Zum Inhalt springen

Internationaler Holocaust Gedenktag

Bildungsgewerkschaften sagen ‚Niemals wieder‘

Mehr als 100 Lehrkräfte aus Israel, Polen und Deutschland nahmen an der internationalen Gedenkveranstaltung des Museums Auschwitz-Birkenau teil. Erinnert wurde insbesondere an das Schicksal der Kinder in den Vernichtungslagern.

Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wude am 27. Januar 1945 befreit. (Symbolfoto: Pixabay/CCO)

Etwa 700 Kinder lebten noch, als russische Soldaten am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreiten. Heute geht man davon aus, dass über 230.000 Kinder dort umgekommen sind. Insgesamt waren es 1,3 Millionen Kinder, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Die Holocaust-Gedenkveranstaltung der Bildungsgewerkschaften aus Polen, Israel und Deutschland widmete ihnen dieses Jahr 2021 ihre besondere Aufmerksamkeit. Sie findet normalerweise in Auschwitz und Krakau statt. Dieses Mal musste sie als online-Veranstaltung durchgeführt werden.

Die letzten heute noch lebenden Zeitzeugen des Holocaust waren damals Kinder. Das verweist darauf, dass die Vermittlung des Holocaust an künftige Generationen immer neues Nachdenken über geeignete Zugangswege erfordert. Diese Notwendigkeit drückte sich in den vielfältigen Beiträgen der Teilnehmenden aus.

Erinnern an das Schicksal der Kinder

Slawomir Broniarz, Vorsitzender der polnischen Lehrergewerkschaft ZNP, veranschaulichte das Schicksal der Kinder anhand der Chronik einer Krakauer Mädchenschule, die Neuntklässlerinnen zwischen 1933 und 1939 geführt hatten. Darin kämen der Schulalltag der jungen Menschen, ihr Optimismus und Engagement zum Ausdruck. Wenig später fand der vielfältige „normale“ Schulalltag sein Ende. Nur sieben der 50 Schülerinnen der Klasse überlebten.

Yaffa Ben David von der israelischen Histadrut HaMorim erinnerte an den innovativen Pädagogen, Arzt und Bildungstheoretiker Janusz Korczak, der sich von den Kindern seines Waisenhauses nicht trennen ließ, als sie in die Gaskammern Treblinkas geschickt wurden. Sein Auftrag für heute sei, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen und ihr Innenleben zu respektieren.

„Dieses Engagement ist so wichtig, denn wir sehen mit Sorge, dass in Deutschland Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus wieder zunehmen.“ (Marlis Tepe)

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe ermutigte die Lehrkräfte, der jungen Generation jüdisches Leben in Deutschland mit den neuen technischen Möglichkeiten erfahrbar zu machen und jedem Antisemitismus im Schulalltag offensiv zu begegnen. Sie verwies darauf, dass die GEW seit über 50 Jahren gemeinsame Seminare mit der Histadrut HaMorim durchführt, in denen über den pädagogischen Umgang mit dem Holocaust beraten wird. „Dieses Engagement ist so wichtig, denn wir sehen mit Sorge, dass in Deutschland Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus wieder zunehmen“, sagte Tepe.

Wie Marlis Tepe sah auch der Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte in Auschwitz, Andrzej Kacorzyk, die digitalen Möglichkeiten als Chance für eine veränderte Erinnerungsarbeit mit jungen Menschen. Er verwies darauf, dass auch heute Kinder in Krieg und Elend aufwachsen sowie Gefühle des Verlusts erleben und verarbeiten müssten.

Kinder als Zeugen der Geschichte

Kinder erlebten das Konzentrationslager anders als Erwachsene, hätten andere Wahrnehmungen, erzählten andere Geschichten – darüber sprachen zwei Mitarbeiterinnen der Forschungsabteilung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, Wanda Malicka und Jadwiga Pinderska-Lech. Die Schwierigkeiten, die Schicksale der Kinder nachzuverfolgen, ergäben sich einerseits aus der Quellenlage: Nur sechs bis acht Prozent der Auschwitz-Dokumente sind erhalten geblieben – und Kinder hätten keine Memoiren geschrieben. Andererseits habe man den Kindern aus den Konzentrationslagern noch bis in die 1980er Jahre nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sie seien schon in den Lagern kaum wahrgenommen worden, später habe man ihren Erzählungen nicht glauben wollen, ihre Traumata nicht ernst genommen oder ihnen geraten, nicht mehr an die schrecklichen Erlebnisse zu denken. Erwachsene konnten wohl auch nicht ihre Fassungslosigkeit über das Ertränken von Säuglingen, die qualvollen medizinischen Experimente, die Phenolspritzen direkt ins Herz und die Monstrosität der Ermordung von 215.000 jüdischer Kinder allein in Auschwitz ertragen.

Pädagogische und digitale Zugänge

Im dritten Teil der Veranstaltung berichteten Pädagogen über ihre Erfahrungen mit dem Thema „Kinder unter der NS-Herrschaft“. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt konkretisierte, wie neue thematische, methodische und vor allem emotionale Zugänge bei der Vermittlung der Shoa möglich werden können. Der klassische Gedenkstättenzugang, bei dem Jugendliche nach dem Besuch oft bedrückt und perspektivlos entlassen worden seien, sei durch neue Lernräume ersetzt worden: „Anne Frank in the digital Age“ ermögliche Interaktion mit den Geschichten, und die Bildungsstelle biete Lernlabore an, die auch das eigene Handeln mit einbezögen.

Aus Israel stellte Mariya Zaguri ein fächerübergreifendes „Butterfly project“ für Grundschüler vor, in dem sie Biografien von Holocaust-Kindern erforschten und in dem auch ihre eigenen Bedrohungen zur Sprache kämen.

Rene Michel präsentierte „Schule in der Kiste“, das am biografischen Beispiel „Jüdisches Leben in Dresden“ thematisierte. Unterrichtsmethodische Vielfalt ermöglicht auch das „Theater im Koffer“, das von Martina Ruppert-Kelly von der Gedächtnisstätte Osthofen vorgestellt wurde. Der Materialienkoffer beruht auf Interviews mit überlebenden jüdischen Kindern aus Polen.

Hintergrund: Am 27. Januar findet der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus statt. Grund ist, dass sich an diesem Tag die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau 1945 jährt. Seit 2008 wird möglichst alle zwei Jahre eine Gedenkveranstaltung ausgerichtet, an der sich israelische, deutsche und polnische Gewerkschaften mit Unterstützung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligen.

Ziel ist es, die Erinnerungskultur zu pflegen. Insbesondere junge Lehrkräfte erhalten die Chance, sich über Unterrichtsprojekte zu diesem Thema austauschen und Freundschaften zu schließen. Weitere Informationen zu digitalen Angeboten für den Unterrichte haben wir hier zusammengestellt.