, erklärt Henjes. Jetzt folgen Erdarbeiten. Dann kommen die Spielgeräte. Bepflanzt und begrünt wird im Laufe des neuen Schuljahres.

Dinslaken, 71.000 Einwohner. Die Stadt am Niederrhein beschloss 2013, ihre Schulen umfassend zu sanieren und zu erweitern. Kosten für 16 Schulen: 63 Millionen Euro. „Wie wir heute mit der jungen Generation umgehen, welche Bildung wir anbieten, entscheidet darüber, wie unsere Gesellschaft morgen aussehen wird.“ Diese Richtschnur formulierte Dinslakens Bürgermeister Michael Heidinger (SPD). Doch nicht das städtische Bauamt kümmert sich um die Sanierungen. Dies ist Aufgabe der ProZent GmbH, einer 100-prozentigen Tochter der Stadt Dinslaken, gegründet 2014.

Vorteil sei, „dass deutlich zügiger gebaut wird“, erklärt Walburga Wüster, 63 Jahre, Geschäftsführerin der ProZent GmbH. Sie verweist auf die Ausschreibungen. Wenn die über die Kommune laufen, gebe es viele Beteiligte. Es gelte, eine Vorlage zu erarbeiten, Angebote müssten extern geprüft werden und vieles mehr. „Das dauert bis zu drei Monate“, betont Wüster. Bei der ProZent liege alles in einer Hand. „Die Ausschreibung kann in vier oder fünf Wochen erledigt sein.“ 19 Beschäftigte arbeiten derzeit in der GmbH, darunter Architektinnen, Bauleiter und Fachleute für Heizungs- oder Sanitärplanung. „Unterm Strich“, so Wüster, „erreichen wir eine Kostenersparnis zwischen 10 und 14 Prozent.“

Gewaltiger Finanzbedarf

Kaputte Schulgebäude. Stinkende Schultoiletten. Lernumgebungen, die den Ansprüchen von Ganztag, Digitalisierung, Inklusion und Integration keinesfalls genügen. Dies treibt den Schulverantwortlichen in Städten und Kreisen den Schweiß auf die Stirn. „Erheblichen Investitionsrückstau“ meldet das Deutsche Institut für Urbanistik (difu). Kämmerer der deutschen Kommunen schätzten den „Investitionsbedarf in die Schulinfrastruktur für 2018 auf ca. 47,7 Milliarden Euro“, so das difu. Aktuell liege der Investitionsrückstand bei Schulen immer noch bei 42,8 Milliarden Euro, berichtete das difu im Juni 2019.

Die GEW wollte 2018 im Rahmen einer bundesweiten Umfrage wissen, welche Verbesserungen in Bildungseinrichtungen als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ einzustufen sind. 59 Prozent der repräsentativ befragten GEW-Mitglieder nannten „größere Sanierungs- und Umbauarbeiten“. 66 Prozent verwiesen auf „Sanierung der Sanitäreinrichtungen“. 79 Prozent wünschten sich „Maßnahmen gegen Lärm“. 80 Prozent forderten „Verbesserung der digitalen Ausstattung“. Eine Studie der GEW Hessen zeigt zudem auf, dass Städte und Kreise höchst unterschiedlich viel Geld in ihre Schulgebäude investieren: Das Schlusslicht bildet die Stadt Kassel mit durchschnittlich 246 Euro im Jahr pro Schülerin und Schüler. Die Stadt Darmstadt nimmt 460 Euro pro Jahr und Kopf in die Hand. Spitzenreiter Hochtaunuskreis, gelegen im Speckgürtel von Frankfurt am Main, stellt 1.299 Euro bereit.

Bund und Länder reagieren. Doch im Vergleich zum gewaltigen Finanzbedarf fallen die staatlichen Förderprogramme bescheiden aus. So beschloss die Bundesregierung 2015 den „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“. Daraus fließen 3,5 Milliarden Euro an Kommunen, die damit unter anderem die Bildungsinfrastruktur verbessern dürfen (Laufzeit bis 2020). Weitere 3,5 Milliarden Euro gehen an finanzschwache Kommunen, um Schulen zu sanieren (Laufzeit bis 2022). Im Jahr 2019 fiel der Startschuss für den „DigitalPakt Schule“, der in den nächsten Jahren 5,5 Milliarden Euro für IT-Technik verteilen wird. Hinzu kommt, was einzelne Bundesländer anbieten. So verabschiedete Nordrhein-Westfalen 2016 das Programm „Gute Schule 2020“. Zwei Milliarden Euro, verteilt auf vier Jahre, stehen bereit. Aus diesem Programm erhält Dinslaken 6,5 Millionen Euro.

Schwierige Personalsuche

Viele Kommunen haben jedoch Probleme, das Geld sinnvoll in Schulgebäude zu investieren – es fehlt qualifiziertes Personal. Beispiel Köln. In der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln (GW) seien von 500 Stellen seit Jahren 80 bis 100 Stellen nicht besetzt. Das berichtet Heiner Kockerbeck, Kölner Stadtrat der Linken. „Insbesondere Bauingenieure und Architekten sind für die Gehälter, die die Stadt Köln bezahlt, schwer zu bekommen“, erklärt Kockerbeck. Es fehlten „insbesondere solche, die genügend qualifiziert sind, um größere Bauprojekte zu leiten“. Die Stadt erklärt auf Anfrage, seit 2017 habe die GW ihr Personal aufgestockt und 144 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen. Aktuell liege die Zahl der offenen Stellen bei „ca. 85“. Derweil steigen in Köln die Schülerzahlen. Die Domstadt müsse „in den nächsten Jahren“ mehr als 40 neue Schulen bauen, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger im Mai 2019. Zusätzliche Lasten verursacht laut Stadt-Anzeiger, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die verbindliche Verkürzung der Schulzeit zurückgenommen hat. „Fünf bis acht Gymnasien werden allein wegen der Umstellung von G8 auf G9 benötigt.“

Dramatisch auch die Lage in Berlin. Die Hauptstadt habe mit einer Verwaltung zu tun, „die es schon lange nicht mehr gewohnt ist, zu investieren“, so die Berliner Zeitung im Juni 2018. Kompetente Leute wurden laut Berliner Zeitung „weggespart unter Sarrazin und Wowereit“. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) war von 2002 bis 2009 im Amt, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) von 2002 bis 2014. Auch in Berlin steigen die Schülerzahlen. Der rot-rot-grüne Senat plant deshalb, bis 2026 insgesamt 60 neue Schulen zu bauen. Mit den veranschlagten 5,5 Milliarden Euro werde Berlin jedoch „nicht so weit kommen wie erhofft“, schreibt der Tagesspiegel. Ein Grund seien „unrealistisch niedrige Schätzungen“, mit denen der Senat anfangs geplant habe, sowie „exorbitante Preissteigerungen in der Bauwirtschaft“.

Zurück an der Averbruchschule in Dinslaken. Architektin Henjes zeigt uns den künftigen Mehrzweckraum, mit Bühnenpodest und Ausgabestelle für warme Mahlzeiten. „Fast 225 Quadratmeter groß“, erläutert sie. Noch liegt dort nackter Estrich, ein Handwerker schneidet Kunststoffbahnen zurecht. „Hier sind die Bodenleger zugange“, erklärt Henjes. Zwei Seiten des Raumes sind bis zum Boden verglast. Und wenn die Sonne reinknallt? „Es gibt eine Lüftungsanlage“, antwortet die Architektin. Hinzu kommen Markisen vor den Fenstern – „die werden das Ganze verschatten“.

Hat ProZent ebenfalls Probleme, Personal zu finden? Nein, antwortet Geschäftsführerin Wüster. Die angestellten Fachleute verdienten „hier besser als in einem kleinen Architekturbüro in unserer Region“. Man bewege sich zwar im Rahmen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst. Allerdings sei ProZent „ein wenig flexibler“. Im Oktober 2018 habe der Stadtrat zudem beschlossen, die Personalsituation „zu verstetigen“. Nun hätten alle Beschäftigten unbefristete Arbeitsverträge. Hätte der Stadtrat dies nicht beschlossen, so Wüster, „dann hätte sich der eine oder andere nach anderen Stellen umgesehen“. Und was ist mit Baufirmen und Handwerksbetrieben – die sind doch oft ausgebucht? „Viele Baufirmen arbeiten gern mit uns“, betont Wüster. „Weil wir schneller beim Bezahlen sind als die Kommune.“ Sie berichtet, „dass wir uns bemühen, in der Region auszuschreiben.“ Damit Firmen zum Zuge kommen, „die ihre Gewerbesteuer in Dinslaken zahlen“.

Kapitalstock geschrumpft

Doch Kommunen ächzen nicht nur unter der Last, Schulgebäude zu sanieren oder zu bauen. Vielerorts sind auch andere öffentliche Gebäude marode, zerbröseln Straßen und Brücken. „Deutsche Kommunen haben auch im europäischen Vergleich überdurchschnittliche Investitionsrückstände“, so ein Bericht der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) von Juli 2018. Sie beruft sich dabei auf eine Studie der Europäischen Investitionsbank. Demnach hätten deutsche Städte und Kreise „seit 2003 durchgehend weniger investiert als abgeschrieben“, der Kapitalstock sei also geschrumpft. Spätestens ab 2003 litten die Kommunen unter wegbrechenden Einnahmen – verursacht auch durch die Steuerreform der damaligen rot-grünen Bundesregierung. „Die Infrastruktur in Deutschland läuft somit seit rund 15 Jahren auf Verschleiß“, schreibt die KfW-Bank. Dies gelte selbst für die letzten Jahre, „in denen niedrige Zinsen und eine robuste Konjunktur den deutschen Kommunen zusätzliche finanzielle Handlungsspielräume eröffnet haben“.

Was tun? Der KfW-Report kommt zu dem Schluss, dass „die zunehmende Delegation von Finanzierungsverantwortung an den Bund“ sowie „die Einführung einmaliger Sonderprogramme“ keine dauerhafte Lösung ermögliche. „Vielmehr sollten die Handlungsspielräume der Kommunen wieder verbessert werden.“ Was bedeutet: Entlastung der Städte und Gemeinden bei den Sozialausgaben. Und Steuererhöhungen zugunsten der Kommunen. Damit Städte und Kreise in die Lage versetzt werden, dauerhaft für funktionstüchtige, moderne und attraktive Schulgebäude zu sorgen.

Hoch umstritten – Public Private Partnership im Schulbau:

Ein öffentliches Gebäude, um dessen Finanzierung, Bau und Betrieb sich ein privates Unternehmen kümmert. Und eine Kommune, die im Gegenzug dem Unternehmen 20 oder 25 Jahre lang eine Art Pachtrate zahlt. Dieses Konstrukt heißt Public Private Partnership (PPP), auch Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) genannt. Seit 2003 starteten bundesweit 111 PPP-Projekte im Schulbau, meldet der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Kommunen und Eltern seien mit den ÖPP-Schulprojekten zufrieden, behauptet der Verband und verweist auf entsprechende Studien. Die Stadt Mülheim an der Ruhr hingegen liegt im Clinch mit ihren PPP-Partnern, den Bauunternehmen Strabag und Züblin. Der jahrelange Streit dreht sich um zwei Mülheimer Schulgebäude, die via PPP saniert wurden. Von „teils erheblichen Feuchtigkeitsschäden“, berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) im März 2019. Das Landgericht Duisburg urteilte inzwischen, die privaten Partner müssten die Schäden beheben. Strabag und Züblin legten Berufung ein. Es sei „nicht klar, ob es nun endlich und zeitnah zu einer Sanierung kommt“, schreibt die WAZ. Auch andernorts sind die Erfahrungen gemischt. Zwar sind private Firmen im Rahmen von PPP-Projekten oft schneller als städtische Bauabteilungen. Zudem muss die häufig hochverschuldete Kommune keinen Kredit aufnehmen – das ist Sache der PPP-Gesellschaft. Holger Mühlenkamp, Professor für öffentliche Betriebswirtschaftslehre in Speyer, hält jedoch nichts davon, „Staatsverschuldung zu verdecken“. „Man ist nicht mehr Herr im eigenen Haus“, warnte 2016 die damalige Kölner Schul-Beigeordnete Agnes Klein (SPD). Sind die Verträge unterschrieben, so Klein, seien Änderungswünsche „schwer realisierbar“. Kritiker betonen zudem: PPP-Projekte seien häufig teurer, da die privaten Partner Gewinne erzielen wollten und höhere Zinsen als die öffentliche Hand zu zahlen hätten.