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Lernen im Netz

Interaktiver und diskursiver

Die Digitalisierung ist an den Hochschulen angekommen. Ihre Potenziale, Studium und Lehre besser zu machen, werden aber längst nicht ausgeschöpft. Nur 14 Prozent der für ein Gutachten befragten Hochschulen haben eine Digitalisierungsstrategie.

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Vorlesungen am Laptop verfolgen, Fragen an Professoren online stellen: Lernmanagementsysteme ermöglichen ein zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten. (Foto: imago images/Christine Roth)

Wenn Franziska morgens beim Frühstück sitzt, wird die Küche ihrer WG zum Seminarraum. Bevor die 22-jährige Politikstudentin in die U-Bahn steigt, um nach Berlin-Dahlem zur Freien Universität zu fahren, meldet sie sich über Zedat, die Zentraleinrichtung für Datenverarbeitung der FU, an und kann so auf das Material zugreifen, das die Dozenten auf die Online-Lernplattform Blackboard hochgeladen haben. Sie kann Fragen stellen und Diskussionen mit anderen Studierenden führen. Und sie kann sich für Kurse anmelden und Semesterpläne erfahren. „Das ist schon eine Erleichterung“, sagt Franziska. „Ich kann meine Zeit so besser planen.“

Die Digitalisierung, die in Deutschland vor allem im Bildungsbereich noch immer als großes Sorgenkind gilt, ist längst in den Hochschulen angekommen. Lernmanagementsysteme (LMS) wie Blackboard gibt es bereits seit vielen Jahren. Sie ermöglichen ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen und damit mehr Flexibilität. Und sie sind weit verbreitet. In einer aktuellen Befragung, die für die Expertenkommission Forschung und Innovation durchgeführt wurde, gaben 85 Prozent der teilnehmenden Hochschulen an, dass sie solche IT-Systeme vollständig oder zumindest teilweise implementiert haben.

Allerdings sind die Möglichkeiten digitaler Lehrformate damit keineswegs ausgeschöpft. „Da würde noch sehr viel mehr gehen“, sagt Florian Rampelt vom Hochschulforum Digitalisierung. Der Thinktank, der sich als Impulsgeber versteht, wurde vor fünf Jahren gegründet und wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. Der digitale Wandel, ist Rampelt überzeugt, kann viele nützliche Potenziale entfalten. Studium und Lehre werden nicht nur effizienter, sondern auch interaktiver und diskursiver. Austausch ersetzt den Frontalunterricht. „Dass praktisch alle Studierenden Handys haben, könnte man zum Beispiel für sogenannte Audience-Response-Systeme nutzen“, sagt Rampelt. „So kommen nicht nur die zu Wort, die am schnellsten und lautesten sind“, sagt der Bildungs- und Erziehungswissenschaftler. „Es geht dann um die Fragen, die gerade für die meisten Studierenden am wichtigsten sind.“

Bessere Klausurergebnisse

Möglich wäre auch, Vorlesungen aufzuzeichnen und den Studierenden die Mitschnitte online zur Verfügung zu stellen. „Leider machen das bislang nur wenige Dozenten“, sagt Sarah Henkelmann, die Sprecherin des Netzwerks Digitale Bildung. Dabei entlaste dies die Lehrenden und sei bei den Studierenden sehr gefragt. „Und die Klausuren werden dadurch auch besser.“ Henkelmann, die Ministerien, Schulen und Hochschulen zum Einsatz interaktiver Medien und Technologien berät, nimmt zwar durchaus eine „Aufbruchstimmung“ wahr, was die Digitalisierung an den Hochschulen betrifft. „Doch nach wie vor“, sagt sie, „gibt es einen riesigen Nachholbedarf.“

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) kommt in ihrem aktuellen Jahresgutachten für die Bundesregierung zu einem ähnlichen Ergebnis. Die große Mehrheit der Hochschulen messe dem Thema Digitalisierung zwar einen hohen bis sehr hohen Stellenwert bei, lobt die Kommission. Doch wenn es darum geht, innovative digitale Bildungs- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln und bereitzustellen, übten die Hochschulen nach wie vor „Zurückhaltung“, kritisiert das Papier. Nur 14 Prozent der Hochschulen, die für das Gutachten befragt wurden, verfügen über eine Digitalisierungsstrategie. 41 Prozent sind gerade dabei, eine solche zu erarbeiten, 31 Prozent wollen es tun.*

Dass es trotz aller Fortschritte bei der Umsetzung immer noch so sehr hapert, hat laut den Experten mehrere Gründe. Da ist zunächst einmal die Komplexität der Aufgabe. Digitalisierung heißt nicht nur, dass eine neue Technik eingeführt und bislang analoge Prozesse einfach bloß ins Digitale übertragen werden. Erforderlich ist sehr viel mehr: Mitarbeiter müssen geschult, Abläufe umstrukturiert, Abteilungen vernetzt und „Silodenken“ überwunden werden. Die Kommission spricht von einer „Daueraufgabe“.

„Wir brauchen nach dem Digitalpakt Schule auch einen Digitalpakt Hochschule.“ (Sarah Henkelmann)

Um diese zu stemmen, sind die Hochschulen jedoch schlecht gerüstet. Es fehlt das Geld. „Das deutsche Hochschulsystem ist strukturell unterfinanziert“, konstatiert die Kommission. Nötig sei eine „nachhaltige Finanzierung“, die über einzelne – in der Regel zeitlich begrenzte – Projektmittel und Fördergelder hinausgeht und eine kontinuierliche Entwicklung sicherstellt.
„Wir brauchen langfristige Unterstützungsstrukturen an den Hochschulen“, fordert Rampelt. „Die vielen befristeten Arbeitsverträge gerade im Mittelbau sind ein großes Problem.“

Der weit überwiegende Teil der Stellen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an staatlichen Universitäten ist zeitlich befristet. „Statt das Personal an den Hochschulen nach dem Hire-and-Fire-Prinzip zu beschäftigen, brauchen wir Dauerstellen für Daueraufgaben“, sagt GEW-Vize-Vorsitzender Andreas Keller. „Hochschulbeschäftigte müssen entsprechend unterstützt und qualifiziert werden, sie benötigen Zeit und Ressourcen, um die zusätzlichen Herausforderungen zu bewältigen.“

Nachholbedarf gibt es aber auch in der Lehrkräfte-Ausbildung. „Medienpädagogik ist bislang kein Querschnittsfach und muss nicht verpflichtend belegt werden“, sagt Henkelmann. „Das müsste sich ändern.“ Schließlich findet an vielen Schulen schon digitale Bildung statt, die künftigen Lehrkräfte müssen darauf vorbereitet sein. „Wir brauchen nach dem Digitalpakt Schule auch einen Digitalpakt Hochschule“, fordert sie.