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Integration junger Flüchtlinge: Experten verlangen Priorität auf Bildung

Die Initiative "Bildungsrecht für Kinder mit Fluchterfahrung: Jetzt!" fordert, bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine stärkere Priorität auf Bildung zu setzen. Bisher würden die Bedürfnisse der geflohenen Kinder und Jugendlichen nicht verlässlich genug aufgegriffen. Das Mercator-Institut plädiert unter anderem für eine systematische Erfassung aller nach Deutschland zuwandernden Heranwachsenden, zusätzliche Kapazitäten an berufsbildenden Schulen und einheitliche Vorgaben für die Unterrichtsorganisation. Nach Berechnungen der GEW sind für eine schnelle Integration durch Spracherwerb und Bildung etwa 38.000 zusätzliche Lehrkräfte und ErzieherInnen für notwendig.

Trotz Schulpflicht und Recht auf Bildung warten geflüchtete Kinder und Jugendliche nach Angaben der Initiative bis zu sechs Monate auf einen Schulplatz. Kindertagesstätten, Schulen und außerschulische Bildungsorte seien nicht ausreichend vorbereitet, Kinder und Jugendliche vom ersten Tag an qualifiziert beim Ankommen und Lernen in Deutschland zu unterstützen.

Die Initiative unter Leitung der Freudenberg Stiftung und in Kooperation mit dem Kinderrechtsexperten Lothar Krappmann betont, die geflüchteten Heranwachsenden dürften "nicht länger wertvolle Zeit verlieren und entmutigt werden". Sie schlägt vor, zusammen mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Bildungsakteuren, Trägern der Freien Wohlfahrtspflege, Engagierten vor Ort, Betrieben und Gewerkschaften sowie Flüchtlingen selbst "für ganzheitliche Ansätze einzutreten".

Statt "Adhoc-Maßnahmen" müsse es eine institutionelle Gesamtstrategie von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft geben, "damit keine flüchtlingsspezifischen Sondersysteme entstehen, sondern das Bildungssystem dauerhaft in der Lage ist, wiederkehrend Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Fluchterfahrungen gut zu integrieren".

Einer Studie des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache sowie des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln zufolge sind im Jahr 2014 rund 100.000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter nach Deutschland zugewandert - sowohl aus Kriegs- und Krisenregionen als auch aus EU-Ländern. Die Erhebung gibt erstmals einen bundesweiten Überblick über die schulische Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher und bezieht dabei alle 6- bis 18-Jährigen ein.

„Die Frage, wie neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im Bildungssystem aufgenommen werden können, ist jahrelang vernachlässigt worden", kritisierte der Direktor des Marcator-Instituts, Michael Becker-Mrotzek. In vielen Bundesländern werde nicht systematisch erhoben, wie viele neu zugewanderte Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse an den Schulen seien, so dass der Bedarf an Lehrkräften kaum rechtzeitig eingeschätzt werden könne. Laut der Studie sind mehr als zwei Drittel der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahre alt. 14 Prozent gehören zur Altersgruppe der 18-Jährigen und benötigen einen Schulplatz an einer weiterführenden Schule.

Nur in Berlin und im Saarland gelte die gesetzliche Schulpflicht für alle Kinder und Jugendlichen uneingeschränkt von Anfang an, kritisieren die AutorInnen. In allen anderen Ländern seien jungen Mensche vor Beginn des Asylverfahrens „häufig faktisch vom Schulbesuch ausgeschlossen“. Für die Unterrichtsorganisation gebe es in allen Bundesländern Regelungen, allerdings seien diese unterschiedlich verbindlich und konkret. Zwar brächten die Länder zunehmend Unterstützungs- und Fortbildungsangebote für Schulen und Lehrkräfte auf den Weg, doch sei das Angebot häufig unübersichtlich. „Das Thema ist kein Projekt für eine Taskforce auf Zeit, sondern eine langfristige Aufgabe", betonte Becker-Mrotzek. Deshalb sollten Mindeststandards für den Schulbesuch neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher entwickelt werden.

Die GEW hat derweil konkrete Handlungsempfehlungen für den Zugang zu Bildung für Flüchtlinge und Asylsuchende vorgelegt. Sie rechnet in den nächsten zwölf Monaten bundesweit mit rund 300.000 zusätzlichen SchülerInnen. „Um diesen Kindern und Jugendlichen ein qualitativ gutes Schulangebot zu machen, sind gut 8.000 Lehrkräfte je 100.000 Schüler zusätzlich notwendig“, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. Das ergebe einen zusätzlichen Bedarf von rund 24.000 Lehrkräften.

Außerdem müsse die Zusatzqualifikation „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ) für PädagogInnen gestärkt sowie über den (zeitlich begrenzten) Einsatz pensionierter Lehrkräfte mit der Qualifikation für Sprachen und über DaZ-Crashkurse für pädagogisch qualifizierte Menschen nachgedacht werden.

In den Kitas rechnet die GEW mit bis zu 100.000 neuen Kindern - und entsprechend einem Bedarf von rund 14.000 zusätzlichen ErzieherInnen. Neben Kitas und Schulen müssten auch Hochschulen Zugang zu Bildung für Flüchtlinge ermöglichen. „Der Hochschulpakt muss aufgestockt werden, damit Studienplätze und -angebote für Flüchtlinge ausgebaut werden können“, betonte Tepe. Für die Integrationskurse müssten ferner mehr akademisch qualifizierte Menschen gewonnen werden.